Begegnungen in der Bahn

Begegnungen in der Bahn.

Applikationen

Ich bin in Deutschland 2015. Genauer: Auf dem Weg von Ahrensburg nach Hamburg in der U-1 zum Hauptbahnhof. Im Frühjahr. In der Bahn sprechen sie meine Sprache, allerdings nur zum Teil. Auch Russisch, Ukrainisch, arabisch, orientalisch, Farsi, Syrisch. Sie telefonieren, als gäbe es kein Morgen und der Gesprächspartner ist in ihrem fernen Land. Auf Arabisch, ein spezieller Dialekt. Dazu ein afrikanischer Dialekt, der versuchte, den arabischen an Lautstärke zu übertreffen.  Dazu ein Italiener. Da muss man nichts mehr schreiben. Das klingt schon sehr vertraut. Es geht inhaltlich zumindest um nichts. Dann endlich ein laut geführtes Telefonat in deutscher Sprache. Da ist es dann doch besser, man verstünde die Sprache nicht. Ein junger Mann hat Kopfhörer auf, sein Fahrrad breit im Wagen platziert mit einer Hand am Lenker. „Ich fahre zum Hauptbahnhof“, wenig später, „ich bin gleich da“, „ich muss noch Papiere in die Firma bringen“.
Das erzählt er drei weiteren Anrufern. Zwischendurch: „Da, da, spaziwa. Ich fahr dann in den Garten, erst muss ich noch in die Firma. Ja ich fahr zum Hauptbahnhof“. „Doswidanie“. „Machs gut, schukran…“
„Ich bin gleich am Hauptbahnhof.“ Schade wie banal deutsch ist. Jetzt türkisch, gestikulierend, eine alte Frau blickt sich um, dann auf den Boden, um nicht aufzufallen. Alles ist banal auch auf Deutsch keine Hoffnung. Wem gehört diese Bahn eigentlich, dieser öffentliche Raum? Ausstieg Hauptbahnhof. Alle telefonieren. Ist Hamburg in der Welt angekommen oder die Welt in Hamburg? Was für eine Welt ist da in Hamburg angekommen. Sie sind nur da, die aus ihren Welten kommen, aber nicht hier.

Deutschkurse sind Pflicht. Deutsch ist die Sprache, die man am wenigsten hört, in der Spitalerstraße. Der öffentliche Raum wird, phonetisch zumindest, okkupiert. Selbstgespräche mit Kopfhörern in den Ohren, Selbstgespräche führend. Früher waren das die Kriegsversehrten, die nach 1945 die Balance verloren hatten. Jetzt ist die Balance schon vor dem Krieg verloren. Anarchie ist machbar, oder wie, war da was? Anarchie ist machbar, aber doch nicht so. Sie zerstören sich selbst in der Welt ihrer Apps. Kontakt bekommen sie nur wenn sie ineinander rennen, aufschauen tun sie nur, wenn sie gegen Laternenpfähle rennen. Bei Menschen schauen sie nicht.
Die Bahn fährt durch die Stadt, zerschneidet sie wie eine Torte. Eine Torte mit verschiedenen Schichten. Von der Sahne bis zum Boden, durch. Weiß, rot braun, grell verziert.
In den Schichten dieser Torte wird es erst laut, am Hauptbahnhof, bis Wandsbek bleibt es so, dann veränderte sich der Sound bis Farmsen, der sich so bis Berne hält. Dann wird es immer leiser, bis sich die Bahn im Wald verliert.

Der Maler in der Bahn

1969 von Ripp Corby beobachtet

Der Maler hockte in seinem Farbenkeller auf einem Stapel alter Tapetenbücher und blickte über seine ordentlich nebeneinander stehenden Farbtöpfe und Dosen hinweg. Er konnte sich nicht entschließen; da ließ er sich von seinem Sitzplatz herunter gleiten, zog seine leichte Wolljacke über, schloss die Kellertür hinter sich ab und trat schließlich auf die von der Sonne gewärmte Straße hinaus. Er passierte die Allee, ging an den vielen kleine Läden vorbei, dem Schlachter winkte er durch das Schaufenster zu, jener wedelte mit einem Würstchen zurück, der Schuster war beschäftigt, der Milchmann klopfte ein großes Stück Butter in Form, und blieb schließlich vor der Drogerie stehen. Er warf einen prüfenden, etwas kritischen Blick in das Schaufenster, betrat dann mit einem leichten Lächeln den Laden. Der Maler kaufte zwei Kilo grüner Ölfarbe. Nach seinen Berechnungen würde diese Menge reichen und wäre auch vom Gewicht her tragbar.

Ein Liedchen trällernd verließ er die Drogerie und lenkte seine Schritte der nächsten U-Bahnstation zu, löste eine Fahrkarte zu einer D- Mark und stieg in den nächsten Zug, ohne sich um die Fahrtrichtung zu kümmern. Ihm war es gleich, wohin der Zug fuhr. Als die Bahn nach mehreren Haltestellen den Stadtkern hinter sich ließ, zog der Maler einen alten Pinsel aus der Jackentasche. Sich einmal kurz, kichernd ins Bein zwickend öffnete er mit dem Pinselstiel die Farbdose, sog dann den geliebten Terpentingeruch ein, der dabei der Dose entströmte, roch noch einmal an dem Deckel, ebenso, als stünde ihm ein Festschmaus bevor.
Im Wagen saßen an die fünfzehn Personen, die sein Tun aber nicht bemerkten, ignorierten oder anfangs gleichgültig taten. Nur der Herr, der dem Maler gegenüber saß, blickte, erst verstohlen, dann offenbar neugierig zu, wie der Maler mit großer Behutsamkeit in die grüne, eher dunkelgrüne Farbe tunkte, dann vorsichtig am Rand der Dose ab strich, bevor er ihn ganz herauszog. Der Maler drehte den Pinsel zweimal um dessen Achse und begann gefühlvoll und mit großer Sorgfalt das Fenster neben seinem Sitz zu bemalen. Er machte seine Sache sehr geschickt, berufsmäßig, kein Tropfen Farbe fiel herunter.
Sein Gegenüber rückte ein wenig zur Seite, beugte sich vor, verharrte, sein Mund öffnete sich ohne dass ein weiterer Muskel in seinem Gesicht zuckte. Ohne sich durch den Zuschauer stören zu lassen, setzte der Maler sein Werk fort. Bald war die ganze Scheibe bemalt, der Maler strich nun mit konzentrischen Kreisen um die Scheibe herum, die bemalte Fläche wuchs, er stand auf, kletterte auf den Sitz und strich behende die Decke des Wagons. Erst jetzt wurden die Fahrgäste auf ihn aufmerksam, jedoch unternehm niemand den Versuch, seine Arbeit zu behindern. Es wurden lediglich Köpfe geschüttelt, dachte, es habe schon seine Richtigkeit, man war ja einiges gewöhnt in letzter Zeit oder man flüsterte etwas über eine Irren.
Die nächste Station. Ein und Aussteigen, Weiterfahrt. Der Maler hatte in Windeseile die rechte Sitzecke des Abteils dunkelgrün angestrichen. Die Farbe ging zur Neige, Endstation. Der Maler verließ mit den anderen Fahrgästen den Wagen, sein Gegenüber grüßte noch; er setzte sich auf dem Bahnsteig auf eine Bank und wartete auf den Zug zurück in Richtung Stadt.

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