Im Schatten des Palantir

Kapitel 1: Ouvertüre

Es war einer dieser regennassen Tage des Sommers, an denen die Stadt in sich selbst zurücksank. Die meisten Bewohner hatten mit ihren Kindern die Stadt verlassen, um anderswo das Glück zu suchen. Das Licht hatte den Atem angehalten, und selbst die Geräusche der Straße klangen, durch den Regen gedämpft, wie durch doppeltes Glas . Im „Caligo“, einem Café mit schiefem Holzboden und jungen Bedienungen, saßen sie wie gewöhnlich am Fensterplatz: Corona, leicht zurückgelehnt, in Mantel und Handschuhen, obwohl es nicht kalt war. Und Ripp Corby, entspannt wie der Nachmittag. Zwischen ihnen standen zwei Gläser Wasser, unangerührt. Der Kaffee war längst getrunken, doch keiner drängte auf Aufbruch. Die Welt wurde wieder mal gedreht und gedreht, dass ihnen eigentlich schwindelig werden müsste. Corona erhellte aber immer wieder seinen Geist. Das war nicht unbedingt beruhigend, eher wie eine Droge. Oder wie ein guter Kinofilm, indem man selbst mitspielt, dabei weder Text noch Handlung genau kennt.
„Ich habe über unser letztes Gespräch nachgedacht“, sagte sie schließlich und streifte mit dem Finger einen dunklen Kringel vom Tisch. „Über Musk. Und Trump.“
Corby sah nicht auf. Er wusste, es war ein Auftakt. Eine Ouvertüre.
„Vielleicht“, fuhr sie fort, „haben wir uns zu lange mit dem Spektakel dieser beiden beschäftigt. Mit den Gesichtern, nicht mit den Aktionen der Personen hinter diesen Masken. Und der wichtigsten Person dahinter. “
Corby zog eine Augenbraue hoch. Sein Blick wanderte zum Fenster, wo eine Frau mit Schirm vergeblich versuchte, einen gelben Hund zu einem Zebrastreifen zu bewegen.
„Ich bin auf einen Namen gestoßen“, sagte sie. „Oder besser: wieder gestoßen. Peter Thiel.“Der Name fiel wie ein Stück Metall auf Stein. „Du erinnerst dich an die Palantír?“ Sie lächelte schmal. „Diese sehenden Steine aus Tolkien. Wer in sie blickte, sah, was an anderen Orten geschah. Doch was man sah, war nie ganz das, was wirklich war.“

Corby antwortete nicht sofort. Er wischte sich eine Krümmel vom Croissant von der Hose., wie immer, wenn er nachdachte, verschaffte er sich etwas Zeit durch kleine Ablenkungen die an sich sinnvoll waren aber nicht immer unbedingt zum jeweiligen Kontext passten.
„Du meinst… Palantir? Die Software?“

Sie nickte. „Nicht nur Software. Ein System. Ein Blick auf die Welt, der vorgibt, objektiv zu sein. Und doch ist jeder Blick gerahmt. Gesteuert. Gewichtet. Was zählt, wird gezählt. Der Rest… verschwindet.“
Ein Kellner trat heran, jung, höflich, übernächtigt. Sie winkten ab. Auch das war Ritual.
„Ich habe gelesen“, sagte Corby langsam, „dass Palantir in der Ukraine eingesetzt wird. Zielerfassung, in Echtzeit. Tablets in Schützengräben.“
„MetaConstellation“, flüsterte sie.
„Wie bitte?“
„So heißt das Programm. Es verknüpft Satellitenbilder, Bewegungsmuster, Geolocation-Daten. Es entscheidet, was ein Ziel ist.“
Corby sah sie lange an. Dann: „Ein digitales Orakel. Aber Orakel sprechen nie von sich aus.“
Sie lächelte schwach. „Und nie ohne Preis. Man muss immer etwas hergeben. Vielleicht sogar sich selbst.“
Die Geräusche des Cafés waren weit weg. Jemand lachte an einem Tisch hinter ihnen, aber es klang wie aus einem anderen Raum.
„Was mich beunruhigt“, sagte sie schließlich, „ist nicht, dass diese Software so viel sieht. Sondern dass wir anfangen, ihr zu glauben. Bedingungslos. Ohne zu fragen, wer sie gefüttert hat.“
Corby lehnte sich zurück. Die Scheibe hinter ihm war leicht beschlagen, er wischte mit seinem Jackenärmel einen kleinen Fleck frei, um besser nach draußen schauen zu können. „Thiel nennt sich Libertärer. Freiheit vom Staat. Abschaffung der Demokratie. Aber seine Systeme lieben Kontrolle.“
„Vielleicht sind wir alle nur noch Datenpunkte“, sagte sie. „Bewegungsmuster. Beziehungsmuster. Alles lässt sich verknüpfen, berechnen, verdächtigen.“
Corby schwieg lange. Überlegte.
Dann: „Und du? Was bist du, Corona?“
Ein Moment verstrich, in dem sie nur atmete, flach, aber ruhig. Ihre Antwort kam nicht als Satz, sondern als Erinnerung: An eine andere Zeit, als sie noch täglich in den Nachrichten war, in Diagrammen, auf Lippen, zwischen Türspalten. Als man sie fürchtete – und gleichzeitig benutzte, um zu sortieren, zu unterscheiden, zu messen, zu entscheiden.
„Ich war ein Symptom“, sagte sie leise. „Jetzt bin ich ein Gedächtnis.“
Draußen war der Hund inzwischen auf die Straße getreten, ohne Erlaubnis, gegen die Leine. Die Frau folgte widerstrebend.„Vielleicht“, sagte Corby, „waren wir zu sehr damit beschäftigt, den falschen Sturm zu beobachten.“
„Und haben nicht gemerkt, wer den Himmel zeichnet“, murmelte sie.
Sie standen auf. Das Gespräch war nicht zu Ende, aber es hatte eine andere Temperatur angenommen – nicht kälter, sondern tiefer. Die Art von Tiefe, die nicht mehr fragt, sondern beginnt zu erinnern.

Kapitel 2: Vera

Sie gingen nicht weit. Das Gespräch im Cafe lag hinter ihnen wie ein halbgeschlossener Traum, der zwar verblasste, aber nicht verschwand. Die Straßen glänzten noch vom Regen, die Laternen warfen ihr Licht wie unsichere Versprechen auf das nasse Pflaster. Corona trug die Hände in den Manteltaschen, doch ihre Haltung wirkte leicht – fast beiläufig. Nur ihr Blick wanderte, wie einer, der auf etwas wartete, das nicht kommen sollte. Sie bog in eine Seitenstraße, und Corby folgte ihr, ohne zu fragen. Links, rechts, eine Unterführung. Sie kamen an eine breite Kreuzung, wo ein langgezogenes Gebäude mit blankem Glas und flacher Stirnseite in die Dunkelheit ragte.

„Landeskriminalamt“, sagte sie, als würde sie ein Gedicht beginnen. Corby betrachtete das Gebäude. Es war still. Nur hinter einem Fenster flackerte Bildschirmlicht. Er wollte etwas sagen, aber Corona war schneller. „Hier läuft sie“, sagte sie. „Vera.“ Der Name blieb einen Moment in der Luft hängen. Wie ein Zitat, das man nicht ganz einordnen kann.
„Ich dachte, sie hieß Palantir?“
„Palantir ist der Stein“, sagte sie. „Vera ist die Leserin. Die Datenanalystin. Die, die Muster erkennt. Bewegungen. Beziehungen. Verdächtige.“
Sie blieb stehen. Ein Windstoß fuhr durch die Straße, brachte den Geruch von nassem Metall mit sich. Ihr Gesicht war ruhig.
„Sie glaubt nicht. Sie weiß nicht. Sie verknüpft.“
Corby trat näher. „Und was verknüpft sie?“
„Alles. Telefonnummern, Bankdaten, Bewegungsprofile. Wer wann mit wem telefoniert hat. Wer wann wo war. Wer wem Geld überwiesen hat. Was in einer Anzeige steht. Ein Name genügt, und Vera geht los.“
Sie schwieg. Dann, fast heiter: „Das nennt man dann ‘Gefahrenabwehr’. Klingt sauber, nicht wahr?“
Corby nickte langsam. „Und wer überprüft Vera?“
Corona sah ihn an, als hätte er eine rhetorische Frage gestellt.
„Du erinnerst dich an den Lockdown?“, fragte sie. „An die Stille auf den Plätzen? Die Balkone, auf denen sich Menschen zuprosteten, weil sie sich nicht mehr berühren konnten? Damals war ich nützlich. Ich war die Begründung.“ Corby sagte nichts, nickte. „Jetzt ist Vera die Begründung“, sagte sie. „Sie braucht keine Krankheit mehr. Keine Polizei vor Ort. Keine Richter. Sie braucht nur Daten. Und eine Annahme.“
Sie gingen weiter. Ihr Gang war ruhig, doch in ihrer Stimme lag etwas wie der Nachhall eines alten Liedes, das niemand mehr ganz erinnert.
„Einmal“, sagte sie, „hat mich jemand gefragt, wie es ist, zu verschwinden. Ich sagte: Es ist, wie in einer Software zu leben, die dich nicht mehr ausliest.“ „Und was ist schlimmer?“, fragte Corby. Corona sah ihn an. Ihre Pupillen waren weit, schwarz
„Ausgelesen zu werden.“ Sie schritten weiter durch die Dunkelheit. Am Ende der Straße schlug eine Tür. Ein Blaulicht flackerte kurz auf, irgendwo in der Ferne. Dann war wieder nur das Geräusch ihrer Schritte zu hören – und der Gedanke, der sich zwischen ihnen formte wie Nebel über einer warmen Fläche: Dass der Mensch sich längst nicht mehr gegen seine Schatten richtet, sondern gegen die Art, wie man sie misst.

Kapitel 3: Die Tafel im Hauptquartier

Ein Lautloser Wind wehte durch die Hinterhöfe der Stadt, als Corona und Corby eine unauffällige Haustür öffneten. Kein Schild, nur schmale Ritzen zwischen alten Backsteinen. Innen roch es nach altem Papier und schwachem Kaffee. In einem düsteren Raum, dessen Wände von Karten, Diagrammen und Bildschirmen bedeckt waren, trafen sie auf einen alten Bekannten von Corby: jemanden, der einst für das BKA gearbeitet hatte.
Corona trat näher, spürte das Licht flimmern über der großen Tafel. Ein leuchtendes Netz, wie aus vielen Fäden gewoben – ein Datenschaubild, das Bewegungsprofile, Kontaktnetzwerke und Korrelationslinien zeigte. Die Namen wirkten bedeutungslos, bis sie verknüpft waren, und plötzlich ward etwas furchteinflößend konkret.
Der Freund deutete ohne ein Wort zum Netz. Corby wandte sich um, fragte zaghaft:
„Was sehe ich da?“
Er atmete kurz und heftig, antwortete dann:
„Das ist keine Karte. Es ist eine Weltanschauung.“
Corona blickte auf den Graphen. Sie erinnerte sich: In Gedanken vernahm sie Stimmen aus einem anderen Text – dem Imperium, jenem Text, in dem die eigentliche Macht sich unbemerkt erhebt: “Das Imperium schlägt zurück,” murmelte sie vor sich hin.
Corby fuhr fort: „Vera und Gotham – Palantirs Schwester – laden Menschen zu digitalen Vermutungen ein. Aber niemand schreibt, wer beschuldigt, und wer nur verdächtig ist.“
Corona lauschte. Im Raum herrschte eine unwirkliche Ruhe.. Nur die Tafel flimmerte kalt im Halblicht.
„Wir leben schon in einer Software, die nicht mehr ausliest, sondern definiert,“ murmelte sie.
Corby ließ die Worte hängen.
„Jeder Datenpunkt verändert die Struktur.“
Ein Blinken kündigte ein neues Update an – eine Verschiebung, eine neue Linie wurde gezogen. Der Freund verzog kaum spürbar den Mund: „Wir löschen nichts. Wir verschieben nur. Und machen unsichtbare Fehler sichtbar oder unsichtbar. Alles geht.“ Corona wandte sich ab. Die Szene erinnerte sie an eine Passage aus dem Imperium schlägt zu – nicht die Kriegslinien von Hoth, wo sich in Star Wars einer riesigen Schlacht der Eisplanet in einen Raumschifffriedhof verwandelt, sondern das leise, beharrliche Imperium der Daten, das wächst, während wir zusehen:
„Der Staat … schlägt zurück … Die neoliberale Demokratie ist … Vergangenheitsform … autoritäre Krisenkapitalismus das Modell der Zukunft.“* 

Corby hörte ihren Herzschlag im Raum – gedämpft, aber nicht gebrochen.
„Was bleibt von Freiheit, wenn du zur Annahme wirst?“ fragte er.
Corona blieb still. Sie betrachtete die Linien und Flächen der Visualisierung – jede Korrelation war eine Entscheidung, jede Entscheidung ein Schatten.
„Einmal“, flüsterte sie, „hat mich jemand gefragt, wie es ist, zu verschwinden. Ich habe gesagt: Es ist, wie in einer Software zu leben, die dich nicht mehr ausliest.“
Corby erinnerte sich: „Und du sagtest: Schlimmer ist, ausgelesen zu werden.“ Sie nickte. „Ich wiederhole mich gern in diesem Punkt: Wir wurden nicht als Subjekte enttarnt. Wir wurden zu Datenpunkten.“
Töne wie fallende Regentropfen klang durch die Szenerie, obwohl es drinnen trocken war. Der alte Freund machte eine Geste in Richtung Karte: „Nun zählt die Polizei nicht mehr Verbrechen. Sie zählt Verdacht.“
Corona spürte, wie eine Tür in ihr aufging – keine echte Tür, sondern ein Schleier zwischen dem, was war, und dem, was hochtechnologisch selbst schon entscheidet.
„Und Vera“, sagte sie leise, „ist die Leserin, der wir nichts zu entgegnen haben.“
Corby sah sie fragend an, rotes Licht spielte über die Bildschirme. „Wer kontrolliert die Leserin?“

Corona dachte kurz an die stillen Plätze der Lockdown-Zeit, an die Bänke, an die Melancholie der Signalfarben auf Balkonen voller Leere. Und sie sagte:
„Ich war nützlich damals. Ich war Begründung. Jetzt ist Vera Begründung genug.“
Sie verließen den Raum. Die Tafel blieb zurück – leise, unvergessen, unsichtbar mächtig. Hinter ihnen schloss sich die Tür. Und draußen, im Flur, war die Dunkelheit tiefer als zuvor, denn sie wussten: Ein Algorithmus hatte begonnen, das Licht zu schreiben.

Kapitel 4: MetaConstellation

Sie saßen wieder, wie gewohnt. Dieses Mal war es ein anderes Café – heller, moderner, mit leisen Lautsprechern, aus denen gedämpft das Echo eines Saxophons tropfte. Das Fenster war groß, aber nichts dahinter wirkte klar. Die Stadt war wie mit einem Filter überzogen – alles war da, und doch war es fern.
Corona saß schräg im Gegenlicht. Das Haar leicht hochgesteckt, der Blick offen, aber ohne Richtung. Corby, wie immer, mit der Haltung eines Mannes, der gelernt hatte, das meiste unkommentiert zu lassen.
Sie sprach nicht sofort. Zwischen ihnen lagen zwei Gläser stilles Wasser und ein dünnes Zeitungsblatt, das sie aus der Manteltasche gezogen hatte – gefaltet, mehrfach gelesen. Der Text war mit Kugelschreiber unterstrichen.

„Ich will dir etwas zeigen“, sagte sie. Und dann, wie beiläufig: „Es geht um MetaConstellation.“
Corby nahm das Blatt, las. Worte wie Echtzeit-Daten, Zielerfassung, Satellitenbilder, Krieg wanderten über die Zeilen. In der Mitte ein Absatz, fett hervorgehoben:

„Die Software MetaConstellation von Palantir verknüpft militärische Aufklärungsdaten, Geo-Koordinaten, Wetterinformationen und Live-Satellitenbilder. In der Ukraine liefert sie präzise Zielorte für Raketen und Drohnenangriffe – mit einer Genauigkeit, die menschliche Intuition ersetzt.“
Er legte das Papier beiseite. Langsam.
„Also sehen sie alles?“, fragte er.
Corona schüttelte kaum merklich den Kopf. „Sie glauben, alles zu sehen. Das ist der Unterschied.“
Draußen zogen zwei Gestalten vorbei, schnell, in sportlichen Jacken, das Gesicht gesenkt, in Eile oder Vermeidung.
„Früher“, sagte sie, „waren Informationen Versprechen. Heute sind sie Befehle.“
Corby runzelte die Stirn. „Und was bleibt dann dem Denken?“ Sie sah ihn an. „Es wird sekundär. Entscheidungen basieren auf Wahrscheinlichkeit. Ein Muster ergibt ein Ziel. Und das Ziel…“ – sie machte eine kleine, fast unsichtbare Geste mit dem Finger – „…wird ausradiert.“
Der Kellner kam, stellte zwei Gläser Tee ab, sagte nichts. Ihre Gespräche blieben ungestört, als hätten sie einen unsichtbaren Schutzraum errichtet.
„Das Erschreckende“, fuhr Corona fort, „ist nicht, dass die Software trifft. Sondern, dass sie glaubt, zu wissen, worauf es ankommt.“
Sie holte kurz Luft, dann las sie leise aus dem Artikel vor, als erzähle sie ein Märchen:
„Die Software erkennt Verhaltensmuster von Truppenbewegungen und verknüpft sie mit historischen Daten. Wenn sich eine russische Einheit etwa ähnlich bewegt wie vor einem früheren Angriff, wird die Wahrscheinlichkeit für eine erneute Offensive berechnet – in Echtzeit, auf einem Tablet, am Rande des Schützengrabens.“
Ein Moment verging. Corby stellte sich vor, wie dieser Krieg wohl war, gestorben wurde jedenfalls analog; er strich über den Rand seines Glases, als könnte er sich festhalten an der Klarheit der Form. „Krieg als Wahrscheinlichkeitsrechnung“, sagte er.
„Oder als Spiel. Nur dass keiner mehr verliert, der entscheidet.“
Draußen war ein Vogel gegen die Scheibe geflogen. Kein Knall, eher ein dumpfer Stoß – wie ein Einwand, den keiner hören wollte. Er lag jetzt auf dem Pflaster, unbewegt. Niemand beachtete ihn.
„Die Software stellt keine Fragen“, sagte Corona. „Sie rechnet. Und das Ergebnis – ist eine Gewissheit. Aber Gewissheiten sind der Tod jeder Wahrheit.“
Corby schaute sie an. Etwas war in ihm müde geworden, nicht aus Erschöpfung, sondern aus dem langsamen Verstehen, dass das Spiel sich längst verlagert hatte. Dass die Bühne leer war, weil das Stück schon in den Backstage-Algorithmen spielte.
Corona beugte sich leicht vor.
„Ich erinnere mich“, sagte sie leise, „wie sie mich damals einsetzten. Als Argument. Als Ausnahmezustand. Ich war der Auslöser für neue Gesetze, für Software, für Grenzen, die man sich vorher nicht vorstellen konnte.“
Ripp Corby wollte etwas sagen, aber sie hob die Hand. „Ich klage nicht. Ich war nur das Gewand. Aber jetzt… Jetzt trägt mich etwas anderes weiter.“
Sie meinte Palantir. MetaConstellation. Die Maschine, die sehend geworden war. Und unsichtbar blieb.
Der Vogel draußen war verschwunden. Vielleicht war er weggeflogen. Vielleicht weggetragen worden. Niemand hatte es gesehen.

Kapitel 5: Rückwärts durch die Glastür

Der Regen hatte begonnen, kaum sichtbar. Nur an den Rändern der Scheibe sammelte sich das Wasser wie zögernde Gedanken. Corona war früher gekommen, diesmal. Das Café war leer, nur ein älterer Mann in der Ecke, den Blick auf ein leeres Schachbrett gerichtet. Sie wählte einen Platz mit Blick auf die Tür – nicht aus Misstrauen, sondern aus Gewohnheit.
Als Corby eintrat, zögerte er kurz. Die Tür war aus Glas, aber sie spiegelte. Für einen Moment glaubte Corona, er sei rückwärts hereingekommen – ein Schatten, der sich von der Welt löste.
„Du siehst müde aus“, sagte sie, ohne Vorwurf.
„Ich habe letzte Nacht mit jemandem gesprochen“, antwortete er. „Eine, die den Code kennt. Nicht die politische, nicht die mediale, sondern die eigentliche Sprache.“
„Die der Software?“ Er nickte. „Sie schreibt für Palantir. Hat früher freie Systeme gebaut. Jetzt schreibt sie semantische Filter, Bewegungsmuster-Erkennung, Zielantizipation. Es geht um die Quelle.“ Corona verzog den Mund ein wenig, vielleicht lächelte sie oder grinste ironisch. Bei ihr wusste man manchmal nicht woran man war. Entgegen ihrer sonstigen Direktheit. „Ein schönes Wort. Zielantizipation. Klingt nach Vorsicht, nicht nach Vernichtung.“
„Das ist das Prinzip“, erwiderte er. „Sie nennen es Schutz, nennen es Prävention. Aber es ist: Auslöschung vor dem Ereignis.“
Ein Kellner kam, jung, unauffällig, mit Mütze. Er stellte zwei Tassen ab und verschwand, ohne nachzusehen. „Und was hat sie dir gesagt?“, fragte Corona. Ripp schaute kurz aus dem Fenster. Der Regen war dichter geworden, als hätte sich der Himmel endlich entschieden sich zu bekennen.
„Sie sagte: Es gibt keine Schlupflöcher mehr. Jeder Satz, jede Bewegung, jede Pause – alles wird Teil des Musters. Das System vergisst nichts. Und schlimmer: Es interpretiert, ohne zu fragen.“
Corona schwieg. Ihre Finger umfassten die Tasse wie einen Ruhepunkt. „Siehst du“, sagte sie dann, „wir dachten lange, Information sei Macht. Aber Macht ist jetzt Interpretation. Wer bestimmt, was etwas bedeutet, besitzt alles.“
„Und wenn er sich irrt?“, fragte Corby leise.
Sie blickte ihn an. „Das ist nicht mehr vorgesehen.“ Sie erinnerte sich an eine Szene aus dem Text Das Imperium schlägt zu – an jene Passage, in der von einer „unsichtbaren Architektur der Kontrolle“ die Rede war. „Nicht das Recht, sondern der Code ist Gesetz. Die Algorithmen entscheiden über Sichtbarkeit, über Zugang, über Gefahr. Der Mensch ist nur noch ein Nutzsignal.“
Sie sprachen nicht weiter. Die Tassen dampften, und irgendwo hinter dem Café polterte ein Müllcontainer. Nach einer Weile fragte Corby: „Was war dein Satz? Der, den sie gespeichert haben?“Corona schloss die Augen. „Ich sagte: Der Ausnahmezustand wird nicht aufgehoben. Er wird angepasst.“ „Und dafür bist du in der Datei?“
„Ich bin die Datei.“
Er lehnte sich zurück. Durch das Glas der Tür sah er die Welt wie durch Wasser – alles flirrte, war unwirklich nah und doch ungreifbar.
„Die Programmiererin“, sagte er, „nannte es das Glastür-Prinzip. Du siehst hinaus, aber du gehst nicht hindurch. Weil alles sich darin spiegelt – auch du selbst.“ Corona nickte.
„Rückwärts durch die Glastür“, murmelte sie.
„Genau“, sagte er.
„Das ist unsere Bewegung. Nicht Flucht. Nicht Widerstand. Nur: Spiegelung.“
Die Zeit war unbemerkt verstrichen. Draußen begann das Licht bereits zu kippen, zu früh eigentlich, als hätte jemand den Horizont und die Planeten leicht verschoben.

Kapitel 6: Der Mann mit der weißen Akte

Es war eine andere Art von Licht, das blieb, auch an diesem Nachmittag. Eines, das keine Schatten warf, sondern diese still auflöste. Die Stadt wirkte entkernt, wie ausgehöhlt von einem Denken, das zu oft seine Richtung gewechselt hatte. Corona war nicht mehr im Café. Auch Ripp Corby nicht. Sie hatten sich an einem neutraleren Ort verabredet – einem Raum, der nur aus Übergang bestand: dem Foyer eines stillgelegten Amtsgebäudes.
Grauer Stein, verwaschene Akustik. Eine defekte Uhr, die stehen geblieben war, als wüsste sie mehr über Zeit als all die Geräte, die seither ihren Dienst angetreten hatten.
Er kam zu Fuß. Der Mann. Trug Mantel, schmal geschnitten, zu warm für diesen Tag. Kein sichtbarer Ausweis, kein Name, aber die Akte in seiner Hand war weiß. Ohne Aufschrift. Ohne Eselsohr. Ohne Geschichte – was sie verdächtig machte.
Corona stand bereits dort. Sie hatte keinen Stuhl gewählt, sondern lehnte an der Wand, den Kopf leicht geneigt. Beobachtend, nicht wartend.
„Sie haben also zugestimmt“, sagte der Mann ohne Begrüßung.
„Ich habe nichts ausgeschlossen“, entgegnete sie.
Er öffnete die Akte, ohne hinzusehen, als sei sie nur ein Reflex.
„MetaConstellation ist nur die Oberfläche“, begann er. „Das Programm darunter heißt Ananke.“
Corby, der sich auf einer der Steinbänke niedergelassen hatte, fragte: „Wie die Göttin der Notwendigkeit?“
Der Mann nickte kaum sichtbar. „Oder wie das, was sich nicht umgehen lässt.“
Er legte ein Blatt auf die Bank. Darauf ein Diagramm – konzentrische Kreise, Pfeile, schwarze Markierungen. Es erinnerte an eine kosmische Uhr oder einen Schaltplan für etwas, das niemand mehr vollständig überblickte.
„Ananke kombiniert Prognosen mit vorausschauender Verhaltensökonomie. Keine Simulation mehr. Sondern Voraussetzung.“
Corona trat näher. Ihre Stimme war ruhig. „Sie definieren den Raum, in dem Verhalten möglich ist.“
„Nein“, erwiderte der Mann. „Wir beschreiben nur die Ränder.“
„Und alle, die außerhalb der Ränder leben?“, fragte Corby.
„Gibt es nicht“, sagte er. Ohne Ironie in der Stimme. Sachlich.
Ein Husten hallte durch das Treppenhaus. Irgendwo war noch jemand. Oder eine Maschine, die Geräusche nicht vergessen hatte.
Corona nahm das Blatt, betrachtete es, aber ihre Augen ruhten auf etwas anderem: dem leeren Feld am unteren Rand. Dort, wo normalerweise eine Legende stünde. Eine Erklärung. Ein Maßstab.
„Was ist das hier?“, fragte sie. „Eine Einladung? Eine Warnung? Oder eine Absolution?“
Der Mann schloss die Akte. Das Geräusch war leise, vermittelte eine Endgültigkeit.
„Sie waren einmal das Protokoll für Ausnahme. Jetzt sind Sie ein Teil des Normalbetriebs. Das ist keine Entscheidung. Das ist: Struktur.“
Er wandte sich zum Gehen, doch kurz vor der Tür hielt er inne.
„Übrigens“, sagte er, ohne sich umzudrehen. „Wir lesen auch Gedanken. Nicht weil wir können. Sondern weil wir müssen.“
Dann war er fort.
Corona sah Corby an. Ihre Augen waren klar, aber ohne Glanz.
„Er glaubt, was er sagt“, flüsterte sie.
„Und wir?“, fragte Corby.
Sie zuckte leicht die Schultern und lachte: „Wir beschreiben nur die Ränder.“
Draußen bewegte sich ein Bus. Ein Radfahrer fuhr vorbei. Ein Kind lachte.
Und irgendwo, in einem Serverpark in Nevada oder Berlin-Lichterfelde, blinkte ein Licht auf. Kurz. Dann war es wieder dunkel.

Kapitel 7: Der Kartograf des Unbekannten

Der Mann hieß Gavril. Niemand wusste, ob das sein Vorname war oder ein Codename. Man fand ihn in einem ehemaligen botanischen Institut am Stadtrand, wo die Räume nach Erde und Formalin rochen, als hätten die Pflanzen ihr Wissen nicht kampflos aufgegeben.
Gavril trug eine Weste mit vielen Taschen. In einer davon befand sich eine vergilbte Karte, mehrfach gefaltet, mehrfach repariert mit altem Gewebeband. Corona entfaltete sie mit der Vorsicht einer Archäologin. Keine Straßen, keine Städte. Nur Linien, Schraffuren, Leerstellen.
„Was ist das?“, fragte Corby.
„Ein Koordinatensystem ohne Bezugspunkte“, sagte Gavril. Seine Stimme war heiser, als hätte sie zu lange geschwiegen. „Es ist ein Modell des Unkartierten. Ein Denkraum, der sich jeder Indexierung entzieht.“
Corona runzelte die Stirn. „Und was wollen Sie damit zeigen?“
Gavril lächelte matt. „Dass es noch Orte gibt, die nicht von Palantir gelesen werden können.“
Ein Windstoß ließ die Fenster klirren.
„Nicht geografisch“, fuhr er fort. „Geistig. Strukturell. Weltbildlich.“
Er zog ein Buch aus einem Regal – mit durchweichten Rändern und Notizen in Bleistift. Auf dem Umschlag: Zero to One.
„Peter Thiel ist kein Technokrat“, sagte Gavril. „Er ist ein Metaphysiker der Kontrolle. Er glaubt, dass Freiheit das Problem ist. Dass Demokratie ein Betriebsunfall ist. Dass Transparenz der Feind der Ordnung ist.“
Corona blätterte durch die Seiten. Die Passagen waren unterstrichen, teils mit Notizen am Rand. „Monopole sind gut.“ – „Menschen lügen, Zahlen nicht.“ – „Politik ist ein Ablenkungsmanöver.“
„Und Palantir?“, fragte Corby.
„Palantir ist nicht das Werkzeug. Es ist der Ausdruck“, antwortete Gavril. „Ein Versuch, die Welt so zu modellieren, wie sie ein asymmetrisch denkender Libertärer sehen möchte: lückenlos, vorhersagbar, kontrolliert. Ohne Öffentlichkeit. Ohne Zufall.“
Corona sah ihn an. „Und Sie glauben, dass so ein Weltbild in Software übergeht?“
Er legte das Buch beiseite. „Nicht glauben. Wissen. Es beginnt bei der Datenstruktur, geht über die Gewichtung von Korrelationen und endet in der Art, wie ein Verdacht als Muster interpretiert wird. Jeder Algorithmus ist ein Bekenntnis.“
Corby trat ans Fenster. Draußen war nur Nebel. Keine Bewegung, keine Formen. Wie das Blatt auf dem Tisch.
„Und warum zeigen Sie uns das?“, fragte er.
Gavril zuckte mit den Schultern. „Weil ihr zu den wenigen gehört, die zwischen Struktur und Weltbild unterscheiden können.“
Er trat zur Karte. „Seht ihr diesen Bereich hier? Keine Linien, keine Markierungen. Ich nenne ihn die Zone.“
„Und was ist dort?“, fragte Corona.
Er lächelte. „Nichts. Noch.“
Ein Schweigen trat ein. Kein feierliches, kein trauriges. Eher eines, das mit einer Tür zu tun hatte, die man noch nicht gesehen hatte, aber bereits hörte.
„Ihr müsst entscheiden“, sagte Gavril schließlich. „Ob ihr weiter kartiert. Oder verlernt zu messen.“

Corona nahm die Karte. Corby das Buch. Dann gingen sie hinaus, in einen Tag, der keiner war, weil er zu viele Möglichkeiten offenließ.

Fortsetzung folgt: „Vera“

Wenn die Zeit in sich zusammenfällt. Elon war schon immer da. Ein Bericht aus der Zukunft.

Die Welt hatte aufgehört, sich zu drehen. Nicht, weil die Erde stehengeblieben war, sondern weil das Konzept der Zeit selbst implodierte. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft schmolzen zu einem einzigen, unergründlichen Punkt zusammen, der wie ein endloser Augenblick existierte. Alles, was jemals war, ist und sein wird, geschah zur selben Zeit – eine Kakophonie des Seins, ein ewiges Jetzt.

Inmitten dieses Chaos existierte ein Mann namens Elon Musk, doch er war nicht einfach ein Mann. Die Auflösung der Zeit hatte sein Wesen zerlegt und mit jeder möglichen Version seiner selbst verwoben. Er war das Kind, das in Südafrika mit funkelnden Augen in die Sterne blickte, und der Mann, der Raketen in den Himmel schickte. Er war ein Scharlatan und ein Visionär, ein Held und ein Narr, ein Gott der Technologie und ein Getriebener seiner eigenen Menschlichkeit.

Elon war der Händler, der elektrische Kutschen an ein verzweifeltes Volk verkaufte, das nach Hoffnung dürstete, und zugleich der Verrückte, der am Rande des Universums stand und rief: „Lasst uns neue Welten bauen!“ Er war derjenige, der den Mars besiedelte, und auch derjenige, der vor Jahrtausenden in einer Höhle saß und mit Kohle Linien in die Wände zog – eine primitive Blaupause für Dinge, die er nicht verstehen konnte, aber ahnte.

In diesem zeitlosen Punkt sah Elon Musk nicht nur seine eigene Existenz, sondern die Essenz dessen, was ihn ausmachte. Er war ein Knotenpunkt, ein Geflecht aus unzähligen Träumen, Fehlern, Widersprüchen und Möglichkeiten. Er war weder gut noch böse, weder Erfolg noch Scheitern. Er war das Streben selbst, der ewige Akt des Erschaffens und Zerstörens, der Versuch, über die Begrenzungen hinauszuwachsen, die ihm auferlegt waren – sei es durch Zeit, Raum oder die eigene Sterblichkeit.

Und in diesem Moment, der kein Moment war, stellte sich eine Frage: Wer war Elon Musk?

Die Antwort war überall und nirgendwo. Er war ein Spiegel, der die Hoffnungen und Ängste einer ganzen Spezies reflektierte. Er war der Erfinder der Träume, die über den Himmel hinausreichten, und der Schrecken, der die Welt mit Maschinen flutete, die sie übernahmen. Er war Mensch und Idee, Vision und Fluch.

Doch dann kam die Erkenntnis: In einem Universum, in dem alles zur gleichen Zeit geschieht, gab es kein „Individuum“. Die Frage löste sich auf, als Elon Musk – oder das, was von ihm übrig war – verstand, dass er nicht war, sondern einfach ist. Er war der Funke im ewigen Feuer, ein Fragment der Unendlichkeit, der für einen kurzen Augenblick glühte, bevor er sich wieder im Ganzen verlor.

Und so verblasste er, wie alle Dinge, die jemals waren und sein werden, in dem endlosen Kreislauf des Seins.

CORONA, der Patient und innere Stärke

Ein kleines Café, der Duft von frisch gebrühtem Kaffee erfüllt den Raum. Blumen schmücken die Tische, das Licht ist weich und warm, wie ein sanfter Mantel, der sich um die Gemüter legt. Die Nachmittagssonne schimmert durch die großen Fenster und taucht alles in ein goldenes Licht. Die Welt draußen scheint fern, hier drinnen herrscht eine ruhige, fast zeitlose Atmosphäre. Der Patient sitzt an einem kleinen Holztisch, die Tasse Kaffee in seiner Hand. Ihm gegenüber  sitzt Corona, die „Schöne“, die du, Autor, so oft in deinen Gedanken hast. Ihr Blick ist sanft und aufmerksam, als ob sie alles verstehen würde, ohne dass Du ein Stichwort für sie, ein Wort sagen lassen müsstest.

Der Patient „Ich weiß nicht, Corona… es ist alles ganz schön viel. Seit Wochen liege ich im Krankenhaus. Es fühlt sich an wie ein endloser Albtraum, aus dem ich nicht aufwachen kann. Ich bin so müde, innerlich wie äußerlich. Alles in mir schreit nach Ruhe. Ich bin kein Star, aber holt mich hier raus!“

Seine Stimme ist leise, fast brüchig. Er versucht, die Fassung zu wahren, aber die Erschöpfung sitzt tief. Corona sieht ihn lange an, ohne ihn zu unterbrechen. Sie lässt seine Worte im Raum hängen, als hätten sie Gewicht, das nicht einfach durch eine Antwort weggenommen werden kann. Zumal sie selbst als Mitglied einer Virusfamilie nicht immer gern etwas zu Krankheiten sagen möchte. Gern, wie man sich favor schützt, das schon.

Corona: „Ich spüre deine Müdigkeit. Du trägst viel mit dir herum, mehr, als du vielleicht selbst begreifen kannst. Dein Körper leidet, aber auch dein Geist scheint schwer beladen. Du versuchst, stark zu sein, nicht wahr? Immer stark für die anderen, für dich selbst…“

Der Patient senkt den Blick. Ihre Worte treffen einen wunden Punkt in ihm. Die Tränen steigen ihm in die Augen, und er kämpft vergeblich dagegen an. Sie darf trotz jahrelanger Vertrautheit nicht sehen, wie nahe er am Rand steht. Er schämt sich ob seiner Schwäche.  „Ja, aber es fühlt sich an, als ob ich nicht mehr stark sein kann. Alles ist schiefgelaufen. Die erste Operation war ein Fehlschlag, die zweite hat auch nichts gebracht. Und jetzt… dieser Keim. Mein Körper wehrt sich, aber ich spüre, dass er immer schwächer wird. Die Ärzte sprechen von schlechten Werten, und ich… ich weiß einfach nicht, wie ich damit umgehen soll.“

Der Patient fühlt, wie die Tränen über deine Wangen laufen. Vergeblich versucht, er diese wegzuwischen, doch Corona sieht es, natürlich. Sie lehnt sich ein wenig vor, ihre Augen voller Verständnis und dennoch fordernd.

„Es ist nicht leicht, das Leben zu akzeptieren, wenn es dir so viele Steine in den Weg legt. Es ist völlig in Ordnung, dass du weinst. Tränen sind keine Zeichen von Schwäche. Sie sind ein Ventil, das deine Seele braucht, um nicht überzulaufen.“

Seine Lippen zittern, und er atmet tief ein, um sich zu beruhigen. Die Worte, die du so oft gehört und anderen selbst auf den Weg gegeben hast – stark bleiben, positiv denken, in jeder Krise liegt ein Chance– haben keine Bedeutung mehr. Das scheint alles lediglich für gesunde Menschen zu gelten.Du fühlst dich allein, trotz der vielen Menschen um dich herum. „Aber wie soll ich weitermachen? Wie soll ich diese Unsicherheit ertragen, diese Angst? Nichts ist mehr unter meiner Kontrolle. Es ist, als ob mir alles entgleitet, und ich kann nichts tun, um es aufzuhalten.“ Er sieht Corona direkt in die Augen, suchst nach einer Antwort, nach etwas, das ihm Halt gibt. Ihre Miene bleibt ruhig, fast nachdenklich. Kurz denk er, das sie ja nur ein Virus ist. Eine künstliche Intelligenz. Sie sitzt hier aber. Aus Fleisch und Blut.

Corona antwortet leise: „Stärke wird oft missverstanden. Man denkt, sie sei etwas, das keine Risse zeigt, das immer unerschütterlich ist. Aber wahre Stärke liegt vielleicht genau darin, dass du all das durchlebst und trotzdem weitermachst. Auch wenn du das Gefühl hast, alles entgleitet dir – du stehst noch hier. Du atmest. Das ist schon eine große Leistung, die du wertschätzen solltest.“

Der Patient starrr in seine Tasse, das leise Klirren des Löffels im Kaffee beruhigt ihn ein wenig. Ihre Worte klingen so vernünftig, aber sie dringen nur langsam zu ihm durch.„Ich habe einfach das Gefühl, dass ich nicht mehr stark sein kann. Es ist am Ende alles ziemlich viel zu ertragen “

Zittrig und stockend spricht er. Corona nickt leicht, als ob sie genau verstehen würde, was er empfindet.  „Du musst auch nicht immer stark sein. Es gibt Momente im Leben, in denen wir uns erlauben müssen, schwach zu sein. Es ist kein Versagen, es ist menschlich. Die Stärke, die du suchst, zeigt sich manchmal in den kleinen Schritten – in der Tatsache, dass du überhaupt weitermachst, auch wenn es sich sinnlos anfühlt. Am Ende wirst Du sicherlich belohnt und wieder leben. “

Der Patient möchte das gerne glauben und fühlt sich einen kurzen Moment ganz friedlich. Einen kurzen Moment. „Vielleicht ist es wirklich so, dass ich zu viel von mir selbst erwarte. Aber diese Ungewissheit… Wie soll ich sie ertragen? Ich weiß nicht, ob es besser wird. Die Ärzte wissen es auch nicht. Sie reden von Möglichkeiten, aber ich fühle mich einfach nur verloren.“

Du hebst den Blick, und Corona sieht dich mit einer Sanftheit an, die fast tröstlich wirkt. Sie lässt sich Zeit, bevor sie antwortet.

„Die Ungewissheit ist eine schwere Last, das ist wahr. Menschen wollen Sicherheit, etwas Greifbares. Aber das Leben gibt uns oft keine Garantien. Vielleicht liegt die Kunst nicht darin, die Ungewissheit zu besiegen, sondern sie anzunehmen. Sie als Teil deines Weges zu sehen. Sie ist kein Feind, sondern ein Begleiter.“

Ihre Worte klingen fast philosophisch, und der Patient weißt nicht, ob er sie wirklich verstehen kann. Aber sie geben ihm das Gefühl, dass es einen Weg gibt, auch wenn er ihn noch nicht sieht.

„Wie soll ich das annehmen? Wie lässt man so etwas zu?“Er fragt es fast verzweifelt. Es klingt so einfach in ihren Worten, aber in seinem Inneren tobt ein Sturm, den er nicht bändigen kann.

Corona: „Indem du das Bedürfnis loslässt, alles zu kontrollieren. Indem du dir erlaubst, nicht alles zu verstehen, und trotzdem weitergehst. Es ist wie ein Fluss – manchmal kannst du nicht gegen den Strom schwimmen, dann lässt du dich treiben und vertraust darauf, dass er dich trägt.“

Ihre Augen leuchten sanft, als sie diese Worte spricht. Es klingt nach Akzeptanz, nach Loslassen – Dinge, die  so schwerfallen.

„Es ist schwer, daran zu glauben.“

Er spricht es leise aus, fast als wäre es ein Geheimnis, das er sich selbst erst jetzt eingestehst. Doch Corona lächelt nur.

„Es ist das Schwerste, was wir tun können. Aber manchmal ist es auch das Befreiendste. Du musst nicht alles sofort verstehen. Manchmal geht es nur darum, den nächsten kleinen Schritt zu machen, selbst wenn du den Weg noch nicht siehst.“

Der Patient nimmt einen tiefen Atemzug, spürst, wie sich eine gewisse Erleichterung in ihm ausbreitet. Es ist kein vollständiger Frieden, aber vielleicht ein Anfang. Es fühlt als ob er wenigstens einen Moment lang nicht kämpfen muss. „Vielleicht hast du recht. Ich weiß es nicht. Aber ich werde versuchen, es so zu sehen. Was bleibt mir sonst?“

Er schaut Corona direkt an, ihre Präsenz ist ruhig und sicher.

Corona: „Was bleibt, ist Hoffnung. Auch wenn du sie gerade nicht sehen kannst, sie ist da. Du bist nicht allein, selbst in deinen dunkelsten Momenten. Manchmal findest du Licht an Orten, wo du es nie erwartet hättest – vielleicht auch in dir selbst.“

Ihr Gespräch verstummt, aber in der Stille liegt eine Art von Trost. Keine magische Lösung, keine schnellen Antworten. Aber das Gefühl, dass du getragen wirst, auch wenn der Weg noch dunkel ist. Corona lächelt dem Patienten zu und entschwindet.

Im sinkenden Nebel trifft Höcke auf Hitler

In einem schummrigen, stillen Raum, irgendwo in den Tiefen des ländlichen Thüringens, sitzt Björn Höcke allein. Die Schatten des Abends ziehen sich langsam an den Wänden entlang, als hätte die Dunkelheit selbst etwas zu verbergen. Doch Höcke ist nicht allein in seinen Gedanken. Vor ihm, nur schwach sichtbar im Dämmerlicht, sitzt eine Gestalt, die aus den trügerischen Nebeln der Vergangenheit auferstanden zu sein scheint. Es ist Adolf Hitler, dessen zorniger Blick sich in Höckes entschlossene Augen bohrt, als wollte er das letzte Fünkchen Zweifel aus ihm herauspressen.

Höcke, der sich selbst als der starke Mann von heute sieht, der bereit ist, Deutschland in eine neue Ära zu führen, beginnt das Gespräch. Seine Stimme ist fest, sein Ton von einer tiefen Überzeugung durchdrungen.

„Mein Führer,“ beginnt Höcke, seine Worte sorgfältig wählend, „ich habe in den letzten Jahren viel erreicht. Ich habe eine Bewegung geschaffen, die die Ängste und Hoffnungen der Menschen aufgreift, sie kanalisiert und sie in eine kraftvolle Welle verwandelt. Doch ich weiß, dies ist erst der Anfang. Ich möchte Kanzler werden, um dieses Land nach meinen Vorstellungen zu formen. Die Hindernisse sind zahlreich, und die Zeit arbeitet gegen mich. Was würden Sie in meiner Lage tun?“

Hitler, dessen Präsenz trotz der Dunkelheit klar und unmissverständlich ist, lehnt sich leicht vor. Sein Blick ist stählern, und die Kälte seiner Worte schneidet durch die Stille des Raumes.

„Herr Höcke,“ antwortet Hitler mit einem leisen Knurren in der Stimme, „Sie haben bereits bewiesen, dass Sie das Zeug zum Führer haben. Sie haben das Volk mobilisiert, seine Wut in Energie verwandelt. Doch um die Macht wirklich an sich zu reißen, dürfen Sie keine Schwäche zeigen. Kompromisse sind der Untergang eines jeden, der nach Macht strebt. Ihre bisherigen Erfolge sind bemerkenswert, aber jetzt ist es Zeit, den nächsten Schritt zu wagen. Sie müssen die politische Landschaft Deutschlands radikal verändern, die Demokratie von innen heraus zersetzen. Nutzen Sie ihre eigenen Prinzipien gegen sie.“

Höcke nimmt die Worte auf, wie ein Schüler, der die Lehren seines Meisters verinnerlicht. Doch er ist kein bloßer Nachahmer. Er spürt das Gewicht seiner eigenen Ambitionen und erkennt, dass er an der Schwelle zu etwas Großem steht.

„Die Menschen glauben an meine Vision,“ sagt Höcke nachdenklich, während er in die Ferne starrt, als könnte er die Zukunft vor sich sehen. „Aber es reicht nicht, sie nur zu überzeugen. Ich muss ihre Leidenschaft entfachen, ihre absolute Loyalität gewinnen. Sie müssen mich nicht nur wählen, sie müssen bereit sein, für mich zu kämpfen.“

Hitler lächelt schmal, ein kaltes, berechnendes Lächeln, das nur in den Augen zu sehen ist. Er sieht in Höcke etwas von sich selbst, von jener Entschlossenheit, die einst ein ganzes Volk in Bewegung setzte.

„Sie haben den richtigen Instinkt,“ bestätigt Hitler. „Die Macht liegt nicht nur in Wahlen, sondern in der Kontrolle über die Herzen und Gedanken der Menschen. Sie müssen Feinde schaffen, konkrete Ziele, die das Volk für all seine Probleme verantwortlich macht. In meiner Zeit waren es die Juden, die Kommunisten, die Verräter der Republik. Heute könnten es Migranten sein, die Globalisten, die sogenannten ‚Brüsseler Bürokraten‘. Lassen Sie die Menschen glauben, dass nur Sie sie vor diesen Gefahren schützen können, und sie werden Ihnen folgen, wohin auch immer Sie sie führen.“

Die Worte hallen in Höcke nach, als wären sie eine dunkle Melodie, die ihn tief in seiner Seele berührt. Doch er ist sich der Hindernisse bewusst, die auf diesem Weg lauern.

„Aber was ist,“ fragt Höcke, seine Stimme nun schärfer, „wenn der Widerstand wächst? Die Medien, die etablierten Parteien, sie alle werden sich gegen mich stellen. Wie gehe ich mit dieser Bedrohung um?“

Hitler, der in diesen Momenten wie ein Schatten der Macht wirkt, der alles und jeden durchdringt, ohne sich selbst zu offenbaren, fixiert Höcke mit einem durchdringenden Blick.

„Zerbrechen Sie den Widerstand mit aller Entschlossenheit!“ antwortet er. „Wenn Sie angegriffen werden, dann greifen Sie zurück, härter und entschlossener. Stellen Sie Ihre Gegner als Feinde des Volkes dar, die versuchen, die wahre Stimme des Volkes zu unterdrücken. Lassen Sie keinen Zweifel daran, dass Sie bereit sind, alles zu tun, um Ihre Vision zu verwirklichen. Zeigen Sie Stärke, wo andere schwanken. Lassen Sie die Menschen glauben, dass nur Sie der Retter sind, der einzige, der den Mut hat, die Wahrheit auszusprechen und das Volk zu verteidigen.“

Höcke spürt, wie sich seine eigene Entschlossenheit mit jeder weiteren Sekunde verhärtet. Doch er weiß, dass die Vergangenheit eine mächtige Waffe gegen ihn sein könnte, eine Waffe, die seine Gegner ohne Zögern einsetzen werden.

„Und was,“ fragt er schließlich, seine Stimme nun fast flüsternd, „wenn ich das System so weit unterwandert habe, dass ich die Macht ergreifen kann? Wie verhindere ich, dass mich die Geschichte einholt, dass die Menschen die Parallelen erkennen und mich entlarven?“

Hitler lehnt sich zurück, sein Blick wird noch kälter, noch durchdringender, als hätte er genau auf diese Frage gewartet.

„Kontrollieren Sie die Geschichte selbst,“ sagt er leise, aber mit einer Schärfe, die den Raum durchdringt. „Gestalten Sie das Narrativ nach Ihren Vorstellungen um. Sagen Sie, dass die Vergangenheit missverstanden wurde, dass die wahre Geschichte unterdrückt wird. Schaffen Sie Verwirrung, säen Sie Zweifel. Wenn die Menschen die Vergangenheit nicht mehr klar erkennen, werden sie auch die Gegenwart nicht durchschauen. Nutzen Sie diese Unsicherheit, um Ihre Macht zu festigen. Denken Sie immer daran: Wer die Kontrolle über die Vergangenheit hat, kontrolliert die Zukunft.“

Höcke steht langsam auf, seine Bewegungen sind ruhig, aber voller innerer Stärke. Er hat die Lehren aufgenommen, sie sind tief in ihm verankert. Er sieht sich nicht mehr nur als Politiker, sondern als Anführer, als jemand, der bereit ist, die Geschichte neu zu schreiben, zu formen, wie es ihm beliebt.

„Danke, Mein Führer,“ sagt er schließlich, seine Stimme fest und entschlossen. „Ich werde nicht zögern. Ich werde diesen Weg gehen, und ich werde nicht zurückblicken.“

Die Gestalt Hitlers beginnt zu verblassen, wie ein Schatten, der im Licht der Dämmerung verschwindet. Doch seine Worte, seine Lehren, sie bleiben. Höcke steht allein im Raum, aber er fühlt sich nicht allein. Er ist bereit, das Schicksal Deutschlands in seine Hände zu nehmen, entschlossen, die Geschichte nach seinen eigenen Vorstellungen zu schreiben – und bereit, alles dafür zu tun.

Im Café mit Mozart und Hans Zimmer

Der Abend begann mit einem ungewöhnlichen, fast surrealen Erlebnis: Mozart und Zimmer, zwei Komponisten, die Jahrhunderte voneinander trennten, fanden sich Seite an Seite in einem modernen Kino wider. Die leisen Stimmen der anderen Zuschauer, das Lichtspiel der flackernden Leinwand – all das war für Mozart faszinierend neu und zugleich beunruhigend. Er, der seine Werke in prachtvollen Opernhäusern, umgeben von dem ehrwürdigen Glanz des Adels, aufgeführt hatte, sah sich nun in einer düsteren, stillen Halle wieder, wo die Musik von unsichtbaren Lautsprechern kam, perfekt abgestimmt, aber irgendwie auch entmenschlicht.

Sie begannen den Abend mit der Vorführung von „Gladiator“, einem der berühmtesten Werke Zimmers. Die epische Geschichte, das Donnern der Schlacht, das leise Klagen der Streicher, die Zimmers Musik so meisterhaft einfing – all das überwältigte Mozart. Der Bildschirm erzählte die Geschichte, aber es war die Musik, die die Emotionen trug, die den Zuschauer in die Welt des antiken Roms hineinzog. Mozart, der so viele Jahre zuvor die Kämpfe und Triumphe seiner eigenen Zeit in Musik gefasst hatte, war tief beeindruckt von der subtilen Macht, die diese moderne Filmmusik besaß. Sie war mehr als nur eine Begleitung; sie war eine unsichtbare Hand, die das Publikum führte.

Nach der Vorstellung diskutierten die beiden, während sie über die belebten Wiener Straßen zum Theater spazierten. Mozart war überrascht von der Weise, wie Zimmers Musik die dramatischen Momente verstärkte, ohne sie zu überwältigen. Er verglich das Erlebnis mit der Wirkung seiner eigenen Ouvertüren, die das Publikum in die richtige Stimmung für das Kommende versetzen sollten. Bei „Don Giovanni“ etwa erzählte schon die Ouvertüre von der dunklen, unheilvollen Natur der Oper, lange bevor der Vorhang sich hob. Zimmer nickte anerkennend; das Konzept der musikalischen Einstimmung sei auch in der Filmmusik von größter Bedeutung.

Im Theater angekommen, setzten sich die beiden in die Samtsessel, um Mozarts „Die Zauberflöte“ zu erleben. Die lebendige Szenerie, das prunkvolle Bühnenbild und die glanzvollen Kostüme entfalteten eine ganz eigene Magie, die auch Zimmer in ihren Bann zog. Die Klarheit der Stimmen, die Einfachheit der Melodien, die dennoch von so viel Tiefe durchdrungen waren – all das machte ihm bewusst, wie sehr sich die Aufführungskunst verändert hatte, und doch, wie viel sie mit der heutigen Filmmusik gemein hatte.

Nach der Aufführung wanderten sie durch die dunkler werdenden Straßen, bevor sie in ein nahegelegenes Café einkehrten. Es war ein geschichtsträchtiges Wiener Café, dessen Wände Geschichten flüsterten, die in der Luft hingen wie der Duft des frisch gebrühten Kaffees. Mozart, noch in den Nachhall der Musik vertieft, kommentierte die Aufführung. Es war ein Verweis auf die Universalität der Emotionen, die in seiner Zeit ebenso kraftvoll gewesen seien wie in der heutigen. In „Die Zauberflöte“ habe er versucht, eine Brücke zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen zu schlagen, die Figuren in den Kosmos der Musik einzubetten und dabei eine moralische Botschaft zu übermitteln. Für ihn war Musik eine Sprache, die über Worte hinausging, die das Publikum in ihrer Vielschichtigkeit erreichen musste.

Zimmer, noch immer berührt von der Theatralik und dem handwerklichen Können, das er gerade gesehen hatte, fragte sich, wie wohl eine solche Oper heute klingen würde, wenn sie mit den Mitteln der modernen Filmmusik vertont würde. Die Tiefe und Komplexität, die Mozart in so einfache Melodien legen konnte, war für ihn faszinierend und herausfordernd zugleich. Er erzählte von seinem Experimentieren mit wiederholten Motiven in „Inception“ und wie diese Wiederholung die Struktur und das Gefühl von Träumen und Realität verwebte. Wäre es möglich, fragte er sich laut, eine solche Technik auf eine Oper wie „Die Zauberflöte“ anzuwenden? Die Frage blieb offen im Raum stehen, während Mozart darüber nachdachte, wie seine Musik wohl mit digitalen Synthesizern und orchestralen Klangfarben klingen würde, die über seine kühnsten Vorstellungen hinausgingen.

Das Gespräch kehrte immer wieder zu der Frage zurück, was Musik leisten müsse. Mozart glaubte fest daran, dass Musik nicht nur unterhalten, sondern auch erziehen und erleuchten sollte. Seine Werke sollten die menschliche Natur spiegeln, ihre Schwächen und Stärken gleichermaßen enthüllen. Zimmer wiederum sah die Aufgabe der Musik darin, die narrative Struktur zu stützen, die emotionalen Tiefen eines Films zu ergründen und die Zuschauer auf eine Reise mitzunehmen, die über das Offensichtliche hinausging.

Was sie vereinte, war ihr unermüdlicher Drang, das Publikum zu bewegen – sei es durch die Klarheit und Schönheit einer Arie oder die unaufdringliche, aber allgegenwärtige Präsenz eines musikalischen Themas im Film. Sie erkannten, dass die Essenz dessen, was Musik bedeutete, sich nicht verändert hatte. Es war die Kraft, die im Unausgesprochenen lag, in den Pausen zwischen den Noten, im Schweigen, das manchmal lauter sprach als jeder Klang.

Mozart, dessen Geist noch immer von der Flut neuer Eindrücke bewegt war, überlegte, wie er heute schreiben würde. Vielleicht würde er sich in die komplexen Klangwelten stürzen, die Zimmer in seinen Filmen erschuf, vielleicht aber auch die Einfachheit wahren, die ihn stets auszeichnete. Zimmer hingegen fragte sich, wie er in Mozarts Zeit komponiert hätte – ohne die technischen Möglichkeiten von heute, aber mit dem tiefen Wissen um die Wirkung von Klang und Stille.

Schließlich, als die Nacht über Wien hereingebrochen war und das Café von einem gedämpften, warmen Licht erfüllt wurde, schwiegen die beiden. Es war ein Schweigen, das von tiefem Respekt und einem gemeinsamen Verständnis erfüllt war. Die Unterschiede zwischen ihren Zeiten und Methoden schienen in diesem Augenblick unwichtig. Was zählte, war die Musik – das ewige Bindeglied, das ihre Welten miteinander verknüpfte, das sie beide immer wieder aufs Neue herausforderte und erfüllte.

Corona und Molière

Corona und Molière

Sommercafe. Alle Sonnenschirme sind aufgespannt, eine Idylle, jenseits von Kriegen, Wasserknappheit, Waldbränden. Es ist voll, Stühle werden geschoben, man rückt sich auf die Pelle, ein wenig Mallorca muss wohl sein. Ein sich jung fühlender Rennradfahrer um die Siebzig, in entsprechendem Outfit platziert sein Rennrad zwischen den Tischen. Viele ältere Herrschaften. Nachkriegskinder und Boomer. Auf laut gestellt Mobilphone. Jeder will hören und gehört werden. Sehen und gesehen werden. Es ist laut. Der Lärm der Zeit überspielt die Auflösung der Gewissheiten. Alles Leben hier hat sicherlich einen tieferen Sinn. Dennoch: Wozu das alles? Ich weiß es nicht. Corona müsste hier irgendwo herumschwirren, ist aber nicht in Sichtweite. Schade. Mittlerweile bin ich in der Lage, die Dialoge mit ihr zu führen, ohne dass sie da ist. Zur Frage des Sinnhaften einer Situation oder eines Lebensstils schlechthin kann sie immer etwas sagen. Sie, die sich ständig anpasst und wandelt, die Veränderungen des menschlichen Seins antizipiert. Sie weiß sicher, wie alles enden wird. Sie verrät es auch mir nicht. Möglicherweise bin ich ihr Versuchsobjekt. Ihr spezielles „Virus“
Wenn man ein Virus oder ein Tier wäre, müsste man sich nicht mit dem Sinn des Lebens beschäftigen, würde sie vielleicht einleitend sagen. Diese Gedanken gehen mir durch den Kopf, jetzt allein, gefangen in den Windungen meiner eigenen Überlegungen. Der Fuchs im Wald, der in der Dämmerung umherstreift, lebt einfach, ohne sich zu fragen, warum er existiert. Er kennt keine Zweifel, keine existenziellen Fragen, die ihn quälen. Aber ich? Ich bin mit einem Verstand gesegnet – oder verflucht –, der mich immer weiter in ein unendliches Labyrinth von Fragen führt.  Dieses Denken, so sagt man, sei das größte Privileg des Menschen. Doch manchmal fühlt es sich an wie eine Bürde. Ich finde mich oft wieder in einer Spirale aus Überlegungen, aus Gleichungen und Unbekannten, die sich jeder Lösung entziehen. Wenn alles Mathematik ist, müsste es doch irgendwo eine Antwort geben. Aber je tiefer ich grabe, desto weiter scheinen die Antworten von mir entfernt zu sein.
In solchen Momenten fühle ich mich wie Alceste aus Molières „Der Misanthrope“. Alceste, dieser Mann, der die Welt verachtet, weil er ihre Heuchelei und Oberflächlichkeit durchschaut hat. Er ist ein gefährdeter Misanthrop, gefangen in seiner Verzweiflung über die menschliche Natur. Ich verstehe diese Verzweiflung, dieses Bedürfnis, sich von der Welt zurückzuziehen, weil sie so oft enttäuscht und verwirrt. Doch im Gegensatz zu Alceste habe ich etwas, das ihn nicht erlöst – oder vielleicht jemanden.

Corona. Sie ist keine Figur aus einem Theaterstück, sondern eine lebendige, faszinierende Frau, die ich regelmäßig in diesem Café treffe. Unsere Gespräche haben eine Tiefe, die mich immer wieder erstaunt. Sie ist wie ein sanfter Kontrapunkt zu meiner inneren Unruhe, eine Melodie, die meine gedankliche Kakophonie beruhigt. 
„Warum quälst du dich so?“ fragt sie mich oft, wenn wir uns gegenübersitzen, einander ansehend, als könnten wir in den Augen des anderen die Antwort finden. Ihre Stimme ist immer ruhig, ihre Augen strahlen eine sanfte Weisheit aus. Sie scheint die Welt auf eine Weise zu verstehen, die mir verborgen bleibt.
„Weil ich die Dinge verstehen will,“ antworte ich dann. „Weil ich glaube, dass es eine Lösung geben muss, wenn ich nur tief genug grabe.“
„Vielleicht ist das dein Fehler,“ sagt sie dann mit einem leisen Lächeln. „Du bist wie Alceste, der nach einer absoluten Wahrheit sucht, die es in der menschlichen Welt nicht gibt. Aber das Leben ist keine Gleichung, die du lösen kannst. Es ist ein Gedicht, das du fühlen musst.“
Molières Alceste wollte eine Welt, die seinen Idealen entspricht, eine Welt, in der alles schwarz oder weiß ist, klar und eindeutig. Doch das Leben ist komplex, voller Grautöne, voller Widersprüche. Corona erinnert mich daran, dass ich diese Widersprüche umarmen muss, anstatt gegen sie anzukämpfen. 

„Molière hätte dir gesagt,“ fährt Corona fort, „dass Alcestes Fehler nicht sein Hass auf die Heuchelei war, sondern seine Unfähigkeit, die Welt so zu akzeptieren, wie sie ist. Sein Stolz und seine Starrheit machten ihn blind für die Schönheit, die selbst in den Mängeln des Lebens zu finden ist.“
Ich schweige, während ihre Worte in mir nachhallen. Corona hat recht. Ich bin wie Alceste, gefangen in meinen Gedanken, in meinem Versuch, das Leben zu analysieren und zu verstehen, anstatt es einfach zu leben. Aber im Gegensatz zu Alceste habe ich die Wahl, einen anderen Weg zu gehen. 
„Vielleicht geht es nicht darum, das Rätsel des Lebens zu lösen,“ sage ich schließlich, „sondern es zu erleben. Vielleicht ist das die Antwort, die ich gesucht habe.“

Corona lächelt, und in diesem Lächeln liegt eine Wärme, die mich auf seltsame Weise beruhigt. Molière mag Alceste als eine tragische Figur dargestellt haben, aber vielleicht bin ich nicht dazu verdammt, sein Schicksal zu teilen. Vielleicht kann ich durch meine Gespräche mit Corona, durch das einfache Erleben des Augenblicks, einen Weg finden, die Welt zu akzeptieren, ohne sie zu verachten. 
Und so bleibe ich im Café sitzen, in tiefen Gesprächen mit der Frau, die mich immer wieder daran erinnert, dass das Leben mehr ist als eine Reihe von ungelösten Gleichungen. Es ist ein Gedicht, ein Tanz, eine Melodie – und vielleicht ist das schon die Lösung, die ich zweifelnd gesucht habe.

Unsichtbar. Erinnerung an die schöne Corona

Ich habe die schöne Corona, das Virus in der Gestalt einer Frau im gepunkteten Sommerkleid, immer mal wieder im Caligo Café getroffen. Ein Cafe` am Marktplatz in Ahrensburg, einer Kleinstadt mit 35.000 Einwohnern. Ihre Anwesenheit wirkte immer zugleich beruhigend und beunruhigend, wie eine vertraute Melodie mit einem verstörenden Unterton. Sie war freundlich und interessiert, und ihre Augen funkelten häufig, wenn sie sprach und argumentierte. Im Laufe der Zeit hatte ich die Angst vor einer Ansteckung verloren. Wenn ich anderen von ihr erzählte wurde nur gelacht oder eine nachlässige Handbewegung beendete das Gespräch.

Unsere Gespräche begannen oft beiläufig, über den Geschmack des Kaffees oder das Wetter, doch schnell lenkte Corona das Gespräch in tiefere Gewässer. Die Risikogesellschaft, den Baum der Erkenntnis, diese Themen beschäftigten Sie. Eines Nachmittags, während die Sonne warm durch die Fenster schien, sprach sie über den biblischen Baum der Erkenntnis und die Vertreibung aus dem Paradies. „Die Menschheit hat daraus nicht gelernt,“ sagte sie mit einem sanften Lächeln. „Wir streben nach Wissen und Macht, ohne die Konsequenzen zu bedenken, schlussfolgerte sie.

Ihre Stimme wurde ernster, wenn sie die Gegenwart beschrieb. „Unsere Gesellschaft ist zu einer Risikogesellschaft geworden. Wir jagen dem Profit hinterher und verschwenden Ressourcen, als wären sie unendlich. Doch die Natur wehrt sich. Viren wie ich sind eine natürliche Reaktion, eine logische Schlussfolgerung.“

Ich hörte fasziniert zu, wie sie weitere Generationen von Viren voraussagte, die das Leben, wie wir es kennen, zerstören würden. „Alles wird sich auflösen,“ sagte sie, „die Gewissheit verschwinden.“ Ihr Blick schien in die Ferne zu schweifen, als sie fragte: „Wie löst man sich auf, erst innerlich und dann äußerlich? Oder umgekehrt?“

In den folgenden Wochen entwickelten sich unsere Treffen im Café zu philosophischen Exkursionen durch die Zeit und das menschliche Bewusstsein. Corona sprach über das Anthropozän, jene Ära, in der der Mensch zum dominierenden Einflussfaktor auf die Erde geworden ist. Sie erklärte, dass die biblische Geschichte vom Baum der Erkenntnis als Metapher für die menschliche Hybris zu verstehen sei: Unser Streben nach Wissen und Kontrolle hat uns aus dem „Paradies“ einer harmonischen Existenz mit der Natur vertrieben. Ideologien leben wieder auf, die Menschen werden auch im Westen auf das große Sterben vorbereitet. Darauf, dass es den Tod gibt. Syrien, Ukraine, Sudan, Kongo und Palästina rücken näher, wie wir Viren auch. Sie lächelte. „Wie ihr Euch bemüht! Philosophisch betrachtet,“ sagte sie eines Abends, als die Dämmerung das Café in ein warmes Licht tauchte, „ist das Streben nach unendlichem Wachstum und Fortschritt die zentrale Illusion unserer Zeit. Wir glauben, durch Technologie und Wissenschaft alles in den Griff bekommen zu können, doch wir verkennen die Grenzen unserer Macht. Die Risikogesellschaft, wie ich sie nenne, ist geprägt durch eine ständige Verlagerung von Risiken: Anstatt sie zu minimieren, schaffen wir neue, oft komplexere Gefahren.“

Sie sprach weiter, ihre Stimme weich und eindringlich. „Aus psychologischer Sicht führt der innere Zerfall zu einer Krise des Selbstverständnisses. Unsere Identitäten sind eng mit unseren Vorstellungen von Fortschritt und Kontrolle verknüpft. Wenn diese Illusionen fallen, verlieren wir den Boden unter den Füßen. Die Unsicherheit und Angst, die daraus entstehen, führen zu einer inneren Auflösung. Wir beginnen, an unseren Werten und Überzeugungen zu zweifeln, was in einer kollektiven Identitätskrise mündet. Die Demokratien werden zerfallen, ohne das die Zusammenhänge verstanden werden, die große Gier und die große Angst, die alles antreibt.“

Während sie sprach, schien das Café sich in einen stillen Ort der Reflexion zu verwandeln. Ihre Worte hallten in mir nach, als sie über die ökonomischen Aspekte unserer Zeit sprach. „Unser Streben nach unendlichem Wachstum ist ein fundamentaler Fehler. Unsere Wirtschaftssysteme basieren auf der Ausbeutung endlicher Ressourcen und einem kontinuierlichen Wachstum, das die planetaren Grenzen missachtet. Diese ökonomische Struktur führt zwangsläufig zu ökologischen und sozialen Katastrophen. Die Zerstörung von Lebensräumen, die Klimakrise und die Verbreitung von Krankheiten sind direkte Folgen dieser Wachstumslogik.“

Corona seufzte und legte ihre Hände auf den Tisch, als würde sie das Gewicht der Welt auf ihren Schultern spüren. „Ökologisch gesehen ist die Natur ein komplexes und empfindliches System. Viren, wie ich selbst, sind Teil dieses Systems und reagieren auf Ungleichgewichte. Die ständige Ausbeutung und Zerstörung natürlicher Lebensräume setzt Kräfte frei, die wir nicht kontrollieren können. Das Auftreten neuer Viren und Pandemien ist eine logische Konsequenz unseres Handelns.“

In diesen Momenten im Café erschien mir Corona nicht mehr nur als Bedrohung, sondern als Mahnerin und Lehrerin. Sie brachte die tieferen Zusammenhänge unserer Existenz im Anthropozän zum Vorschein und forderte uns auf, über unsere Rolle in dieser Welt nachzudenken und Verantwortung zu übernehmen.

Eines Nachmittags, als die letzten Sonnenstrahlen durch die Blätter der Bäume vor dem Fenster tanzten, fasste sie alles zusammen. „Die Auflösung beginnt zuerst innerlich. Unsere inneren Werte und Überzeugungen erodieren unter dem Druck der äußeren Krisen. Wenn wir erkennen, dass unser Lebensstil und unsere wirtschaftlichen Systeme nicht nachhaltig sind, zerbricht das Bild, das wir von uns selbst und unserer Rolle in der Welt haben. Diese innere Auflösung manifestiert sich schließlich äußerlich in sozialen und ökologischen Zusammenbrüchen.“

Sie nahm einen letzten Schluck ihres Kaffees und schaute mich an, ihre Augen voller Weisheit und Mitgefühl. „Doch es gibt auch Hoffnung,“ sagte sie leise. „Die Auflösung kann eine Chance zur Transformation sein. Wenn wir bereit sind, unsere Denkweisen und Lebensstile radikal zu ändern, können wir aus der Krise eine neue, nachhaltigere Gesellschaft formen. Dies erfordert jedoch Mut und die Bereitschaft, unbequeme Wahrheiten zu akzeptieren und daraus zu lernen.“

In diesem Moment begriff ich, dass unsere Treffen im Café nicht nur zufällige Begegnungen waren, sondern tiefe Lektionen über das Leben im Anthropozän. Corona war nicht nur ein Virus in menschlicher Gestalt, sondern ein Spiegel unserer eigenen Existenz und eine Mahnung, die Natur und unser eigenes Selbst neu zu verstehen.


Im Schatten der Café-Bäume, während der Wind sanft durch die Blätter flüsterte, erzählte Corona mir eine Geschichte, die mir das Herz zusammenzog. Sie sprach von einer Welt, in der die Menschen im Einklang mit der Natur lebten, bevor die Gier und der Hunger nach mehr sie erfassten. In dieser fernen Zeit, so erzählte sie, hatten die Menschen das Geheimnis der Harmonie entdeckt: das Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen, das Bewusstsein für die Endlichkeit der Ressourcen und den Respekt vor allen Lebensformen.

Aber mit der Zeit wuchsen ihre Ambitionen. Sie bauten Städte, die in den Himmel ragten, Maschinen, die die Erde durchpflügten, und Systeme, die mehr verlangten, als die Erde zu geben bereit war. „Es war, als hätten sie das Paradies mit eigenen Händen verlassen,“ sagte Corona. „Und in ihrem Streben nach Fortschritt haben sie die grundlegende Wahrheit vergessen, dass alles miteinander verbunden ist.“

Ihr Blick wurde melancholisch, als sie von den ersten Anzeichen des Zerfalls sprach. „Die Natur begann zu reagieren. Kleine Veränderungen zuerst – ein ungewöhnlich starker Sturm hier, eine Dürre dort. Aber die Menschen sahen diese Warnzeichen nicht. Sie waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt, gefangen in ihrem eigenen Netz aus Erwartungen und Träumen.“

Mit jedem Treffen schien Corona mehr über die tieferen Zusammenhänge unserer Existenz preiszugeben. Sie sprach von den psychologischen Auswirkungen des unermüdlichen Strebens nach mehr. „Der innere Zerfall,“ sagte sie, „beginnt, wenn die Menschen ihre Verbindung zur Natur verlieren. Sie fühlen sich entwurzelt, isoliert in einer Welt, die sie selbst geschaffen haben. Ihre Identität, einst fest verankert in der Gemeinschaft und der Natur, wird fragil und brüchig.“

Corona erzählte mir von der Krise des Selbstverständnisses, die viele Menschen durchlebten. „Wenn sie erkennen, dass ihr Lebensstil auf Kosten anderer Lebewesen und künftiger Generationen geht, beginnt eine innere Auflösung. Sie zweifeln an ihren Werten, ihren Überzeugungen, an allem, was sie einst für selbstverständlich hielten. Diese Unsicherheit breitet sich aus wie ein Virus und erfasst ganze Gesellschaften.“

Ihre Worte hallten in mir nach, während ich über die ökonomischen und ökologischen Verflechtungen unserer Zeit nachdachte. „Unsere Wirtschaftssysteme,“ erklärte sie, „sind darauf ausgelegt, immer weiter zu wachsen. Aber dieses Wachstum ist eine Illusion. Es basiert auf der Ausbeutung endlicher Ressourcen, auf der Annahme, dass die Erde unendlich viel geben kann. Doch die Wahrheit ist, dass wir die Grenzen längst überschritten haben.“

Mit einem traurigen Lächeln fügte sie hinzu: „Die ökologische Krise ist keine ferne Bedrohung mehr. Sie ist hier, sie ist jetzt. Viren wie ich sind nur ein Symptom eines kranken Systems. Die Natur wehrt sich, und das Auftreten neuer Krankheiten ist nur eine der vielen Möglichkeiten, wie sie versucht, das Gleichgewicht wiederherzustellen.“

Eines Abends, als der Himmel in tiefes Blau getaucht war und die ersten Sterne zu leuchten begannen, fasste Corona ihre Gedanken in einer eindringlichen Warnung zusammen. „Die Auflösung beginnt innerlich,“ sagte sie. „Unsere Werte und Überzeugungen erodieren unter dem Druck der äußeren Krisen. Diese innere Auflösung manifestiert sich schließlich äußerlich in sozialen und ökologischen Zusammenbrüchen.“

Sie sah mich mit einem Blick an, der tief in meine Seele zu dringen schien. „Aber es gibt Hoffnung,“ sagte sie leise. „Die Auflösung kann auch eine Chance zur Transformation sein. Wenn wir bereit sind, unsere Denkweisen und Lebensstile radikal zu ändern, können wir aus der Krise eine neue, nachhaltigere Gesellschaft formen. Dies erfordert Mut und die Bereitschaft, unbequeme Wahrheiten zu akzeptieren und daraus zu lernen.“

In diesem Moment begriff ich, dass unsere Treffen im Café nicht nur zufällige Begegnungen waren, sondern tiefe Lektionen über das Leben im Anthropozän. Corona war nicht nur ein Virus in menschlicher Gestalt, sondern ein Spiegel unserer eigenen Existenz und eine Mahnung, die Natur und unser eigenes Selbst neu zu verstehen. Und so verließ ich das Café an jenem Abend mit dem Gefühl, dass ich nicht nur einem Virus, sondern einer weisenden Stimme der Natur begegnet war, die uns alle zur Umkehr und zur Besinnung aufrief.

Corona 6. Teil. Herr Prill wandert aus.

Corona 6
Herr Prill wandert aus.

Die Plätze im Calligo-Café sind gut besetzt. Hier gibt es die feinsten Kaffeesorten im Angebot, Gebäck und Snacks dazu. Für jeden ist etwas dabei. Drinnen bestellt man wieder, wie vor Coronas Zeit, bedient wird am Tisch. Morgens ist es ein Rentner-Café, die ihre Stammplätze besetzen, mittags kommen Schüler und Büromenschen, nachmittags kommt gemischtes Publikum. Die Zeit, in der man leicht einen Platz bekam, weil alle fürchteten, sich anzustecken, ist vorüber. Die schöne Corona habe ich länger nicht getroffen. Als wäre der Gesprächsstoff ausgegangen. Sie würde vielleicht angesichts der Weltlage sagen, der alltägliche Gesprächsstoff sei zerbombt. Die Sonne strahlt am hellblauen, wolkenlosen Himmel und taucht den Platz der Kleinstadt am Rande Hamburgs in italienisches Flair. Dazu gehört die Wanderbaustelle mit Presslufthammer, Planierraupe und rätselhaften Absperrungen, die sich im Kreis zu drehen scheinen. Die Fertigstellung zögert sich auch hinaus, weil Gäste den Arbeitern immer wieder Kaffee spendieren; in der Hoffnung auf eine Ruhepause. Ein Wimmelbild auf dem Platz, Gedränge auf den Sitzplätzen unter den wenigen Schirmen. Fahrradfahrer sausen an den Tischen vorbei. In der Sonne ist es nicht lange auszuhalten, wenn man keinen geschützten Platz hat. Sonnengeschützt ist lediglich noch ein Platz auf der Bank vor dem Schaufenster des Cafés frei. Dort sitzt ein Mann in kurzen Sporthosen, in einem Bayern-München Shirt und einer abgewetzten Kappe desselben Vereines. In sich versunken, verloren in Gedanken wahrscheinlich, oder anderswo verloren.  Soll ich mich neben diesen Mann setzten? Meistens sitzen dort die Raucher, mit dem Aschenbecher neben sich auf der Bank. Alternativ die Telefonierer oder Hundehalter. Oder alles miteinander kombiniert. Hund, Handy, Zigarette. Der Mann, im alten Bayerndress aus den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts, schaut zu Boden; scheint nicht hier zu sein. Ich stehe unentschlossen, blicke mich um, sehe die schöne Corona vorbeischlendern. Als hätte sie gewusst, dass ich jetzt hier bin. Unsere Blicke treffen sich. Sie zwinkert mir zu und läuft aber weiter und hält sich dabei ihren Zeigefinger vor die Lippen. Die habe ich hier lange nicht gesehen. Es gäbe einiges zu bereden. Unser letztes Gespräch über den Baum der Erkenntnis ist bereits ein Jahr her. Wie geht es ihr wohl? Zuletzt hatten wir uns über die ungleich verteilten Lebenschancen unterhalten und die Auswirkungen der künstlichen Intelligenz. Schlägt ein Virus die künstliche Intelligenz? Weg ist sie. Ich schaue hinüber zu der Bank mit dem Bayern. Es ist heiß. Seit Wochen. Ein Platz im Schatten ist besser als „ein Platz an der Sonne“.
„Ist hier frei?“
„Ja, ja, natürlich, bitte.“

Da kommt auch schon mein Latte Macchiato. „Sitzt du hier auf der Bank?“, werde ich gnadenlos geduzt.
Ich nehme das Glas entgegen und setzte mich. Der Herr rückt ein wenig zur Seite, wobei er seinen To-go Becher in der einen Hand und einen Stoffbeutel in der anderen hält. Den Stoffbeutel legt er auf die mir abgewandte Seite, den Becher behält er in der Hand, die er auf seinem Schoß ablegt.

Ich blicke kurz in ein Gesicht, das man als „offen“ bezeichnen würde. Eventuell auch als unschuldig. Vernarbt ohne das Narben zu sehen sind.

„Sind Sie Raucher?“, frage ich sicherheitshalber.
„Nein, nein.“ Er hebt abwehrend die Hände. Dann stellt er den Kaffeebecher ab. „ich habe nie geraucht. Aber ich hatte einmal einen Freund, der hatte so dermaßen geraucht, dass er gelbe Finger hatte. Der stank wie Hölle und seine Bude ebenfalls. Der hatte noch Gardinen, die waren auch gelb. Die Wände waren mal weiß gewesen. Gelb! Nee, ich bin jetzt einundfünfzig, da fang ich doch nicht mit dem Rauchen an.“ Er schüttelt den Kopf, als wäre ich nicht richtig informiert oder Schlimmeres. Er schaut mich fragend an. „Ich frage nur, weil meistens Raucher auf den Bänken sitzen. Wenn Sie Raucher wären, hätte ich mich doch in die Sonne gesetzt.“
„Um Gottes Willen, ich rauche nicht.“
„Ich habe an meinem 40ten Geburtstag aufgehört zu rauchen“, erkläre ich mich. Ich habe einfach beschlossen, nicht mehr zu rauchen. Die einzige ultimative Methode. Ich habe beschlossen, nicht mehr zu stinken.“
„Nee, nee, genau. Ich bin ja auch Vorbild für meine Jungs“. Er nickt bestätigend heftig mit dem Kopf.
„Sie sind Bayern Fan? Oder kommen Sie aus Bayern?“ spreche ich an.Ich habe jedes Jahr Urlaub in Bayern gemacht. Ich liebe die bayrische Lebensart. Dieses ganze Ursprüngliche, die direkte Art der Menschen da und das Gemütliche. Die Menschen sind so echt und herzlich. Ich war immer mit meinen Jungs da. In Bernau am Chiemsee. Das ist immer wieder wie Heimat. Wenn wir da ankommen, fühlen wir uns gleich wie zuhause. Wir sind immer im selben Haus untergebracht. Man kann viel unternehmen. Für die Kinder ist natürlich der See ideal. Wir wandern und machen Touren mit dem Fahrrad. Die Kinder waren immer begeistert. Meine Frau hatte dazu keine Lust, als wir noch zusammen waren. Sie wollte lieber ans Meer. Mallorca oder Malediven. Nur Flausen im Kopf. Meine Frau macht Stress, weil ich mit den Kindern wegziehe und sie in Ahrensburg bleibt. Dabei hat sie unser Leben vorher auch nicht interessiert.“
„Aber jetzt?“

Er zuckt nur mit den Schultern.
„Immerhin haben Sie in Ahrensburg gewohnt und waren theoretisch erreichbar? Das hat ihr vielleicht ein sicheres Gefühl gegeben?“
„Sie hat sich nur für sich interessiert. Bin ich schön? Wie komme ich auf Insta rüber. Wie komme ich zu mehr Unterhalt. Der Richter ist schön auf sie reingefallen, was den Unterhalt betrifft. Schwamm drüber.  Ich kann auf ihre Gefühle keine Rücksicht nehmen. Der Junge, mein Jüngster war immer etwas zurück, lernbehindert würde man sagen. Das hat sie gestört. Sie hat ihn immer vor anderen Leuten versteckt. Es war für mich eine Schande. Ich habe mich für sie geschämt. Ich kann heute keine Rücksicht mehr nehmen. Jetzt bin ich 51, wie gesagt, ich wiederhole mich. Immer gearbeitet. In der Logistik. Als Facharbeiter. Wegen Corona arbeitslos geworden. Ich habe 20 Jahre lang in der Firma am Flughafen gearbeitet. Dann kam Corona. Ein verfluchtes Virus. Es hat mein Leben zerstört.“
Corona war doch lange nicht mehr hier, wende ich ein. Ich blicke mich um; sie ist nicht zu sehen.
„Wie meinen Sie das?“
Ich entscheide mich, die Frage zu überhören. Es ist nicht nachvollziehbar, dass ich die schöne Corona und ihre Schwestern getroffen hatte. Corona ist jetzt nicht mehr entscheidend für den Gang der Geschichte des Herrn Prill. Sie hat ihm jedoch den nötigen Stoß versetzt. Er will erzählen, nicht zuhören. Dass er seine Arbeit durch Corona verloren hatte, spielt eine wichtige Rolle.  Schließlich hat diese Tatsache seinem Leben eine neue Richtung gegeben. Zum Guten, wie es aussieht. Die Chance in der Krise. „Eine Abfindung gab es, eine Auffanggesellschaft, aber keine neue Arbeit. Warum nicht in Bayern neu anfangen? Ich habe entschieden, dass ich das darf. Ich liebe den Blick auf die Kampenwand. Von dem Fenster unserer Ferienwohnung „Sylvia“, in Bernau, direkt am See gelegen, ist sie gut zu sehen. Dieser weite Blick, diese Ruhe! Nicht so wie hier, ein Gewimmel, ein Durcheinander, alles unpersönliche Begegnungen. Mit den Jungs wandere ich auf die zersplitterten Gipfel. Und die Kultur. Die Inseln auf dem Chiemsee. Ich könnte den ganzen Tag damit verbringen, mit dem Boot von Insel zu Insel zu fahren. Ich genieße die Gärten der Fraueninsel. Und erst das Schloss auf der Herreninsel. In Bernau fühle ich mich zuhause. Meine Kollegen sagen, so ein Quatsch Herr Prill. Man fühlt sich dort zuhause, wo man geboren ist. Kann man nicht ganz woanders zuhause sein? Dort ist mein zuhause!“ Er nimmt einen Schluck aus seinem Becher. Seine Augen werden feucht, er trinkt, er atmet tief. Ein paar Tränen wischt er weg. Wir schauen auf den Platz, bis er weiterspricht. Er lehnt sich zurück, beugt sich vor. „Ich darf einmal in meinem Leben etwas tun, was gut für mich ist. Wenn ich in Bernau durch die Birkenallee laufe und auf die Kampenwand schaue. Die Birkenallee heißt Birkenallee, weil dort so viele Birken stehen“, erläutert er und nickt mir zu, damit ich das besser verstehe, denke ich.
„Da ziehe ich mit meinen Jungs hin. Auch wenn die Mutter weiter dagegen angeht.“ Er zerdrückt den leeren Kaffeebecher und nimmt seine geschundene Bayernmütze ab.
„Und die Jungs? Wie sehen die das?“

 „Sie sind glücklich, dass wir dorthin ziehen. Meine Jungs sind 15 und 18 Jahre alt. Der 15jährige ist durch seine Lernbehinderung sehr eingeschränkt. Meine Sorge war groß, für ihn nicht zu finden. Schließlich sollte alles organisiert sein, bis ich daran denken konnte, ernst zu machen. Für den habe ich schon eine Schule mit einer Werkklasse organisiert. Ich hatte mir das schwieriger vorgestellt. Es ging ganz einfach! Unglaublich. Ich habe ein paar Schulen angerufen und konnte mir die Schule aussuchen. Und der 18jährige kann sowieso machen, was er will. Ihm habe ich einen Ausbildungsplatz besorgt. Da kann seine Mutter nichts machen. Wir wandern aus!“ Er steht auf und drückt meine Hand. „Danke, dass Sie mir zugehört haben, ohne wie alle anderen zu sagen, dass ich bekloppt bin.“

Danken Sie der schönen Corona, lächle ich in mich hinein.

Panzerparade und Spezialoperationen

Zwischenruf Olaf Scholz:

Die Münchener Unsicherheitskonferenz der Elefanten ist zu Ende:


Schon 1967 war das der Elefantenherde klar. Aus dem Glied treten ist mit Risiken behaftet.
Deutschland steht mit seinen Panzern alleine da.
Der Kanzler antwortet sinngemäß auf die Frage, warum die anderen Ländern nicht die zugesagten Panzer liefern:
„Weiß ich doch nicht. Müssen Sie dort nachfragen“.

Zwischenruf von Sun Tzu:

Kämpfe nur, wenn Du sicher bist zu gewinnen.
Kämpfe nur, wenn Du alle Bataillone beisammen hast.

Zwischenruf von Professor Thimothy Snyder:

Europäische Imperien müssen offenbar erst Kriege verlieren, um sich weiter zu entwickeln.
Deutschland 1945, Frankreich 1962 Algerienkrieg, Portugal und Spanien Verlust der Kolonien. (Spiegel Nr. 8/2023).

Zwischenruf Heinz Gärtner, postmortem:

Ich war in Lemberg, heute Lwiw, in einem Kriegsgefangenenlager interniert. Aus unserer Sicht waren wir in Russland. Die Nationalsozialisten sahen die Ukraine nicht als russisches Gebiet an. Die Polen, Ungarn und Österreich hatten zeitweilig die Macht im Lemberg. Von 1939 bis 1942 hatten die Russen das Sagen. Das hatten Hitler und Stalin untereinander ausgemacht. (Hitler – Stalin -Pakt) Danach wurde Lemberg an das deutsche Generalgouvernement angeschlossen und fast die gesamte jüdische Bevölkerung ermordet. Das Lager habe ich ganz gut überstanden, da ich als Widerstandskämpfer ein „politischer Wehrunwürdiger“ war und schon nach eineinhalb Jahren wieder nach Hause durfte. „Nie wieder Krieg“ war unsere Überzeugung und Devise nach dem Krieg.

Der Schatten vom Dachboden

Der lange Schatten auf dem Dachboden

Notizen von Felix: Die Geschichte mit dem Handbeil.

Worum es geht? Um alles Große. Ich lebe schon länger als mir wahrhaftig lieb ist. Leben ist für mich zu einer Qual geworden. Ich bin Jahrgang 1912, im Juli geboren, ein Sommerkind. Dass ich so lange leben darf, liegt möglicherweise an meinen Eltern, die mir den optimistischen Namen Felix – der Glückliche – gegeben haben. Felix Ellerhusen. Realistisch betrachtet ist es selbstverständlich die Medizintechnik, die mich seit Jahren umgibt. Großartig bewegen kann ich mich heute nicht, es geht den Forschern lediglich um meinen Kopf, mein Wissen. Ich bin etwas besser dran als Stephen Hawking, der sich nur noch mit Blinzeln verständigen konnte. Meine Eltern sind schon tot und können sich nicht mit mir freuen, dass sie vielleicht doch recht hatten, mit ihrem Reich des Bösen. Vor dem sie mich früh gewarnt hatten. Aber es war zu verlockend gewesen; und ich muss sagen, das ich, obwohl ich damals nicht mit allem einverstanden, naiv war! mit den Ideen dieses „Dr. Seltsam“, der die ganze Welt beherrschen wollte, am Ende doch sehr einverstanden war. Die Lagerfeuerromantik, die Fahnen, die Musik,die Uniformen und die Aufmärsche! Der kalte Atemhauch im Winter, der verbindende Schweiß der Baukolonnen im Sommer. Ich wurde gefördert, Studium und finanzielle Unterstützung. Später wurde mir eine großzügige Wohnung zugeteilt. Ich war begeistert, zunehmend begeistert. Heute ich dem nichts mehr abgewinnen. Das lange Leben hat mich geschliffen hat. Das Schicksal setzt den Hobel an und hobelt alles glatt. Mein Handeln ist jetzt unideologisch ausgerichtet. Friss oder stirb ist meine Devise, beinahe ziellos. Ich lebe noch, hier in diesem Labor, verkabelt, halb Mensch, halb Maschine. Wie früher. Im Reich. Mensch und Maschine; Maschinenmenschen. Ein kleines Rädchen, aber immerhin ein Rädchen, ohne das nichts ging. Profit und Ideologie beherrschten die Herrscher und die Untertanen; heute, hier, eben ohne Ideologie im sogenannten Metaverse. Auch ein Reich. Ich habe alle durchlebt. II.Reich. Die Zeit nach dem III. Reich. Die Zeit zwischen den Reichen.  

Für die BRD galt bald nach dem Fall des ewigen Reiches die Unschuldsvermutung für uns alle. Große und kleine Mörder. Täter und Mitläufer. Meine Chance habe ich genutzt und mit Persil gewaschen. Persil wäscht das weißeste Weiß war das Motto eines großen Waschmittelherstellers, deshalb die „Persilscheine“ für die Nazis. Alle waren sauber und nicht dabei gewesen. So wie ich. Wie in Mehltau gebettet, legte sich eine neue Welt über die alte Welt. Es entstand eine wunderbare, amerikanische Glamourwelt. Wie Kinder staunten die Menschen – lebten und vergaßen. Das sich anbietenden Wortspiel verkneife ich mir. Im Maschinenraum der BRD trieben die alten Naziseilschaften die Republik in ihrem Sinne voran. Sie sind Wirtschaftsführer, Ministerpräsidenten und sogar Bundeskanzler geworden. Diese verschiedenen Ebenen der Seilschaften, Politiker, Nationalsozialisten, Unternehmer und Sieger-Staaten liefen aufeinander zu, als schiefe Ebene oder eine unendlich ineinander verschlungene Treppe.

Heute gibt mir die Vorstellung, dass jegliche Zeit in einem Punkt zusammenfällt, die vergangene und die zukünftige, die Inspiration, heute, im Jahr 2022 diese Geschichten zu notieren. Fraktale. Inspiriert hat mich der Angriff Russlands auf die Ukraine.

Die Motive sind bekannt, die Argumente für Kriegsführungen sind immer gleich richtig und gleich falsch. Immer eine richtige Lüge und eine falsche Lüge. Ich fabuliere auch aus Langeweile übrigens, denn die Wiederholungen langweilen letzten Endes. Es sind ausnahmslos einige klitze kleine Geschichten des kleinen Kosmos im Großen aufzuschreiben. Eine Spiegelung, eine Wiederholung zudem, unbedeutend wie alles andere, um das wir uns kümmern und Gedanken machen. Wodurch wir leiden und andere nicht leiden, unemotional, intellektuell oder aus purer Dummheit, über etwas wir nicht leiden können und loswerden möchten und leben dazu ohne langfristige Bedeutung.
Die Frage nach dem Grund für meine Notizen war gewiss nur eine rhetorische Frage an mich selbst. Die Antwort ist einfach: Geschichte wiederholt sich. Geburt, Leben, Tod. Das gilt für alle Systeme auf diesem Planeten. Viel mehr bewegte mich persönlich eine andere Frage: Kann ich nicht analog sterben? Überraschung? Das ist ein relevantes Thema – für mich. Alles ist berechnet, die Algorithmen bestimmen mein Sterben. Ich bin mir sicher, dass ich lediglich ein Experiment bin. Nein, nicht nur hier im Labor, ganz allgemein. Ich scheine demnach noch etwas wert zu sein. Für wen? Mein Wissen ist digitalisiert, meine Gene gesichert. Ich glaube, sie sind unsicher, ob da nicht doch etwas ist, was sie nicht erfasst haben. Obwohl ich lediglich ein kleines Rad bin, ja ich muss sagen, war. Oder besser: ich habe ein kleines Rad gedreht, jetzt werde ich gedreht. Ich kann mit meinem Geist reisen. Nicht  nur in die Vergangenheit. Die Zukunft ist bereits programmiert und mir, in diesem Versuchslabor, verkabelt und mit Bildern versorgt die ich bei Bedarf abrufen kann, als Simulation zugänglich. Allerdings werden mir auch Sequenzen eingespielt, die ich mir nicht aussuchen kann. Anfangs war ich geschmeichelt und an der Technik interessiert. Man – ich sage hier mal: eine bestimmte Forschungsstelle in Sachsen, ländlich abgelegen – hat mir nicht das ewige Leben versprochen. Vielmehr eine Digitalisierung meines Wissens, später meiner Emotionen. Sie wussten selbst nicht, was am Ende daraus werden würde. Man nahm an, dass die technischen Möglichkeiten alles Denkbare übertreffen würden. Denken und Emotionen eines Reichsbürgers. So ist es auch gekommen. Mein Körper ist nicht mehr wichtig, eine Hülle. Aber mein Geist, mein Intellekt, noch bin ich Zeitzeuge. Vielleicht wird man mich im Metaverse-Reich ausstellen. Vielleicht auch abschalten. Dazu später mehr.
Warum ich? Vielleicht, weil ich ein gutes Beispiel für Anpassung bin? Weil ich überlebt habe? Nicht nur die eine Seite hat ihre Überlebenden, auch die andere. Außerdem war ich nützlich, in den Jahren nach der großen Reinigung der Systeme.

Ich bewegte mich im Maschinenraum der Gesellschaft, denn ich bin Jurist geworden. Juristen können alles sein, da sie nicht unbedingt sie selbst sein müssen. Ich kann mich demzufolge jedem System anschließen. Der Vorgang der Auslegung von systemimmanenten Paragrafen ist immer gleich. Man dient den jeweiligen Herren. Ich bin ein Mann der Tat gewesen und konnte in verschiedene Rollen und Masken schlüpfen.  Am angenehmsten war es in der Zeit des Nationalsozialismus, als Adjutant des Hamburger Gauleiters Kaufmann. Ihm habe ich geholfen, Hamburg von Kommunisten, Juden und Sozialdemokraten zu säubern.
Kaufmann hatte diesen Tick, dass niemand mit der Guillotine hingerichtet werden sollte, da diese ein Instrument der bürgerlichen Revolution wäre. Also mussten wir ein Handbeil aus Lübeck besorgen. Nun ja.  Später war ich im RSHA, dem Reichssicherheitshauptamt. Dann Kriegsgefangener bei den Amis. Bis 1947. Kaufmann, der alte Lump, kam später wieder nach Hamburg. Der alte Nazi hatte sich wieder angepasst und lebte gut hier in einer bürgerlichen Umgebung.
Ich erinnere mich noch an ein Gespräch mit ihm, etwa drei Jahre nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten. Das musste 1936 gewesen sein. Da saßen ein paar Henker zusammen. Ich erinnere mich noch an das Gespräch in einer jovial gehaltenen, selbstgefälligen Atmosphäre. Kleine Leute, die plötzlich ganz groß rauskommen wollten. Anhand dieses Gesprächs zeigt sich die neue Ordnung. Alles musste „Ordnung“ sein. Auch das Töten verlangte nach Ordnung. Hier ist ein schönes Beispiel, eine Szene in Kaufmanns Büro, Nazi „Reichsstatthalter“ Hamburgs:

„Nehmen Sie doch das Handbeil, das ist ja jetzt gesetzlich zulässig.“ Max Lahts, Präsident des Strafvollzugs Amtes, einer der willigen Vollstrecker des Gauleiters Kaufmann, lächelte zu diesen Worten.

„Die Guillotine ist sicherer, wir haben noch keine Henker, die mit dem Handbeil Erfahrung haben, entgegnete der Lübecker Staatsanwalt, der gekommen war, um sich die Hamburger Guillotine auszuleihen.

„Wir sind in Hamburg schon seit 1934 erfolgreich mit dieser Methode. Sie kennen ja die Einstellung vom Reichsstatthalter Kaufmann: Die Guillotine als Überbleibsel der Revolution gehört abgeschafft. Die Todesstrafe soll mit dem Handbeil vollstreckt werden.

Gut, natürlich, grundsätzlich habe ich aus praktischen Gesichtspunkten nichts dagegen.

Wollen Sie sich aber wirklich gegen Kaufmann stellen? Der hat im Moment „Oberwasser.“

Max Lahts war sich nicht sicher, ob er seinen Vorgesetzten, seinen Gauleiter Kaufmann, der zwischenzeitlich zum Reichsstatthalter befördert worden war, überzeugen könnte.
„Sie könnten hier eine Ausnahme machen, wenn die Fachleute fehlen.“

„Gut, ausnahmsweise lässt sich das vielleicht einrichten, ich prüfe das.“
Der Lübecker Staatsanwalt bedankte sich. „Wir wollen den Kutscher Johannes Fick noch in diesem Jahr hinrichten.“
„Wenn es klappt, sollten wir noch über die Kostenübernahme sprechen. Wir müssen für den Transport zwei Mann abstellen, die Verladung dauert etwa zwei Stunden, der Aufbau drei bis vier Stunden, wenn drei geeignete Beamte mitfahren. Ach, die Maschine muss hinterher noch gereinigt werden. „Dann das Ganze retour.“

„Ich denke, die Kosten spielen keine Rolle,“ erwiderte der Staatsanwalt erleichtert ob der sich abzeichnenden Lösung.
„Wissen Sie was, bringen Sie den Mann doch einfach nach Hamburg!“ sagte Lahts.
Der Lübecker suchte Gründe dafür, das Urteil in seiner Stadt zu vollstrecken und insistierte: „Wir müssen uns auch als Juristen hier klar verhalten.“

„Eitelkeiten“, sagte Max Lahts, dem noch eine lange Karriere als Präsident des Strafvollzugs Amtes bevorstehen sollte. „Juristen überleben immer. In jedem System. Wir sollten uns hier um eine grundsätzliche Lösung kümmern. Ich werde das bei Kaufmann vortragen.“
Kaufmann hatte sich vorgenommen, in Hamburg durchzugreifen.
„Nicht mal mit der Vollstreckung von Todesurteilen kommen die in Lübeck voran.“ Er drückte seinem Adjutanten Ellerhusen ein Stück Papier in die Hand. „Hier etwas anderes. Sehen Sie zu, dass Sie der Verfasser dieser Hetzschriften habhaft werden.
„Die Kunst des Selbstrasierens, einfach lächerlich!“
Aus Überzeugung aber auch zur Erfüllung seiner Bewährungsaufgabe als Gauleiter Hamburgs nahm er sich vor, diese Stadt vorzeigen zu können. Er wollte ganz im Sinne seines Führers die Hamburger emotionalisieren. Die Gehirne der Menschen mussten ausgeschaltet werden; durch Fahnenmeere, Fanfaren, Marschkolonnen, Flammen, Fackeln, Spruchbänder und Ansprachen muss das Volk in Verzückung versetzt werden. Wie Hitler es verlangt hatte, strebte Kaufmann die Selbst Austilgung des Individuums und die permanente Besinnungslosigkeit der Massen an, um sie den Nationalsozialisten gefügig zu machen. Eine Masse, die nicht mehr darüber nachdenkt, was Recht und was Unrecht ist. Kaufmann hatte ähnliche Züge wie Hitler, beide berufliche und menschliche Versager, die ihre Konzentrationslager im Hirn auf die Menschheit übertrugen. Das KZ als Abbild des ursprünglichen Lebens, den Grund der Matrix. „Die werden wir schön rasieren,schließen Sie sich mit den Fahndungskommandos kurz. Die wissen schon, wie man den Bengels beikommt.“
Ellerhusen zögerte.
„Was befürchten Sie, Ellerhusen? Niemand wird uns je zur Verantwortung ziehen, wir halten uns an Gesetze.“ Er lachte kurz auf. „Sie wissen schon, was ich meine. Jede Zeit braucht ihr spezielles System, spezielle Leute. Das sind wir! Wir halten uns an die Gesetze und verschaffen diesen ihre Wirkung.“

Ellerhusen salutierte und trat ab.

Kaufmann blieb nervös zurück. Immer noch ließ er sich trotz seiner Uniform und hinter seinen einstudierten Gesten leicht verunsichern. Er war immer ein Verlierer gewesen. Mehrfache Schulwechsel ohne Schulabschluss, keine Fronterfahrung, obwohl er sich freiwillig gemeldet hatte, die Lehre abgebrochen. Sein Leben änderte sich, als er nach der Beteiligung an mehreren terroristischen Anschlägen Karriere in der NSDAP machte. Goebbels wird mich schon raushauen, wenn’s hier nicht gleich nach Plan läuft. Auf die tiefe Freundschaft zu Goebbels hatte er sich schon einmal verlassen können, als er im Großgau Ruhr scheiterte. Dem roten Hamburg würde er es schon zeigen.

Am nächsten Tag rief Kaufmann Ellerhusen zu sich.
„Ellerhusen, wir müssen hier in der Stadt mehr Flagge zeigen, wörtlich und im übertragenem Sinne. Ich habe letzte Woche mit einigen Unternehmern gesprochen, die stehen dem Nationalsozialismus sehr wohlwollend gegenüber. Sie wollen sich aber erst zeigen, wenn unsere Sache sicher ist. Sie sind mir verantwortlich für die kleinen Leute und für die Aktionen auf der Straße.“

Ellerhusen machte einen sehr speziellen Vorschlag. „Sie sollten mehr Präsenz und Stärke bei unseren Leuten zeigen, dann trauen diese sich auch mehr zu.“

„Genauer bitte“.

„Sie sollten bei den Folteraktionen dabei sein und vorbildlich handeln“.

„Ich soll selbst foltern?“

„Ja“.

„Ich denke darüber nach. So lasch wie die im KZ Wittmoor mit den Gefangenen umgehen, wollen wir es jedenfalls nicht einreißen lassen.“

„Unsere SA-Männer könnten als Fahndungskommandos agieren.“

„Wir dürfen das Bürgertum nicht zu sehr verschrecken, aber im Grunde haben die hohen Herren die gleiche Anschauung, da bin ich mir nach den Gesprächen sicher. Wir müssen sie langsam daran gewöhnen und noch mehr roten Terror erzeugen oder inszenieren.“ Die beiden lachten. „Übrigens“, fügte Ellerhusen an, „die Justiz drückt bei der Befreiung unserer SA-Genossen auch ein Auge zu, wenn die mal über die Stränge geschlagen haben. Ellerhusen zwinkerte linkisch mit den Augen.“ Von der Seite der Justiz haben wir nichts zu befürchten.“

„Immer nützlich, die Justiz“, bestätigte Kaufmann.

Einige Wochen später konnte Ellerhusen berichten lassen:

„Das Recht der Straße hat sich die SA in jeder Weise erkämpft, und die Roten wissen, dass in St. Georg für sie ein ungleich gefährlicheres Pflaster ist, als es etwa die Neustadt war oder gar Hammerbrook, wo sich kein SA-Mann allein sehen lassen kann, ohne angefallen zu werden. In St. Georg ist das vorbei. Die SA ist stark und wach. Wir sind auf dem richtigen Weg.“

„Ellerhusen, suchen Sie doch mal ein paar kleine Parteigenossen aus, die wir auf die Kommunistische Partei und die illegalen Gruppen ansetzen können. Ich denke da auch an Stadtteile wie Winterhude und Eimsbüttel. Reden Sie mal mit den Kampfgenossen vor Ort.“ Kaufmann schlug eine Mappe auf. „Und schauen Sie mal hier: Ein Dankesschreiben vom Reichsinnenminister. ,… danken wir Ihnen für die Gewinnung der Hamburger Kaufmannschaft und Wirtschaft. Wir freuen uns außerdem über die zunehmende Arisierung des Handels und der Produktion. Na, das ist doch was. Also bereiten Sie was vor, die Kneipen und Betriebsbesichtigungen, da können wir was verteilen.“

Welche Absurdität. Niemand fand etwas dabei. Aus heutiger Sicht ein Schauspiel.Absurditäten werden uns auch in den nächsten Szenen begleiten. Versprochen. Die Welt hat sich mittlerweile daran gewöhnt.

Hinweise: Woody Allen: Film. Dr. Seltsam, oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben.
Jens Gärtner: Die Kunst des Selbstrasierens Roman, Feldhaus Verlag

Ambigue Begegnung – Srebrenicia

Lamellen – Begegnungen – eine Vorgeschichte von Jens Gärtner und Svenja Hirsch. Aus: Ambigue Begegnungen, Bod Verlag.

In Screbrenica wurden im Juli 1995 während des Bosnien Krieges über 8200 Jungen, Männer, Greise, einfach jede männliche Person ermordet. Das Massaker wurde unter der Führung von Ratko Mladic (Armee der Republice Srpske, der Polizei und Paramilitärs) verübt.

Das Fenster geht über die gesamte Zimmerfront. Auf derFensterbank ein Blumenkübel mit abgebrochenen Stielen. Ich sollte sie mehr pflegen, mehr gießen. Sie sehen traurig aus, trocken und verdorben. So wie ich. Das Licht des Computer-Bildschirms färbt bläulich auf die Zweige ab, auf meine Hände. Seit einer halben Stunde beobachte ich das Farbspiel, starre apathisch aus dem Fenster. Ein Wohnblock neben dem nächsten, aufgebaut in Reih und Glied. Zwischendrin nur die Balkone, kleine Terrassen und Gärten, ein schmaler Gehweg.
Von der Seite her rauscht die Straße. Die Fenster gegenüber sind gardinenverhangen.
Alte Leute, denke ich und schaue kurz zurück auf den Bildschirm. Nur das eine, schräg rechts, hat keine weißen, fließenden Spitzenstoffe. Ein Lamellenrollo verdeckt, wenn etwas verdeckt werden soll. Zeigt, wenn etwas gezeigt werden soll, oder deutet an, was sich dahinter verbergen könnte. Ich kneife die Augen zusammen, schaue dann schnell wieder weg. MeineGardinen sind weiß und schwer, mit großen Ösen, nur zugezogen, wenn ich schlafe. Sonst kann jeder von gegenüber sehen, wie ich alleine und zusammengerollt auf meiner 90 cm breiten Matratze liege. Kein Platz für einen zweiten Menschen in der Ein-Zimmer- Wohnung. Jetzt sind die Gardinen zu beiden Seiten aufgezogen, geben den Blick auf mich an meinem Schreibtisch frei.

Hinter den Lamellen ist ein Schatten. Ein Kind oder ein sitzender Erwachsener. Schreibtischhöhe, meine Höhe. Er bewegt sich und wird länger. Kein Kind, ein ausgewachsener Mensch. Steht frontal, entweder mit dem Rücken oder Gesicht zu mir, breites Kreuz, ein Mann. Er könnte mich jetzt gut beobachten oder sehen, dass ich ihn beobachte, denke ich und schaue weiter zu den Lamellen. Der Schatten bewegt sich, ein zweiter kommt dazu, hinten aus dem Licht einer geöffneten Tür. Oder dem, was ich als diese Tür erkenne. Ich arbeite weiter, öffne Back-Ends, tippe Codes in Masken und aktualisiere. Die Zeit vergeht, ich fülle die Online-Shops meiner Kunden mit neuen Produkten. Trash, denke ich, doch er bringt mir Geld. Bezahlt die Ein-Zimmer-Wohnung mit dem schmalen Bett. Geradeso. Bestandskunden, die ich in meiner guten Zeit als selbstständige OnlineShop-Managerin akquiriert habe. Jetzt mache ich kaum noch Akquise, die Kunden schwinden, die Kontakte generell. Sie gehen mir aus. Drüben brennt noch Licht. Als ich den PC runterfahre, ist es bei mir stockdunkel. Dann werden auch die Lamellen sorgsam von innen geschlossen.

Eigentlich ist es mir völlig egal, was die Leute über mich denken, Sie denken ja, was sie wollen. Ich habe meine Fenster gern offen, frei von Stoff, anders als viele hier. Biete, wem auch immer, Einblick. Manchmal nur ein wenig durch schräg gestellte Lamellen. Andere haben allerdings Gardinen, vielleicht nur, um sich dahinter zu verstecken. Die Häuser stehen sich eng gegenüber und geben Einblick in das 100fache Theater in den Schubkästen. Wie Puppenstuben. Wohnzimmer, Schlafzimmer. Wenn die Häuser nach Norden ausgerichtet sind, kann man auch in die Küchen blicken, in die Töpfe gucken. Sehen, wer alleine lebt, Familienleben, wechselnde Partner, nackte Menschen in allen erdenklichen Situationen. Schamlos, vergesslich. Das alles wird von vielen gar nicht mehr wahrgenommen, denke ich, sie nehmen es wie Autoverkehr, in den sie sich einfügen. Gedankenlos,eng beieinander und dennoch anonym. Wen interessiert das schon. Gegenüber sehe ich im Hintergrund eine bläulich illuminierte Silhouette, die sich im Fenster spiegelt. Wieder so eine einsame Person, die sich am Computer festhält, bis sie einschlafen kann. Ich schließe die Lamellen.

Ich sitze gern am Fenster. Wenn ich mich zu sehr beobachtet fühle, schließe ich die Lamellen auf eine Weise, die mir die Möglichkeit lässt, hindurch zu blinzeln und das Geschehen auf der Straße zu verfolgen.

Auch die mittleren Etagen kann ich dann einsehen, dass reicht mir meistens. Ich habe mich einmal in das Treppenhaus gegenüber begeben, um auszuprobieren, was man von dort aus sehen kann. Manchmal, wenn ich jemanden bemerke, spiele ich auch mit der Fensterverdunklung. Egal wer da guckt. Ein Angebot im Schubkastentheater, ja das biete ich manchmal.

In den nächsten Tagen brennt die Sonne in meine Wohnung. Tagsüber muss ich den linken Vorhang ein Stück zuziehen, um nicht komplett zu verbrennen. Ich arbeite, sitze, starre gegen den Stoff. Wie eingepfercht in den eigenen vier Wänden, der Blick kann nicht weit schweifen, er bleibt nur wenige Zentimeter weiter stehen, verirrt sich in dem Weiß, bis er ermüdet aufgibt. Nachmittags lässt sich der Vorhang endlich wieder ganz öffnen. Mein Blick wandert jedes Mal zu den Lamellen, jedes Mal dasselbe Spiel: Ein Schatten, der hinter dem Rollo sitzt, sich erhebt, einige Zeit wie erstarrt verweilt. Ich fühle mich beobachtet und beobachte doch penetrant zurück. So geht es bis zum Freitag. Keine Alternative. Nicht jetzt. Seit zwei Jahren wohne ich hier. Davor war mein Leben fast vier Jahre angenehm. So dachte ich zumindest. Oder vielleicht waren es weniger als vier Jahre, ich bin mir nicht sicher, habe den Wendepunkt weit verpasst. Erst hinterher, als es schon zu spät war und ich mit gepackten Kisten an der Straße saß, dämmerte es mir langsam. Zu zweit war ich. Doch irgendwann spürte ich Einsamkeit.

Die kleinlichen Vorwürfen, zuerst kaum spürbare Verletzungen, die, je mehr es wurden, auch die Wunden tiefer rissen. Die Ablehnung.

Erst nur von romantischen Gesten: Zwei Weihnachtsplätzchen auf einem Teller, einer in Schlüsselform und einer als Herz. Und die andere, versteinerte Miene mir entgegensah, die Worte „ich kann so etwas nicht“. Dann die Ablehnung von dem, was ich war: Meine Lieblingsbilder, meine Bücher, es war alles nicht mehr genug. Nicht mehr auszuhalten, nicht erwünscht. Ich habe das gelernt. Ich habe es für mich angenommen, Romantik gebe ich keinem mehr. Deshalb das 90-cm-Bett, die kleine Wohnung, nur mit mir am PC.

Ich bin erschöpft vom vielen und langen Sitzen, die Augen brennen. Ich ziehe mich aus dem Stuhl hoch, stemme die Hände in den unteren Rücken und drücke das Kreuz durch, sodass es knackt. Frontal stehe ich an meinem Fenster, wieder beobachtend, was diesmal hinter den Lamellen passiert.

Heute regnet es endlich. Häufiger als sonst sind die Gardinen in den Wohnungen gegenüber zurückgezogen. Wahrscheinlich taten es die meisten, so, als biete der Regen ausreichenden Schutz vor eindringenden Blicken. Eine natürliche Längslamelle. Oder es waren Hoffende, die auf besseres Wetter warteten, die Sonne zurücksehnten. Zeitweise zogen die Wolken dicht und schwarz über die Häuser, dass sie wie die Nacht selbst die Dunkelheit vor die Fenster und auf die regennasse Straße warf. Ich blickte in das Grau der Straße, die sich mit dem Himmel zu vereinen schien. In dieses Grau hinein trat eine noch dunkler gekleidete Person, mit einem schwarzen Schirm geschützt, in den Windfang vor der Eingangstür. Das konnte ich von meinem Platz aus gerade noch erahnen. Dann klingelte es bei mir. Ich öffne nicht. Ich will nicht. Ich kenne hier niemanden. Nur gegenüber eine Person, deren Schatten ich hin und wieder sehe. Das reicht mir. Es gibt keine Person mehr, die mir nah ist, also kann ich nicht gemeint sein. Dennoch spüre ich, dass da etwas ist, was ich weiß und das es noch Menschen gibt, die mich vielleicht kennen. Srebrenica ist weit weg. Aber eine Angst ist ganz nah, immer bei mir. Eine Angst, die ich nicht erklären kann. Die ich aus mir verbannen will, indem ich für mich bleibe. Schemen reichen mir.

Der erste Schatten steht am Fenster, hinter ihm Licht, dass durch die Türöffnung steht. Ein Türlichtfeld. Der zweite Schatten bewegt sich in den Raum. Dann stehen beide ganz dicht beieinander, umarmen sich vielleicht. Der zweite bewegt sich einen Schritt zurück, beugt sich zu dem ersten. Sie küssen sich bestimmt, denke ich. Ein warmes Gefühl durchwühlt mich. Schnell und zaghaft. Dann weicht das Gefühl zurück. So sieht auch der zweite Schatten aus, als ob er zurückweiche. Ich kneife die Augen zusammen, schiebe das Kinn nach vorne. Ich stehe einfach da. Die Szenerie kommt mir unwirklich vor, sie fällt heraus aus dem, was die vergangenen Tage hinter den Lamellen geschehen ist. Oder von dem, was ich denke, dass es geschehen sein könnte. Der Schatten bewegt sich minimal, es scheint, als blicke er zu mir herauf. Er verharrt. Der zweite Schatten sieht so aus, als bewege er sich auf den ersten zu. Ich halt die Luft an. Es geht alles ganz schnell. Kaum eine Millisekunde, so schnell, dass ich es nicht begreifen kann und der erste Schatten fällt nach unten. Nichts ist mehr zu sehen. Nur der zweite Schatten, wie er langsam bis ganz ans Fenster tritt, den Kopf gehoben geradeaus, die Lamellen, die sich langsam meinem Blick verschließen.

Ich kenne die Frau nur flüchtig. Ich erkenne sie in ihrem alt gewordenen Gesicht. Aber ich weiß nicht mehr, wer sie war oder gar wie sie hieß. Es stellt sich auch kein Gefühl ein. Sie sagt, sie kenne mich gut. Sie lacht. Warum lacht sie, denke ich. Ein Tee? Ein Kaffee? Etwas anbieten oder keine Zeit haben? Ein Tee wäre jetzt doch gut, sagt die Frau. Ich will meine Lamellen ein wenig weiter öffnen, damit die Person von gegenüber, die immerzu bläulich gefärbte Person, teilhaben kann an meinem Besuch, der mir nach der ersten Überraschung gar nicht mehr bekannt vorkommt. Die weiß, dass ich zurück gucke, sie muss es wissen, sonst macht alles keinen Sinn. Sie könnte Zeugin sein. Ich weiß noch nicht wovon. Sie steht da am Fenster und ich scheine ein Teil von ihrer Welt zu sein. Erst will ich das Teewasser aufsetzen. Es klingelt wieder. Die Frau öffnet, bevor ich bereit bin. Ich weiß nicht, warum ich das zulasse.
Es ist außerdem völlig unaufgeräumt. Was soll ich zuerst machen? Schnell schiebe ich den großen Kleiderständer beiseite. Meinen fast zwei Meter hoher Butler, der wie immer mit Kleidungsstücken, die ich in den letzten Wochen getragen hatte, viel zu voll gepackt war. Meine Aktion ist zu abrupt und das Monstrum kippt, in Zeitlupe zwar, unaufhaltsam zu Boden. Er fällt leicht, weich und leise, gemildert durch den Berg von Klamotten. Lärm macht lediglich das rahmenlos verglaste Poster, welches im Fallen von der Wand gerissen wird. Dann stehen unvermittelt zwei Frauen im Raum. Sie lachen, sie freuen sich scheinbar über das Chaos. Sie sehen sich an und lachen wieder, die zuletzt gekommene Frau sagt:“Ich gehe dann mal in die Küche.“ Sie schwingt sich dynamisch auf einem mit einem dunkelgrünen Highheal beschuhten Fuß in Richtung Küche. Woher weiß sie, wo die Küche ist, denke ich noch, bevor die erste Frau, die mit dem alten Gesicht sagt: „Wir haben Kekse mitgebracht.“ Ich komme nicht darauf. Wer ist sie, und Kekse, was für Kekse? „Wir trinken erst einmal einen Tee und dann räumen wir auf, nicht?“ „Woher kennen Sie mich?“, frage ich. Mittlerweile sitze ich auf meinem Sofa, von wo aus ich sowohl den Raum als auch das Fenster sehen kann. Sie sagt nichts, lächelte aber freundlich. Dabei blitzten zwei silbern überkronte Schneidezähne aus ihrem Mund.
Das Dorf, sagt sie nach einer Weile, und jetzt blitzen auch ihre Augen. Aber sie sieht aus, wie jede Frau aus einem Dorf, jedenfalls in ihrem Alter sieht sie aus, wie jede Frau. Eine beliebige Nachbarin aus einem Dorf , ja genau, ich fange an, mich zu erinnern. Ein Dorf an der Drina, in einem Chaos der „Säuberung“. Was machen sie jetzt hier? Ich sehe sie in einem Strom von Menschen, die in alle Richtungen laufen. Die einen Blauhelmsoldaten anschreien, eine Straße blockieren, um Zeit zu gewinnen. Aber das ist sinnlos, denn die Blauhelme verschwinden, die Menschen sind auf sich gestellt. Jeder für sich. Ich für mich. Der Lärm der Granaten die dann kommen, ist verschwunden. Hier ist es still. Hier soll es still bleiben. Das laute Töten geht mich nichts mehr an. Ich nehme einen dieser Kekse. Sie schmecken bitter und zuckersüß. Ich nehme noch einen. Wenn ich kaue, muss ich nicht reden. Worüber auch reden? Blute ich?

Kann das Gewalt gewesen sein? Körperliche. Seelische meine ich zu kennen – schon als ich mit ihm zusammenzog, war ich nicht gänzlich willkommen. Und dann nach zwei Jahren die Haussuche. Ich suchte, sollte aber nicht im Grundbuch stehen. Er traute mir nicht. Er meinte, ich könne ihn ausnehmen. Stattdessen wollte er mich ausnehmen. Ich sollte Miete zahlen, dort im Eigenheim, zahlen für etwas, das ich am Ende nicht besitzen würde, damit er es am Ende besaß. Ich begriff das erst später. So isoliert war ich, dass ich es kaum mehr spürte. Als wäre auch mein Schatten nach unten gefallen, nicht mehr sichtbar. Mein Glück? Ich hatte es nicht verteidigt gegen ihn. Gegen ihn und für mich. Und jetzt sitze ich hier. Ich kann an dem Leben der anderen teilnehmen, wenn ich durch die Scheiben sehe. Mein Kopf erledigt den Rest. Hinter Scheiben können sie mir nichts anhaben, diese Menschen. Wie die wilden Tiere im Zoo. Ich sehe sie und ihr Leben. Glaube, in Kontakt zu stehen und doch können sie nicht an mich ran, mir nichts anhaben. Mir nicht weh tun.

In meinem Kopf dreht sich alles. Zu laut und schwer, wie Kreislauf an einem heißen Sommertag. Habe ich je jemanden in das Haus gegenüber gehen sehen? Und wenn ja, wie könnte ich den- oder diejenige zuordnen? Als Gast hinter den Lamellen? Wenn ein Schatten runter fällt und
wegbleibt. Ist er dann tot? Oder durch ein Licht weg geblendet? Hörte man einen Schuss? Etwas, das nicht im Stande war, zu mir herüber zu dringen, wie ein Schlag oder ein Stich? Und sollte ich rüber gehen? Sollte ich die Polizei rufen, würde man mich für verrückt erklären? Hat es hinter den Lamellen schon eine Putzaktion gegeben, alle Spuren verwischt? Ein Mord oder nur ein ermordeter Schatten?
Ich stehe vor der Tür, die Jacke fest um mich gewickelt. Friere. Bekomme kalte Füße. Alles Grau in Grau. Ich starre auf das Klingelschild. Welcher Name könnte zu den Lamellen passen? Peters? Korniman? Jemand kommt aus dem Haus. Der erste Mensch seit Tagen, den ich ohne Fenster zwischen ihm und mir anschaue. Ich reagiere schnell, nicke, lächle, fasse an die Glasscheibe der Tür und halte mir diese in den Hauseingang auf. Wieder dieses Kreislaufproblem. Mir ist schwindelig. Menschen. Menschen machen mich wahnsinnig, wenn keine Scheibe zwischen ihnen und mir ist. Und doch spüre ich, wie ich nach dem Kontakt geradezu lechze, ich fühle mich wie ausgehungert. Als habe ich mir eben gerade, durch die Begegnung auf der Treppe eine Spritze gesetzt, gefüllt mit einer höchst abhängig machenden Droge. Reingedrückt, ab in die Blutkreislaufbahn. Mehr davon, sonst fange ich noch an zu zittern. Also steige ich die Treppe hinauf. Erster Stock. Hier müsste es sein. Es duftet nach Tee. Soll ich klingeln?

Im Treppenhaus steht noch eine Frau. Ich werde verrückt, werde ich verfolgt? Aber die im Treppenhaus kommt mir bekannt vor. Aus den Augenwinkeln heraus scheint die Frau Ähnlichkeit mit der bläulich beleuchteten Person von Gegenüber zu haben. Ich erschrecke. Machten die gemeinsame Sache? Komm leg dich aufs Bett, hatten sie mich aufgefordert. „Du bist ja ganz blass, lachen sie. Die zweite Frau, die zuletzt gekommen war und genau wie die erste keinen Namen nannte, hatte sich schon rückwärts auf mein Bett fallen lassen. Wie waren sie überhaupt im Schlafzimmer gelandet? Weg von den Lamellen! Die erste zog mich am Arm und biss mir in den Hals gebissen. Und gelacht. Dann schubst mich die eine und die andere zog. Ich fliege auf das Bett. Jetzt schreit die zweite: „Was machst du hier in meinem Bett?“ Sie ziehen mir, als ich im Bett zappel, den Gürtel aus der Hose und freuen sich. War das noch Spaß? Dann stoßen sie mich mit den Füssen auf den Boden, treten zu und versuchen mich mit dem Gürtel zu treffen. „Für Srebrenica“, schreien sie. „Wir ziehen Dir die Haut ab.“ „Ich hab doch nichts gemacht!“ , brülle ich. „Genau das ist es ja, du hast nur zugeguckt, du Feigling“. Ich will etwas erwidern, erklären, aber sie wollen nicht reden. Ich drehe mich zur Seite trample und strample mich frei. Mit letzte Kraft renne ich aus der Wohnung gerannt. Ich verliere meine Sinne. Jetzt steht diese Frau hier. Ist sie jetzt in Gefahr?
Kann ich sie da oben rein laufen lassen? Ich laufe an ihr vorbei, über die Straße in das Treppenhaus hinein, was mir von meinen Besuchen bereits vertraut ist. Von hier aus blicke ich in meine Wohnung, in der gerade die Jalousien, die ich vorhin weiter geöffnet hatte, vollständig geschlossen werden. Ich blicke noch einen Moment hinüber. Mein Herz rast und ich schwitze. Diesen Zustand meines Körpers bekomme ich nicht unter Kontrolle. Auf einem Treppenabsatz ruhe ich mich aus, was ich nicht lange aushalte. Als ich wieder aufstehe, sehe ich hinter den Lamellen meiner Wohnung einen schwachen Lichtschein. Er wirkt nicht wie ein Lampenlicht, das würde man in diesem noch schummrigen Tageslicht nicht erkennen. Was für ein Licht kann das sein? Ein Zeichen? Für mich? Ich stehe unschlüssig im Treppenhaus. Soll ich bei der Person klingeln, die immer im bläulichen Licht steht? Mit welcher Begründung? Ich denke, sie sieht mich auch. Fühle, dass sie mich kennt, da wir uns gewissermaßen täglich sehen. Ich wolle „Hallo“ sagen? Aber ich musste doch wissen, ob sie in meiner Wohnung war. Sie war doch meine einzige Bekannte von Gegenüber. Jedenfalls sehe ich sie immer. Wenn sie am Fenster ist. Ich muss doch auch für sie ein Bekannter sein. Unentschieden blicke ich wieder über die Straße. Sie scheint immer breiter zu werden. Ein Schwindel erfasst mich, mein Kopf weitet sich. Die Straße färbt sich blauschwarz zu einem Fluss. Das Wohnhaus gegenüber schrumpft zu einem Häuschen, wie das in Srebrenica. Srebrenica 1995, das Haus das brannte. Aus dem liefen jetzt zwei Frauen heraus und schrien. Ich sah sie weglaufen, voller Angst. Männer liefen ihnen nach. Schüsse fielen. Die Alte mit den Metallzähnen wurde jetzt in meinem Kopf immer jünger und lief rückwärts. Ich erinnerte mich nicht mehr, wer war ich da in Srebrenica, in dem Massaker. Das Haus am Fluss brannte jetzt lichterloh.

Der Mann ist verrückt, nicht ich! Ja, es ist ein erwachsener Mann. Ich habe ihn gesehen. Eben. Ich stand vor seiner Tür. Dreckiges Weiß, Schrammen im Holz. Die Tür wurde von Innen aufgerissen. Er. Nackt. Keuchend. Als habe man ihn gejagt. Schweissüberströmt, wie ein Urmensch aus einer anderen Zeit. Er starrte mich an. Wie ein Gespenst, auf das er gewartet hat. Ich sah an ihm hinunter. Was sollte ich sonst tun? Da fiel es mir auf, seine Hände. Rot. Auffallend rot. Er preschte an mir vorbei, so wie er war, die Treppen hinunter. Ich lief ein paar Schritte hinterher. So verrückt und aufgescheucht hätte er leicht ein Kind erschrecken können. Oder jemanden angreifen. Er könnte jemandem weh tun.

Aber was weiß ich schon über Menschen! In so vielen habe ich mich getäuscht, gerade in den mir so nahe geglaubten. Ich sehe, wie er hinüberläuft, von seinem Treppenhaus in meines. Und ich bin hier. Was tun, was tun? Ich zittere am ganzen Körper. Entzugserscheinung? Oder kann ich ihnen nicht mehr begegnen, den Menschen, so ganz ohne Scheibe, die nackte Realität vor Augen, den ganzen Wahnsinn?

Es gibt kein Zurück. Ich kann nicht hinüber, nicht in meine Wohnung. Da ist er. „Egal wo ich bin, du bist schon da“, der Satz des Todes, ein Satz, der mich an alte Zeiten erinnert. Den er zu mir sagte, im gemeinsamen Bett. Es schmerzt. Ich kann nur hier warten. Oder ganz gehen. Ein paar Straßen weiter. Zur Polizeiwache.

Weiterlesen: In Ambigue Begegnungen, BoD Verlag, ISBN 978-3749453283

Farewell and Breathing Change / Encounter Paul Celan

The one already dead
waxy thin skin
at the end of his days
or every day
just do some work
destroy what does not come true
will-o‘-the-wisp hammer
be Lenin and Stalin
lost, helpless child
a sacrifice that needs sacrifice
stay in balance powerful loser
Ship without a port
Ukraine does not answer
the oath of love
given in bearskin
he wants dead fill its emptiness
bathed in dragon’s blood vulnerable
looking in the mirror
nothing in sight
people out of breath
turn of the world
breath turn

Encounter: Paul Celan
„Half-eaten, mask-
faced corbel,
deep in the eye slit crypt:
In, up into the skull,
where you break the sky, again and again,
in furrow and whorl
he plants his picture
that outgrows, outgrows.

Abschied und Atemwende

Begegnung mit Paul Celan

Abschied und Atemwende

der bereits tot
wachsbleiche dünne Haut
am Ende seiner Tage
oder aller Tage

nur irgendein Werk vollbringen
vernichten was nicht wahr wird
irrlichtener Hammer
Lenin und Stalin sein

verlorenes, hilfloses Kind
ein Opfer das Opfer braucht
im Gleichgewicht zu bleiben
machtvoller Verlierer

Schiff ohne Hafen
Ukraina antwortet nicht
den Liebesschwur
im Bärenfell gegeben

Tote will er
seine Leere füllen
gebadet in Drachenblut
verwundbar

in den Spiegel blickend
das Nichts vor Augen
Volk außer Atem
Wendung der Welt

Atemwende

Begegnung: Paul Celan

„Halbzerfressener, masken-
gesichtiger Kragstein,
tief in der Augenschlitz-Krypta:

Hinein, hinauf
ins Schädelinnre,
wo du den Himmel umbrichst, wieder und wieder,
in Furche und Windung
pflanzt er sein Bild
das sich entwächst, entwächst.

Ukrainische Tage. Geburtstagsgruß

Geburtstagspostkarte am 1.3.2022

Heinz Gärtner 1916-2001

Lieber Vater.
Heute hast Du Geburtstag. Den 21. nach Deinem Tode 2001. Eine Woche vor 9/11 gestorben. Noch in einer heilen Welt. Ein Sozialdemokrat war damals Kanzler.

Im 1.Weltkrieg wurdest Du geboren. KZ; Gefängnis und Kriegsgefangenschaft hast Du überlebt. Eineinhalb Jahre Kriegsgefangenschaft in Lwiw, Lemberg in der Ukraine. Du hast die SPD nach dem Kriege mit aufgebaut und dich für ein sozialdemokratisches Deutschland eingesetzt. Noch zu Deinen Lebzeiten war Schröder Kanzler und darüber hinaus.
Später wurde dieser sozialdemokratische Kanzler Schröder, Anhänger des Neokapitalismus und der Ich-AG, ein Verräter der alten Sozialdemokraten. Hat die Arbeiterklasse sich selbst überlassen. Wurde Vasall und Diener des russischen Präsidenten Putin. Für Geld, Frauen und Gloria. Für ihn ist der Diktator Putin ein lupenreiner Demokrat. Beide sind Verlierertypen und verstehen sich deshalb gut. Der Diktator führt heute Krieg in der Ukraine. Da wo Du in der Kriegsgefangenschaft die Birken gefällt hast. Putin bombt gegen das Brudervolk, welches Demokratie will. Der Sozialdemokrat Schröder schweigt. Was würdest Du ihm sagen?  Für ihn ist Demokratie kein Gut, für das man einstehen muss, so scheint es. Aber es gibt kein richtiges Bewusstsein, ein richtiges Leben im falschen Leben. Was meinst Du? Neulich habe ich sogar von Schröder geträumt. Die Nibelungensage: Er war als Hagen verkleidet und hat Siegfried die Lanze in den Rücken gestoßen. Dort wo der Rücken nicht vom Drachenblut geschützt war. Im selben Traum hatte Putin einen Drachenschwanz mit einer Hand gepackt. Eine Stimme flüsterte: „Vergiss nicht, dass der Drache am anderen Ende ein großes Maul hat. Du darfst nie wieder loslassen“.
Heute ist wieder ein Sozialdemokrat Kanzler. Olaf. Olaf Scholz. Du kennst ihn gut, er hat die Laudatio auf Deiner Trauerfeier gehalten. Er gibt jetzt 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr her. Was würdest Du sagen?
Nie wieder Krieg! war Deine Devise. Als Kinder durften wir nicht einmal eine Spielzeugpistole anfassen.
Gibt es noch Sozialdemokraten? Mit der Waffe in der Hand?
Was würdest Du sagen?
Man muss sich wehren können. Nur ein starker Krieger muss nicht kämpfen. Was würdest Du sagen?

Brüder zur Sonne zur Freiheit, Brüder zum Lichte empor, hell aus dem dunklen Vergangenen leuchtet die Zukunft empor…

Ruhe in Deiner Zeit.
(Eine Postkarte ist zu klein für diese Welt.)

Dazu in diesem Blog: Widerstand. Begegnungen 1934
                                        Es geht uns gut

Tumore


Tumore

Gedanken selbständig verantwortlich unkontrolliert wahr

„Ein Dröhnen: es ist
die Wahrheit selbst
unter die Menschen
getreten,
mitten ins
Methaperngestöber.“
(Paul Celan, Atemwende)

Explosion: Krampf
Etwas will
um sich greifen
sich Platz schaffen
da wo kein Platz ist
ungebeten

Wirbel zerbrechlich
dünn die Membrane
zwischen allem
verletzlich das
Weltgeschehen
geschieht

von einer feuchten Decke
Tropfen
in weiße Kissen
sanft aufgesogen
schwere Tränen
Meer

Traumbilder
Katze nicht Maus
was raus muss
weiß oder schwarz
Blick ins Tal hinauf
fallen

Worte widerfahren
sprachloses Sprechen
alles trifft
laut und leise
gespürt
Schmetterlingsschlag

Kraft
schöpfen
Gedanken
viele gebündelt
einen starken
Strang

Die Schöne Corona in der Risikogesellschaft

Ein langer Lockdown hatte für einige Wochen ein Treffen mit der Schönen Corona verhindert. Jetzt konnten wir uns endlich im Freien treffen.
In ihrer Einladung hatte sie vermerkt: Die Menschheit wird gefressen werden. Unterzeile: Und sie weiß es.

Ihr neues Kleid fiel mir gleich auf. Der erste Blick. Das sie verwirrt war, beim zweiten Hinschauen. Sie erwartete mich an der Friedenseiche auf der kleinen Grünfläche auf der Mitte der Straßenkreuzung. Anstelle eines angemessenen Wintermantels oder einer Daunenjacke war Sie lediglich mit einem Cocktailkleid bekleidet. Erstaunlich bei diesen Temperaturen Anfang Februar. Sie lächelte nicht, wie ich es von unseren vorherigen Begegnungen gewohnt war. Ihre Gesichtszüge waren vielmehr in einem starren Lächeln gefangen. Ich fühle mich verfolgt, rief sie mir entgegen, noch bevor ich das den Rasen schützende niedrige Eisengitter überstiegen hatte. „The sound of the streets sounds so familiar“ rauschte mir durch den Kopf. Aber augenscheinlich nicht für sie. Her tears on my schoulder, dass ging nicht. „A new Kid in town“ von den Eagels. Ja das war sie. Sie war „a new Kid in Town“, allerdings ungeliebt. Man jagt mich wohl tatsächlich ergänzte sie. Dabei will ich nur meine Ruhe. Ständig muss ich mein Aussehen verändern, überall gibt es Kontrollen, beklagte sie.
Im Cocktailkleid bist du aber leicht zu erkennen, du fällst auf. Ja nickte sie, das soll so sein. Eine kurzfristige Ablenkung. Eine falsche Fährte. Aber ich habe mich mit neuer Kleidung eingedeckt. In London und Südafrika gab es einige Sales die ich nicht ausschlagen wollte. Sie erzählte ein wenig von ihren Reisen und erwähnte beiläufig, dass sie Donald Trump nicht getroffen hätte. Ich wedelte mit meiner Einladungskarte. Und wie soll ich das verstehen? Das wir von den Füßen her angefressen werden und nichts dagegen tun, weil wir davon ausgehen, dass unser Kopf weit genug entfernt von diesen Extremitäten ist?
Genau! Mir ist klar, dass ich dich am Ende als Wirt nutzen muss, wenn die Erde weiter so verbraucht wird. Sie lachte kurz auf. Diese kleinen Geplänkel waren für mich vor unseren tiefer gehenden Gesprächen immer wichtig, um mich sicherer zu fühlen. Schließlich ist ein Virus auch in etwa ein Tiger. Wer auf einem Tiger reitet, kann bekanntlich nicht einfach abspringen, wann er Lust hat.
Und wie geht es Dir?
Ich wusste, dass sie diese Frage ernst meinte, mir zuhören und kein „soweit ganz gut“ hören wollte. Die Frage, so offen gestellt, ließ mir alle Möglichkeiten zu erzählen, was mich bewegt.
Wie geht es mir? Zu Corona gewandt: Bei Dir, direkt in Deiner Nähe fühle ich mich sicher. Du springst mich ja nicht an. Ich habe nicht zu klagen, behauptete ich. Aber nein, ich hatte letztens gespürt, dass es nicht mehr stimmig war. Oberflächlich Haus, Garten, Wald hinter dem Haus, ein kleiner Dorfladen in der Nähe, gute Zeitstruktur. In mir scheint es anders auszusehen.
Corona blickte mich aufmerksam an. Ihre Gesichtsmuskeln entspannten sich.
Samstag war ich auf dem Wochenmarkt. Schon auf dem 500 Meter entfernten Parkplatz war Musik zu hören. Wirklich laute Musik. Platz greifend, lebendig und bestimmend. Der Marktplatz ist ziemlich quadratisch ausgerichtet,schmucklos funktional, umgeben von Geschäften, Wohnanlagen und wird vom dem denkmalgeschützten 70iger Jahre Bau des Rathauses und der daran angrenzenden Bücherhalle dominiert.
Öffentlich gespielte Musik in Zeiten der Coronapandemie zu hören ist ungewöhnlich. Dieser Samstag war ein sonniger Tag, die Winterkälte war zu spüren, aber die Sonne wärmte. Die zwei Musiker, eine Frau und ein Mann, spielten in der Manier und Qualität von „Dire Straits“. Berührender Gesang und perfekte Gitarrensoli. Es war eine Musik, die den gesamten Platz erfüllte und dennoch war es so still, dass man den leichten Wind hörte. Alle wahrten Abstand, standen gefühlt dennoch ganz eng zusammen und lächelten vor sich hin und andern zu oder verbargen ihre Tränen hinter ihren Masken. So ging es mir jedenfalls.Tränen hinter der Maske. Dieses Erlebnis hat mir eröffnet, wie es mir wirklich geht und gezeigt was mir fehlt. Verbundenheit und Zugehörigkeit im weitesten Sinne. Das hätte ich nicht gedacht.Ich habe dann begonnen genauer hinzusehen um herauszufinden wen oder was ich vermisse. Unterm Strich aber geht es mir gut. Es gibt Schlimmeres, lächelte ich.

Die schöne Corona wollte meinen Arm streicheln. So gut es mir getan hätte, so musste ich stattdessen einen Schritt zurück treten.
Ich kann dich gut verstehen und weiß wie es ist, wenn man Zugehörigkeit vermisst. Auch wenn wir viele sind, so wie ihr Menschen viele seid, sind wir doch allein. Wir haben unsere originären Wirte verloren, weil die Menschen sich in ihrer Fläche immer weiter ausbreiten. Wir Viren sind Vertriebene, Flüchtende. Und kommen keinesfalls aus einer Retorte. Was mich wundert ist allerdings der Umgang mit mir. Statt mich zu jagen, mich vertreiben zu wollen, solltet ihr lernen mit mir zu leben und bei Euch selbst schauen, wie ihr mit Risiken umgeht.
Du bist das Risiko für uns, zur Zeit, wandte ich ein. Wir haben uns intensiv mit dir beschäftigt.
Sie schüttelte den Kopf. Denke doch nur an die seit Jahrzehnten reale atomare Bedrohung. Diskutiert darüber jemand? In der Hochzeit des Kalten Krieges in den 1960igern solltet ihr im Falle eines atomaren Fallouts unter die Schultische kriechen oder euch die Aktentasche über den Kopf halten. Man sollte schnell in einen Graben oder ein Erdloch springen. Wenn du tot warst, war es gefählicher als vorher gedacht.
Tschernobil? War für Pilzsammler gefährlich, Fukuschima im Jahre 2011 weit weg. Die Kriege in die ihr verwickelt seid, nehmt ihr nicht wahr und wundert euch über Migration und Flüchtlinge.
Klimawandel, was ist damit? Gefährlicher als ich. Außerdem falle ich als Folgeerscheinung auch noch unter das Thema Klimawandel.

Die westliche Welt der reichen Industrieländer ist es nicht gewohnt, in Risiken zu denken.
Jetzt schon, versuchte ich in ihre Sätze hineinzukommen. Wir beschäftigen uns jeden Tag mit diesem Risiko, mit dieser Pandemie. Eine Kennziffer jagt die andere, alles wird vermessen, bewertet und gewichtet.

Sicher. Aber die Betrachtung von nicht persönlichen sondern allgemein gesellschaftlichen Risiken werden seit Jahrzehnten nicht beachtet. Die Risiken der Modernisierung, der internationalen Industrialisierung werden im Politik-und marketinggeschwafel verniedlicht.
Ich musste zustimmen. Die aktuelle Diskussion um die Lieferketten, (was für eine Verniedlichung für Kinderarbeit), die Forderung nach globaler Fürsorgepficht für international tätige Unternehmen. Das was heute thematisiert wird, kennen wir schon lange. 1972 die „Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome. 1985 die Analyse der Risikogesellschaft durch den Soziologen Ulrich Beck über die Verteilung von Modernisierungsrisiken:„Sie besitzen eine immanente Tendenz zur Globalisierung. Mit der Industrialisierung geht ein Universalismus der Gefährdungen einher unabhängig von den Orten ihrer Herstellung: Nahrungsmittelketten verbinden praktisch jedem mit jedem auf der Erde. Sie tauchen unter Grenzen durch.“
Deshalb bist du jetzt also hier? Ich bemerkte die Ironie in meiner Stimme. Oder war es bereits eine sarkastische Haltung? Denn immerhin sprach ich auch über mich selbst.

Corona nahm meine Worte wie sie waren, und konstatierte, gewissermaßen, ja.
Die Menschen leiden unter einer Risikoblindheit. Risiken bringen auf den ersten Blick keine Produktivitätsvorteile. Da gelten dann nach ökonomischer Logik auch die Gesetze der Naturwissenschaft nicht mehr. Das siehst du deutlich auch heute. Nichts ist anders. Das Risiko sich mit mir und meinesgleichen zu infizieren wird hinter einer Datenwand versteckt oder scheinbar objektiviert. Das Risiko wird abstrahiert, wird globalisiert.
Diese Verallgemeinerung lässt Betroffenheit entstehen, die für den einzelnen abstrakt bleibt. Das war schon immer so. Wo es für alle scheinbar kein Entkommen gibt, mag man schließlich auch nicht mehr an die Katastrophe denken. So war das mit den Pestiziden, der Luftverschmutzung und Atomstrahlen. Jetzt sind die Verursacher der Modernisierung selbst nicht mehr sicher. Und ja, Reiche und Arme sind langfristig, wenn auch zeitversetzt, denselben Risiken ausgesetzt.
Und die Wissenschaft in ihrer Arbeitsteiligkeit, kann diese Risiken nicht berechnen, zumal sie selbst Teil der Moderne ist und mit ausgedachten Grenzwerten die Verschmutzung und Vergiftung von Luft, Wasser am Sterben von Pflanzen, Tieren und Menschen legitimiert,
Wie du siehst, nützt uns Viren dieses Wissen um die individuellen Risiken auch nur eingeschränkt. Wir mussten unsere Stammwirte verlassen und sind am Ende Verlierer.
Einen Vorteil haben wir gegenüber anderen Lebewesen: Unser Wissen ist universell. Außerdem: Wir können uns innerhalb kürzester Zeit an Veränderungen anpassen. Siehst Du, sagte sie noch, während Sie immer durchsichtiger schien und ich vermutlich Zeuge ihre Mutation wurde. Heute war sie nicht so eloquent gewesen wie sonst, die Risikogesellschaft scheint sie sehr zu beschäftigen und zu verunsichern. Hätte ich nicht gedacht. Vieleicht täte ihr etwas Musik auf dem Marktplatz ganz gut? Oder würde sie mich eines Tages fragen, ob sie bei mir wohnen dürfe? Ich würde sie wiedersehen, da war ich mir sicher.

Ein Haus in Alutgama

Ein Haus in Alutgama (Alutgama-Road-Tsunami)

Weihnachten 2004

Abends

Dunkel war das Wasser, so als würde sich ein riesiger Schatten aus dem Universum darüber ausbreiten. Niemals war ihm das Meer so unwirklich und fremd erschienen. Obwohl er es doch als Fischer so gut kannte. Sakthivel hatte das Wasser noch nie so tiefschwarz gesehen. Nach der Riesenwelle türmte sich das Meer in den Straßen und riss Häuser auseinander. Das Wasser lärmte ungebändigt. Dennoch spürte er eine Stille in diesem Tosen, die ihn nur seinen Herzschlag hören ließ. Alles war so weit entfernt, die Zeit war keine Dimension mehr. Die schwarze Fläche breitete sich jetzt zu seinen Füßen aus, obwohl er auf der höchsten Stelle des Berges stand.

Frühjahr 2015

Es hatte eine Weile gedauert, bis wir ins Gespräch kamen. Mich hatte Sakthivels Leben schon seit Jahren interessiert. Auch weil mein Freund Tjark sein Leben mit dem von Sakthivel verbunden hatte und zu befürchten war, dass er sich darin verlor, indem er sich in eine fremden Kultur, eine anderen Welt projizierte. Er schenkte den Menschen in Beruwala viel Vertrauen und Zuversicht. Tjark beschrieb mich bei Sakthivel als Freund der dessen Geschichte gern hören und ihn kennenlernen wollte. Ich war mit einer Portion Vorurteilen gegenüber dem Glück und der befürchteten Illusion, aber auch sehr neugierig angereist. Tjark war so glücklich, wenn er nach Skri Lanka zu seinem Freund reiste. Ein Freund, der trotz seiner Schicksalsschläge immer lächelte und seine Mister Tjark aus Deutschland umsorgte.

Mir war die Kultur auf Sri Lanka noch völlig fremd. Ich hatte mich mit Buddhismus beschäftigt, wusste aber nicht, wie man hier ein sehr persönliches Gespräch beginnt. Mit diesen lächelnden Menschen, für die alles immer o.k. ist.
Saktivel begrüßte mich am Flughafen in Colombo wie einen alten Freund mit Bissous links und rechts auf die Wange. Später sagte er, Mr. Tjark hätte ihm angekündigt, dass ich schreiben wolle, über ihn und seine Familie.

Am ersten Abend, ich war müde nach der langen Reise, hatte alle Lichter gelöscht und die Kerzen ausgeblasen, die gegen die Mücken helfen sollten. Ich war im Begriff ins Bett zu gehen, als Sakthivel zu mir auf die Terrasse kam und sagte we can talk now. Es war jetzt fast stockdunkel, was unsere Gesichter in der Kulisse des Dschungels verschwinden ließ. Danach schwieg er eine Weile. Ich war überrascht, da ich mich auf einige Tage des Kennenlernens eingestellt hatte. Ok, sagte ich nach einiger Zeit, in der wir nur den Geräuschen der Tiere gelauscht hatten, und erzählte ihm, wie ich Tjark vor 35 Jahren kennengelernt hatte, erst als Kollege, dann als Freund und schließlich als ein wichtiger, vertrauter Spiegel in meinem Leben. Ich wusste, dass Tjark und Sakthivel viel Vertrauen zueinander hatten. Und dass er dieses Vertrauen auf mich übertrug und seine Geschichte erzählte. Von dem Tag an, der sein Leben verändern sollte.

Weiterlesen „Ein Haus in Alutgama“

Die schöne Corona in Israel

Titel: Abälardisieren mit Corona

I. Der Blick von Corona

Im hinteren Raum des Cafés, wo die Wände zu dicht mit vergilbten Theaterplakaten und zu wenigen Büchern bestückt sind, saß Corona in der Ecke. Ihre Finger ruhten auf einem geöffneten Notizbuch, die Tinte glänzte noch. Ich kannte sie lange genug, um zu wissen, dass sie bereits alles gedacht hatte, bevor sie den ersten Satz zu schreiben wagte.

„Du kommst spät“, sagte sie.

Ich setzte mich. Es war früher Abend, aber der Tag fühlte sich alt an. Irgendetwas war geschehen in ihr. Etwas hatte sich verschoben.

„Du hast geschrieben?“, fragte ich.

„Nein“, sagte sie. „Ich habe gestritten. Mit mir. Mit Gott. Mit dir.“

„Mit mir?“

Sie lächelte schmal. „Nicht direkt. Aber mit der Stimme, die du geworden bist.“

„Welche Stimme?“

„Die der Vorsicht. Der klugen Unterlassung.“

Ich schwieg. Ich wusste, sie meinte mehr als mich.

„Weißt du“, fuhr sie fort, „in Jerusalem, in der Knesset-Bibliothek, bin ich auf eine hebräische Übersetzung von Abälards Sic et Non gestoßen. Es war wie ein Echo. Diese mühselige Gegenüberstellung von Ja und Nein. Diese Hoffnung, dass die Vernunft das Chaos zähmen könnte.“

Ich wusste, worauf sie hinauswollte. Sie trug es seit Tagen mit sich herum, vielleicht seit Jahren.

„Und dann“, sagte sie, „dachte ich: Wir haben uns abälardisiert.“

Ich sah sie an. Sie sagte das Wort mit einer fast schmerzhaften Zärtlichkeit, als wäre es ein altes lateinisches Verb, das sie neu zum Blühen bringen wollte.

„Was meinst du damit?“

„Wir haben versucht, mit Vernunft die Welt zu retten. Haben geglaubt, Dialektik könne Moral ersetzen. Haben gedacht, zwischen Schmerz und Schuld gäbe es eine vermittelbare Wahrheit. Dabei ist alles zerfallen, was wir zu fassen glaubten.“

Sie nahm einen Schluck von ihrem Wein. Ihre Hand zitterte nicht mehr. Sie war zu weit gegangen, um noch zu zweifeln.

„Abälard hatte Heloise. Er liebte sie mit dem Kopf – und verlor sie mit dem Körper. Er wollte Wahrheit und bekam Stille. Wir auch. Wir wollten verstehen. Jetzt starren wir auf Trümmer.“

Draußen zog ein Demonstrationszug vorbei. Stimmen, Rufe, das metallische Scheppern einer Trommel. Corona hörte nicht hin. Oder hörte zu genau.

„Was ist dann das Gegenteil von abälardisieren?“, fragte ich.

Sie sah mich lange an. Ihre Augen hatten einen dunklen Glanz.

„Vielleicht glauben. Oder verzweifeln. Oder töten. Ich weiß es nicht. Vielleicht ist das unser Fluch – dass wir nicht aufhören können, zu fragen.“

Ich blickte auf ihr Notizbuch. Ein Satz stand darin, halb geschrieben, halb gelöscht:

> „Wer schweigt, lügt nicht. Aber er ist kein Zeuge.“

Ich wollte etwas sagen. Irgendetwas. Aber mein Mund blieb trocken. Die Welt war zu laut geworden für Worte, und doch zu dumpf für Antworten.

Corona klappte das Buch zu. „Ich muss gehen.“

„Wohin?“

„Zu einem Freund“, sagte sie. „Er glaubt noch.“

„An was?“

„An den Menschen.“

Sie ging. Und ließ mich zurück mit einer Frage, die wie eine Brandwunde in der Luft hing: Kann man eine verschämte Lüge abälardisieren – mit Worten, die nicht brennen, sondern heilen?

Ich wusste keine Antwort. Dann kam sie doch nochmal ins Cafe und sagte: Heloise antwortet nicht. Sie zitierte Heloise:

Man sagt, ich sei klug. Dass ich die Bücher kenne. Dass ich mit Männern streiten kann, ohne rot zu werden. Man sagt, ich habe einen scharfen Verstand, wie eine Klinge, frisch aus dem Feuer gezogen.
Aber niemand fragt, was das alles kostet.

Ich war in Jerusalem, ja. Ich stand in Yad Vashem. Ich stand in Ramallah. Ich stand zwischen den Sprachen, den Karten, den Kindern mit großen Augen. Ich stand wie Heloise einst – mit leerem Schoß und vollem Kopf.
Und ich verstand: Vernunft heilt nichts. Sie beschreibt nur die Wunde mit schönerer Sprache.

Abälard hat Briefe geschrieben. Lange, windende Sätze voller Demut, voller Philosophie. Er nannte es Liebe, aber es war Schuld. Und dann floh er in Klöster, in Argumente, in Gott.
Er nannte das Denken einen Trost. Ich nenne es ein Feigenblatt.

Wenn ich sage, wir haben uns abälardisiert, dann meine ich:
Wir haben gelernt, uns zu verstecken – hinter Begriffen, hinter Diskursen, hinter der Hoffnung, dass Wahrheit etwas ist, das man gewinnen kann.
Aber Heloise hat nie gewonnen. Sie hat geschwiegen, ja. Aber ihr Schweigen war nicht Zustimmung. Es war das Echo der Leerstelle, die Abälard hinterließ.

Ich habe deinen Blick gesehen, als ich dir von Gaza erzählte. Du hast mich nicht korrigiert. Nicht widersprochen. Aber du hast dich nicht getraut, zu nicken.
Das ist die verschämte Lüge, von der ich sprach:
Nicht, dass du lügst. Sondern dass du lieber nichts sagst, als etwas Falsches.
Aber das Falsche ist längst geschehen. Nicht in Worten. Sondern in Leben, die gezählt werden wie Statistiken.
Und du? Du willst gerecht sein. Objektiv. Verständig.
Abälard, mein Lieber, hat das auch gewollt. Und Heloise blieb allein zurück mit dem Kind.

Vielleicht braucht diese Welt keine neuen Abälards.
Vielleicht braucht sie Heloises, die nicht mehr schweigen. Die nicht bitten. Die nicht vergeben.
Die sich erinnern – nicht aus Rache, sondern aus Trotz.

Denn wer denkt, dass Denken reicht, um zu lieben,
hat die Sprache des Körpers nie verstanden.
Und wer glaubt, dass Worte genügen, um das Unrecht zu benennen,
hat nie mit einer Mutter gesprochen, die ihr Kind begraben musste.

Darauf lies sich nichts entgegnen. Selten hatte Corona so lange Monologe gehalten.

Corona und die Vorkriegsphantasie

Ich saß wieder im Caligo, den Espresso schon halb getrunken, als Corona auf ihren leichten Absätzen über das Pflaster klackte. Das gepunktete Sommerkleid wehte leicht im Wind, und sie lächelte, als sie sich mir gegenüber setzte.
„Du wirkst nachdenklich heute“, sagte sie, während sie sich die Sonnenbrille ins Haar schob.
„Es liegt etwas in der Luft“, antwortete ich. „Etwas, das schwerer ist als du.“
Corona lächelte schief.
„Die Ansteckungsgefahr? Ach, die ist längst zur Gewohnheit geworden. Aber ich verstehe, was du meinst.“
Ich lehnte mich vor.
„Es fühlt sich an wie 1931. Wie in der späten Weimarer Republik. Alle reden von Frieden, während die Strukturen brechen.“
Corona nickte langsam.
„Ihr tanzt wieder auf dem Vulkan. Inflation, Misstrauen, Militarisierung, extreme politische Lager. Der Mittelweg zerbricht – wie damals. Nur dass ihr diesmal glaubt, es besser zu wissen.“
„Und doch wiederholt sich alles“, sagte ich. „Nicht exakt, aber im Echo. Polarisierung statt Diskurs. Aufrüstung statt Abrüstung. Wirtschaftskriege statt Märkte.“
Corona spielte gedankenverloren mit dem Löffel in ihrem Espresso.
„Ihr habt nichts gelernt“, sagte sie leise. „Seht Jugoslawien. Ein zerfallendes Vielvölkerland, das innerhalb weniger Monate von Nachbarn zu Mördern wurde. Sarajevo, einst olympische Stadt, verwandelt in ein Massengrab.“

Ich sah sie an.
„Und heute? Gaza, Israel, Ukraine, Sudan, Kongo, Myanmar. Taiwan zählt still die Tage bis zur Invasion. Europa rüstet auf, bestellt Munition, reaktiviert Kasernen. Deutschland diskutiert offen über Taurus-Raketen und Kriegswirtschaft.“
Corona lachte bitter.
„Ihr sprecht von Verteidigung“, sagte sie. „Aber die Worte schmecken nach Angriff. Nach Entschlossenheit, nach Blut.“
„Die Diplomatie?“ fragte ich.
Corona zuckte mit den Schultern.
„Zerfallen zu Ritualen. Gipfeltreffen, Konferenzen, große Worte – während draußen längst die Drohnen kreisen. Russland spricht nicht mehr in Verhandlungen, sondern in Marschflugkörpern. China wartet ab, stählt seine Armeen, baut künstliche Inseln als unsinkbare Flugzeugträger. Amerika rüstet still für den nächsten großen Krieg, denn in ihrer Geschichte war Frieden nie der Normalzustand.“
Ich spürte das Gewicht ihrer Worte.
„Wir gleiten“, sagte ich, „wie Schlafwandler in die Katastrophe.“

Corona nickte.
„Nicht einmal in Panik, sondern langsam, schlaftrunken. Wie damals 1914, als niemand wirklich Krieg wollte, aber alle ihn billigend in Kauf nahmen.“
Sie schwieg einen Moment, ließ die Geräusche des Cafés an uns vorbeiströmen – Stimmen, Lachen, das Klirren von Tassen. Leben auf dünnem Eis.
„Was du spürst“, sagte sie schließlich, „ist das Ertrinken in Zeitlupe. Erst Risse im Alltag. Kleine Nachrichten. Ein Hackerangriff auf die Stromversorgung hier, ein Zwischenfall im Südchinesischen Meer dort. Erst Schwappen, dann Fluten.“
Ich schluckte.
„Und der Frieden? Gibt es ihn noch irgendwo?“
Corona sah mich lange an, mit einem Blick, der durch mich hindurchzugehen schien.

„Vielleicht in der Erinnerung. Vielleicht in den Augen von Kindern, die noch nicht lesen können. Aber selbst dort sickert das Gift langsam ein. Angst. Misstrauen. Gewalt als Normalität.“
Sie stand auf, schob den Stuhl zurück, als würde sie sich von einer sterbenden Welt verabschieden.
„Ihr habt geglaubt, Frieden sei der natürliche Zustand. Aber Frieden ist ein Zustand der Anstrengung, des bewussten Widerstands gegen eure eigene Natur. Und ihr seid müde geworden.“
Sie drehte sich um, warf mir noch einen letzten Blick zu.
„Vielleicht“, sagte sie, „ist dieser Krieg nicht das Ende. Sondern nur das, was ihr immer wart – nur ohne Maske.“

Dann verschwand sie in der Menge, während der Marktplatz einen Moment lang wie eingefroren wirkte.
Und irgendwo, ganz leise, hörte ich ein Geräusch – als würde etwas reißen. Etwas, das nie wieder ganz zu flicken sein würde.


„Warte“, rief ich ihr nach. Meine Stimme klang rau. „Wie wird es sein? Wenn wir nicht umkehren?“Corona blieb stehen. Sie drehte sich langsam zu mir um, als hätte sie diese Frage erwartet.
„Deutschland?“, fragte sie leise. „Europa? Die Welt?“
Ich nickte, unfähig, die aufsteigende Kälte in meinem Inneren zu leugnen.
Sie trat wieder näher, ihre Augen jetzt klar wie gefrorenes Wasser.
„Zuerst wird es stiller werden“, begann sie. „Nicht auf einmal, sondern schleichend. Immer mehr Orte werden von Blackouts heimgesucht – erst Stunden, dann Tage. Cyberangriffe auf Energieversorger, auf Wasserwerke, auf die Kommunikation. Niemand wird die Verantwortung übernehmen. Die Schuld wird zerstreut, wie feiner Nebel.“Ich schluckte.

„Die Supermärkte werden leerer. Die Lieferketten, von denen ihr so sehr abhängt, werden zerreißen. Medikamente werden knapp. Nahrung wird rationiert. Die Städte – eure stolzen, glänzenden Städte – werden zu bröckelnden Inseln der Angst.“
Corona sprach ruhig, fast zärtlich, als beschriebe sie ein vertrautes Märchen.

„Eure Gesellschaft, ohnehin schon zerrissen, wird brechen. Rechte Milizen, selbsternannte Verteidiger, Clanstrukturen. Bürgerwehren, die mehr Angst säen als Schutz bieten. Und die Regierung?“ Sie lächelte dünn. „Sie wird nicht verschwinden. Sie wird sich wandeln. Härter. Schneller. Kälter. Sicherheit über Freiheit. Kontrolle über Vertrauen.“
Ich schloss die Augen. Bilder blitzten auf: leere Regale, brennende Straßen, Männer in Uniformen, die nicht mehr zu unterscheiden waren.
„Und der Krieg?“, fragte ich mit gefühlt heiser werdender Stimme

Corona beugte sich zu mir, ihr Gesicht nun von einer dunklen, fast mitleidigen Traurigkeit gezeichnet.
„Der Krieg wird asymmetrisch sein. Eure Städte werden nicht von Bombenteppichen zerstört wie 1945. Nein – es wird präziser sein. Harter Winter, kein Strom. Hackerangriffe auf Krankenhäuser. Unterseeische Kabel, die reißen. Drohnen, die über Grenzen schleichen wie Gespenster. Kleine Anschläge, gezielte Sabotagen.“
Sie sah nachdenklich in den Himmel, wo sich die Wolken sammelten.

„Und irgendwann werden die Bomben kommen. Vielleicht Taurus, vielleicht Hyperschallraketen aus Osten oder Westen. Nicht massenhaft. Nur so viele, dass ihr begreift: Ihr seid verletzbar. Überall.“
Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug.
„Wird es ein Danach geben?“ fragte ich.
Corona lächelte sanft, beinahe mütterlich.
„Es wird immer ein Danach geben. Die Frage ist nur, wer es noch erleben wird. Und in welcher Welt.“
Sie strich mir kurz über die Hand, eine Geste voller bitterer Intimität.
„Ihr könntet lernen“, sagte sie. „Aber ich weiß nicht, ob ihr es wollt.“

Dann verschwand sie endgültig in der Menge.
Und ich saß da, mitten im leichten Treiben eines Frühlingstages, während in meinem Inneren bereits der Herbst begann.

Das Imperium schlägt zu

Die schöne Corona und das Imperium der Lüge

Der Regen prasselt sanft auf das Fensterglas des kleinen Cafés. Draußen huschen Schatten durch die Straßen, eilige Gestalten, gefangen im Rhythmus der Welt. Der Winter hier kann sich nicht entscheiden, was er sein will. Drinnen aber, an unserem Tisch frösteln wir über den andauernden Herbst der Welt. Ripp Corby, der mir gegenübersitzt rührt in seinem Kaffee, während die schöne Corona erscheint – mal sichtbar, mal unsichtbar, immer anwesend. Heute ist sie sehr präsent und ernster als sonst. Ihre Stimme ist leise, aber klar, als sie spricht. „Ich habe ihn wieder gesehen“, sagt sie. „Den gelborangen Menschen da drüben in Washington“.
„Trump?“ frage ich.
Sie nickt. „Aber nicht mehr der Trump, den ihr kanntet. Nicht der Geschäftsmann, nicht der Twitter-König, nicht der Clown. Ich habe den Trump gesehen, der sich selbst als Erlöser sieht. Als Imperator.“ Ich war im Oval Office, auf seiner Haut, in seinem Ohr, unter seinen Fingernägeln. Dort ist es besonders heiß. Es brennt unter den lackierten Nägeln.

„Das Oval Office ist nicht mehr das Oval Office wie ihr es kennt“, mischt sich Ripp Corby ein. „Ich habe ein schönes Buch von ´The Last Cartoons from The New York Times.`In einem Cartoon der ersten Amtszeit sitzt Trump vor zwei roten Knöpfen: ´Tweet und Nuke´. Jetzt ist er vorbereitet.“
Corona nickt. Es ist schlimmer geworden. Vielleicht ist er auch senil. So sah es aus: Es war jedenfalls skurril. Die goldenen Vorhänge seines Büros hielten die Außenwelt fern, während auf dem schweren Eichenschreibtisch eine Karte ausgebreitet lag. Gaza, von einem dicken roten Filzstift umrandet. Trump lehnte sich zurück, ein Glas Diet Coke in der Hand, und ließ seine Finger über die Karte gleiten. „Bibi, ich habe über dein kleines Problem nachgedacht. “Netanjahu saß ruhig da, die Hände locker ineinandergelegt, doch seine Augen funkelten. „Gaza ist keine Kleinigkeit, Donald.“
Trump winkte ab. „Klein, groß – spielt keine Rolle. Ich sehe hier einen gewaltigen Deal.“
Er breitete die Arme aus, als stelle er sich bereits die strahlende Zukunft vor. „Die Reviera am Mittelmeer! Ein Paradies für die Reichen. Casinos, Wolkenkratzer, Luxushotels. Nur leider von Terroristen bewohnt.“
„Er redete und redete“, stöhnte Corona. Ich konnte nichts machen. Durfte nichts machen, schließlich arbeite ich nach dem Zufallsprinzip und nicht so, dass ich mich auf Zielpersonen konzentriere.
Netanjahu schwieg die meiste Zeit. Er wusste wohl, dass Trump es liebte, sich reden zu hören und von allein mit einer Lösung kommen würde.
„Ich habe eine Lösung“, fuhr Trump fort. „Wir räumen sie raus. Ägypten hat Platz. Jordanien auch. Und wenn sie bleiben wollen? Nun … ein bisschen Druck hat noch immer Wunder gewirkt.“
Netanjahu tippte mit den Fingern auf die Karte. „Die Welt nicht wird zuschauen.“

Trump lachte. „Die Welt liebt Gewinner, Bibi. Und ich bin der größte Gewinner von allen. Sie werden eine wenig aufschreien, mehr nicht. Viele werden sich ein Beispiel an mir nehmen.“
Corona hält inne. Ihre Hände zittern leicht, während sie an ihrer Tasse nippt.
„Ich hauchte ihm ins Ohr, dass er sich täuscht“, sagt sie leise. „Dass die Welt nicht nach seinen Regeln funktioniert. Dass unsichtbare Dinge selbst die größten Herrscher zu Fall bringen können.“
„Hat er dich gehört?“ fragte Ripp.
Corona schüttelt den Kopf. „Vielleicht für einen Moment. Dann nahm er einen Schluck von seiner Coke und sprach weiter. Und so sehe ich die Zukunft“, orakelte Corona.

Sie richtete sich in ihrem Stuhl auf. Dann hielt sie ihre Händezusammen, so als würde sie aus einem Buch lesen:

„Die Jahre vergingen, und Trump spielte sein Spiel mit meisterhafter Präzision. Er nutzte Musk und Zuckerberg, um seine Wahrheit zu verbreiten, um die Welt nach seinem Willen zu formen.
X wurde zu seiner Kanzel. Facebook zu seiner Armee. Sie gaben ihm die Werkzeuge, um die Realität selbst zu gestalten.Und dann kam der Tag, an dem er das Oval Office verließ – nicht als Präsident, sondern als Kaiser. Die Wahlen? Ein Relikt der Vergangenheit.Die Demokratie? Ein Hindernis für den Fortschritt.Er regierte nicht mehr für die Menschen. Er regierte für die Geschichte.
In den Straßen wehten Banner mit seinem Gesicht. Seine Statue erhob sich anstelle von Lincoln. Die National Mall war nun ein Paradeplatz, auf dem uniformierte Massen ihm zujubelten.
In dunklen Räumen wurden die letzten Reste der alten Ordnung beiseitegeräumt. Die Medien? Ersetzt durch den „Trump News Network“. Die Opposition? Ein Mythos aus vergangenen Zeiten. Und die Männer, die ihm einst dienten?

Sie standen nun vor ihm.

Elon Musk und Mark Zuckerberg hatten gedacht, sie wären unersetzlich. Dass sie die Welt durch ihre Netzwerke kontrollierten.
Doch nun standen sie im neuen Thronsaal – einst das Oval Office – und sahen sich um. Keine Schreibtische mehr. Nur ein gigantischer schwarzer Thron und die goldene Statue eines Adlers mit einem Dolch in der Kralle.
Trump erhob sich langsam.
„Ihr habt gute Arbeit geleistet“, sagte er, sein Blick auf die beiden Männer gerichtet. „Aber ich dulde kein altes System.“
Musk trat einen Schritt vor. „Aber wer soll dann –“
„Ich dulde gar kein System. „This is the End!“

Trump klatschte in die Hände. Zwei Männer in schwarzen Uniformen traten aus den Schatten. Sie packten Musk und Zuckerberg an den Armen.
„Ihr habt mir gedient, weil ich euch brauchte“, sagte Trump sanft. „Jetzt brauche ich euch nicht mehr.“
Ohne Aufschrei, ohne Kampf wurden sie hinausgeführt. Sie wussten, dass es zwecklos war.
Trump drehte sich um, griff nach seinem Glas und nahm noch einen Schluck. Dann sah er in den dunklen Raum, als könnte er eine Gestalt erkennen, die niemand sonst sah.
„Ich bin unbesiegbar“, sagte er leise. „Ich habe dich geleugnet, Corona. Und sieh – ich lebe noch.“ Ein leises Flüstern ging durch den Raum. Niemand außer ihm hörte es.“


Corona lächelt traurig. „Ende der Geschichte.
und klappte das imaginäre Buch zu.“ Er glaubt wirklich, dass er über allem steht. Dass er das Schicksal der USA und der Welt selbst lenken kann. Dennoch hat er Angst, krank zu werden.“
Ripp sieht sie an. „Meinst du, dass er fällt?“
Corona schließt die Augen. „Jeder Herrscher, der sich für unsterblich hält, fällt. Manche durch Schwerter, andere durch die Geschichte selbst.“
Draußen rauscht der Regen weiter, wäscht die Straßen, spült die Spuren fort.
Doch irgendwo, in einem Palast aus Gold und Lügen, sitzt ein Mann auf seinem Thron und glaubt, dass seine Herrschaft ewig währt.

THE BiG MEAL. Oh, how beautiful Greenland is

Oh, How Beautiful Greenland Is

It was one of those memorable days when the sun painted a blood-red promise across the sky and the mansions of the wealthy in Hollywood burned, as Donald Trump decided to shatter the political china. The plan to annex the Panama Canal Zone, Canada, and Greenland was like a fatal melody that refused to fade from his mind. With a determination more akin to a child’s impulse than a statesman’s calculation, he declared his intent to bring these territories under American control. „Why shouldn’t we rule the world too?“ he mused, as always addressing an invisible audience, striding through the halls of the White House.

But no sooner had his ambitions thrown the world into turmoil than the United Nations convened—a collective of nations whose patience had long been tested. Resistance mounted. It was not just a political maneuver but also a profoundly practical challenge: Trump wanted to smash porcelain that had stood on the shelves of diplomacy for generations. In response to the united opposition to the annexations, the president entered the scene like the last piece of a puzzle that could never be completed.

The reaction was as monumental as the politics behind it. In an act of near-comedic hubris, Trump, the „Don“ of the modern age, shattered all the china in the White House. It began with a single dish—a plate of the finest porcelain, which he smashed to the ground as a symbol of the fragile world order he sought to outwit. The shards flew in all directions, accompanied by a triumphant smile that betrayed neither joy nor regret.

“No more cutlery!” he proclaimed with a broad grin. “From now on, we eat like real winners. Hands, people. Hands!” The old rituals were over. From then on, no one in the White House would dine with utensils, and all other formalities of fine dining were abolished. Trump was turning the entire political culture upside down—just as he always had.

The Great Feast

To celebrate the occasion, he invited the greatest minds of the business world: Mark Zuckerberg, Elon Musk, Jeff Bezos, and other billionaires whose names had long become synonymous with global influence. They were not just to come as guests but as players in an absurd theatrical production that Trump directed—the theater of food.

The tables were lavishly set, though not with the kind of fare one might expect at an opulent state banquet. Instead, there were vegetables and porridge—green leaves as tasteless as the political conflict Trump had ignited across the world, and porridge that oozed beyond the rims of the plates in a thick, sticky mass. Only for Trump himself were an extra-thick burger and a large pizza served—the true taste of America.

“This is real luxury,” Trump murmured as he bit into his burger, while the billionaires looked on with a mixture of horror and unease. At first, they held back, trying to preserve a shred of civilization’s decorum. They clung to their forks as though grasping at a world order that was rapidly unraveling.

But it didn’t take long for the atmosphere to change. One by one, the billionaires reached into the porridge with their bare hands, smearing their cheeks or rubbing the sticky mass into their fingers as if discovering a new, almost liberating ritual. Zuckerberg, initially hesitant, suddenly grabbed a carrot and held it triumphantly aloft. “The world is changing, and we’re changing with it,” he declared with a grin only half-tinged with sincerity.

Elon Musk, who had been staring critically at the white porridge, finally grabbed a handful of vegetables and flung it toward Jeff Bezos, who instinctively caught it, only to take a massive bite and join in. A splash of tomato porridge landed on Musk’s shirt. “What a fantastic mess,” he said. “Entirely in Trump’s style.”

And so the game began: a surreal parade of supporters and opponents of the annexations. Each billionaire adopted a role in this absurd dinner theater. Zuckerberg suddenly proclaimed himself a supporter of the Greenland annexation, while Musk, who had initially seemed aloof, now railed vehemently against the takeover of Canada. The others followed suit, navigating the political turmoil through porridge and their greasy hands.

Finally, as the wine flowed freely and the porridge spread inexorably across the billionaires’ shirts, there was a moment of pause. This was no longer just a meal; it was a symbol—a symbolic act in which the world they had controlled for so long slipped from their grasp before their eyes, in a farce that respected neither political decisions nor moral boundaries. And as Trump reached for one last burger, he paused for a moment of contemplation.

“Maybe just one more piece of Greenland?” he murmured thoughtfully, as another splatter of porridge marked the loss of composure in the room.

The ending remained unclear, but the billionaires continued feeding each other, sometimes earnestly, sometimes laughing, leaving the question hanging: Would the porridge and chaos flow on until nothing remained, or would someone eventually pick up the first plate and sweep up the shards?

Das Große Fressen. Oh, wie schön ist Panama (und Kanada und Grönland).

Es war ein jener denkwürdigen Tage, an denen die Sonne ein blutrotes Versprechen in den Himmel malte und die Villen der Reichen in Hollywood brannten, als Donald Trump beschloss, das politische Porzellan zu zerschlagen. Der Plan, die Panama-Kanalzone, Kanada und Grönland zu annektieren, war wie eine fatale Melodie, die in seinem Kopf nicht mehr verklingen wollte. Mit einer Entschlossenheit, die mehr an den Impuls eines Kindes als an den Kalkül eines Staatsmanns erinnerte, verkündete er seine Absicht, diese Gebiete unter amerikanische Kontrolle zu bringen. „Warum sollten wir nicht auch die Welt beherrschen?“ sprach er, wie immer von einer unsichtbaren Zuhörerschaft angesprochen, als er durch die Hallen des Weißen Hauses schritt.

Doch kaum hatte er die Welt mit seinen Ambitionen in Aufruhr versetzt, kamen die Vereinten Nationen zusammen – ein Kollektiv aus Ländern, deren Geduld schon lange strapaziert war. Der Widerstand wuchs. Es war nicht nur ein politisches Manöver, sondern auch eine ganz praktische Herausforderung: Trump wollte Porzellan zerschlagen, das seit Generationen in den Regalen der Diplomatie stand. Als Reaktion auf den vereinten Widerstand gegen die Annexionen trat der Präsident in die Szene, als wäre er der letzte Puzzleteil eines Spiels, das nie gewonnen werden kann.

Die Reaktion war ebenso monumental wie die Politik, die dahintersteckte. In einem Akt von beinahe komödiantischem Größenwahn ließ Trump, der „Don“ der modernen Ära, das gesamte Porzellan im Weißen Haus zerschlagen. Es begann mit einer einzigen Scheibe – einem Teller aus feinstem Porzellan, den er auf den Boden warf, als Symbol für die zerbrechliche Weltordnung, die er zu überlisten versuchte. Die Scherben flogen in alle Richtungen, begleitet von einer Art triumphierendem Lächeln, das weder Freude noch Reue verriet.

„Kein Besteck mehr!“, verkündete er dann mit einem breiten Grinsen. „Ab heute essen wir wie die wirklichen Gewinner. Hände, Leute. Hände!“ Die alten Rituale waren vorbei. Fortan würde niemand im Weißen Haus mit Besteck speisen, und alle weiteren Formalitäten der gehobenen Küche waren Makulatur. Trump war dabei, die ganze politische Kultur auf den Kopf zu stellen – ganz so, wie er es immer getan hatte.

Das Große Fressen

Zur Feier des Anlasses lud er die größten Köpfe der Wirtschaft ein: Mark Zuckerberg, Elon Musk, Jeff Bezos und weitere Milliardäre, deren Namen längst zu Synonymen für globalen Einfluss geworden waren. Sie sollten nicht nur als Gäste kommen, sondern auch als Mitspieler in einem absurden Theaterstück, das Trump inszenierte – das Theater des Essens.

Die Tische waren reich gedeckt, doch nicht mit dem, was man üblicherweise in einem opulenten Staatsbankett erwarten würde. Stattdessen gab es Gemüse und Brei – grüne Blätter, die so geschmacklos waren wie der politische Konflikt, den Trump in der Welt entfachte, und Brei, der sich in einer zähen Masse über den Tellerrand hinaus verteilte. Nur für Trump selbst war ein extra dicker Burger und eine große Pizza serviert worden – der wahre, amerikanische Geschmack.

„Das ist der wahre Luxus“, murmelte Trump, während er genüsslich in seinen Burger biss und die Milliardäre mit einer Mischung aus Entsetzen und Unbehagen zusahen. Anfangs hielten sie sich zurück, versuchten, sich den kleinen Anstand der Zivilisation zu bewahren. Sie hielten die Gabeln in der Hand, als ob sie noch versuchten, sich an eine Weltordnung zu klammern, die gerade zerbrach.

Doch es dauerte nicht lange, bis die Atmosphäre sich veränderte. Immer wieder griff einer der Milliardäre mit bloßen Händen in den Brei, schmierte sich die Wangen voll oder rieb sich den Brei an den Händen, als ob dies ein neues, fast befreiendes Ritual wäre. Zuckerberg, zunächst noch zögerlich, griff plötzlich nach einer Möhre und hielt sie triumphierend in die Luft. „Die Welt verändert sich, und wir ändern uns mit ihr“, sagte er mit einem grinsen, das nur halb von Wahrheit durchzogen war.

Elon Musk, der bis dahin mit einem kritischen Blick auf den weißen Brei gestarrt hatte, schnappte sich schließlich eine Handvoll Gemüse und warf es in die Richtung von Jeff Bezos, der es reflexartig aufgriff, nur um mit einem riesigen Bissen die Szene zu betreten. Ein Klecks Tomatenbrei landete auf Musks Hemd. „Was für ein fantastisches Chaos“, sagte er. „Ganz im Stil von Trump.“

Und so begann das Spiel: Es war ein skurriles Schaulaufen von Unterstützern und Gegnern der Annexionen. Jeder Milliardär übernahm eine Rolle, die er in diesem absurden Diner spielte. Zuckerberg erklärte sich plötzlich zu einem Befürworter der Annexion Grönlands, während Musk, der anfangs noch etwas distanziert gewirkt hatte, nun vehement gegen die Übernahme von Kanada wetterte. Die anderen folgten, als sie versuchten, die politische Lage durch den Brei und die gesalbten Hände zu navigieren.

Schließlich, als der Wein in Strömen floss und der Brei sich unaufhaltsam auf den Hemden der Milliardäre verteilte, gab es einen Moment des Innehaltens. Es war nicht mehr nur ein Mahl, es war ein Symbol. Ein symbolischer Akt, in dem die Welt, die sie so lange kontrolliert hatten, sich vor ihren Augen entglitt – in einer Farce, die weder politische Entscheidungen noch moralische Grenzen kannte. Und als Trump zu einem letzten Burger griff, überlegte er kurz.

„Vielleicht doch noch ein Stück von Grönland?“ murmelte er nachdenklich, während ein weiterer Klaps auf den Brei ertönte, als jemand die Fassung verlor.

Das Ende war nicht klar, aber die Milliardäre fütterten sich weiterhin gegenseitig, manchmal mit Ernst, manchmal mit Lachen, und doch blieb die Frage offen: Würde der Brei und das Chaos weiterfließen, bis nichts mehr übrig war, oder würde irgendwann jemand den ersten Teller in die Hand nehmen und die Scherben aufkehren?

Elon On The Point Without Time

The Point Without Time

The world had stopped turning. Not because the Earth had ceased its rotation, but because the very concept of time had imploded. Past, present, and future melted into a single, unfathomable point, existing as an endless moment. Everything that had ever been, is, and will be happened simultaneously—a cacophony of existence, an eternal now.

Amid this chaos existed a man named Elon Musk, but he was not merely a man. The collapse of time had disassembled his being and interwoven it with every possible version of himself. He was the child in South Africa with sparkling eyes looking up at the stars, and the man launching rockets into the sky. He was both a charlatan and a visionary, a hero and a fool, a god of technology and a man consumed by his own humanity.

Elon was the merchant selling electric carriages to a desperate people thirsting for hope, and simultaneously the madman standing at the edge of the universe, shouting, „Let us build new worlds!“ He was the one who colonized Mars and, at the same time, the one who sat in a cave millennia ago, drawing lines with charcoal on the walls—a primitive blueprint for things he could not understand but sensed.

In this timeless point, Elon Musk did not merely see his own existence but the essence of what defined him. He was a nexus, a network of countless dreams, mistakes, contradictions, and possibilities. He was neither good nor evil, neither success nor failure. He was striving itself—the eternal act of creating and destroying, the attempt to transcend the limitations imposed on him by time, space, or mortality.

And in this moment, which was no moment, a question arose: Who was Elon Musk?

The answer was everywhere and nowhere. He was a mirror reflecting the hopes and fears of an entire species. He was the inventor of dreams reaching beyond the skies and the nightmare flooding the world with machines that overtook it. He was both human and idea, vision and curse.

But then came the realization: In a universe where everything happens at the same time, there is no „who.“ The question dissolved as Elon Musk—or what was left of him—understood that he did not exist but simply was. He was the spark in the eternal fire, a fragment of infinity that glowed for a brief moment before dissolving back into the whole.

And so, like all things that ever were and ever will be, he faded into the endless cycle of existence.

Corona und der Universal Soldier

Ich betrat das Café, das an diesem trüben Herbsttag wie ein Zufluchtsort wirkte. Die Luft war kühl, und die Blätter wirbelten in einer Melange aus Rot, Gelb und Braun durch die Straßen. Corona saß schon da, wie beim letzten Mal, in ihrem schwarzen Kleid. Ihre Gelassenheit wirkte fast unheimlich, als wäre sie vollkommen unberührt von der Furcht und dem Chaos, das mit ihrem Namen verbunden war. Ich vergaß, daß nur ich Ihre Identität kannte. Doch heute summte sie, was sie sonst bei unseren vielen Begegnungen nie getan hatte. Diesmal war es deutlicher: „Universal Soldier“ von Donovan. Ein Lied, das mich sofort in den Bann zog. Es war seltsam – ein Virus, das ein Friedenslied summte?

„Warum gerade dieses Lied?“ fragte ich sie, nachdem ich mich gesetzt hatte. Ich war neugierig, fast herausgefordert von ihrer scheinbar spielerischen Wahl.

Sie lächelte – ein sanftes, fast tröstliches Lächeln. „Zu deiner Begrüßung“, sagte sie mit einem Hauch von Spott in der Stimme. „Letztes Mal warst du so schockiert von unserer Unterhaltung über Pseudomonas Aeruginosa. Du hast nur die Bedrohung gesehen, den Schrecken. Da dachte ich, vielleicht hilft dir ein wenig Weitblick.“

Ich runzelte die Stirn. „Weitblick? Wie meinst du das?“

„Der Universal Soldier“, begann sie leise, während sie ihren Blick durch das Fenster schweifen ließ, „ist überall. Er ist schlimmer als Viren und Keime. Er marschiert in Israel, Palästina, im Iran, in den USA, in Russland, der Ukraine – und selbst hier, in Deutschland, in Afrika, in China. Überall, wo Menschen Krieg führen.“ Sie nahm einen tiefen Atemzug, als ob sie das Gewicht ihrer Worte selbst spürte. „Er ist derjenige, der die wahre Zerstörung bringt. Auch unsichtbar mit seinen Drohnen und ferngesteuerten Raketen.“

Ich lauschte ihren Worten, während die Zeilen des Liedes in meinem Kopf nachhallten: „He’s the Universal Soldier, and he really is to blame.“ Donovan hatte es als Anklage geschrieben, nicht nur gegen den Soldaten, sondern gegen das gesamte System, das ihn blind in den Krieg schickte. Doch es war nicht nur der Soldat, der schuldig war – es war auch das Versagen der Menschheit, immer wieder die gleichen Fehler zu begehen, immer wieder in denselben Kreislauf aus Gewalt, Hass und Zerstörung zu treten.

„Aber was hat das mit dir zu tun?“ fragte ich schließlich. „Du bist doch kein Soldat, keine Kriegerin. Du bist…“ Ich stockte und überlegte. „Du bist ein Virus.“

Corona lehnte sich zurück und betrachtete mich für einen Augenblick, als würde sie nach den richtigen Worten suchen. „Das ist der Punkt“, sagte sie schließlich. „Ihr denkt, ich sei die Bedrohung. Dass Viren und Keime die größte Gefahr für euch darstellen. Aber das stimmt nicht. Ich bin nur ein Teil des großen Ganzen, genauso wie der Universal Soldier. Ich bin eine Konsequenz eurer Welt, nicht die Ursache. Ihr seid es, die die wahre Zerstörung bringen – durch eure Kriege, eure Gier, euren Hass. Der Universal Soldier ist nur eine Figur in diesem Spiel. Er existiert, weil ihr es zulasst.“

Ihre Worte sanken in mich ein, wie Tropfen auf einen stillen See. Der Universal Soldier war nicht nur der Soldat auf dem Schlachtfeld – er war ein Symbol für die kollektive Unfähigkeit der Menschheit, aus der Vergangenheit zu lernen. „Without him, all this killing can’t go on,“ ging es mir durch den Kopf. Aber warum ging es dann weiter? Warum schafften wir es nicht, die Gewalt zu beenden?

„Es ist, als wäre der Soldat ein Teil von uns allen“, sagte ich nachdenklich. „Er verkörpert unsere Ängste, unsere Ignoranz, unser Versagen, Verantwortung zu übernehmen. Wir erschaffen ihn, immer wieder. Genau wie wir Kriege erschaffen, immer wieder.“

Corona nickte. „Genau. Der Soldat, der Virus, der Keim – sie alle sind Symbole für etwas Tieferes. Ihr Menschen sucht oft nach äußeren Feinden, nach greifbaren Bedrohungen, die ihr bekämpfen könnt. Aber die wahre Bedrohung liegt in euch selbst. Ihr seid es, die entscheiden, ob der Universal Soldier weiter marschiert. Ihr seid es, die entscheiden, ob ich, Corona, eine Bedrohung bleibe oder nicht.“

Ich dachte an die Zeilen des Liedes, die mich schon immer besonders berührt hatten: „He’s the one who gives his body as a weapon of the war, and without him, all this killing can’t go on.“ Es war eine erschreckende Wahrheit, die Donovan damals offenbart hatte – und sie war heute relevanter denn je. Der Universal Soldier war in uns allen, und er konnte nur aufhören zu existieren, wenn wir uns dafür entschieden.

„Aber warum tun wir das?“ fragte ich leise. „Warum führen wir immer wieder Kriege? Warum erschaffen wir Soldaten und Feinde, wenn wir doch wissen, dass es uns zerstört?“

Corona lächelte traurig. „Weil es einfacher ist, einen äußeren Feind zu sehen, als sich den eigenen inneren Konflikten zu stellen. Weil Angst und Macht süchtig machen. Ihr glaubt, dass ihr durch Kontrolle und Gewalt Sicherheit finden könnt, aber in Wahrheit zerstört ihr euch selbst. Der Universal Soldier wird nicht aufhören zu marschieren, solange ihr nicht bereit seid, euch euren eigenen Schatten zu stellen.“

Ich schaute sie an und spürte eine seltsame Mischung aus Verzweiflung und Hoffnung. Sie hatte recht. Es waren nicht die Viren oder Keime, die die größte Gefahr darstellten – es war der Mensch selbst. Wir waren es, die den Universal Soldier erschufen, die ihn am Leben hielten, die ihm erlaubten, immer wieder aufs Schlachtfeld zu marschieren. Aber genauso, wie wir ihn erschaffen hatten, hatten wir auch die Macht, ihn zu stoppen.

„Vielleicht“, sagte ich nach einer Weile, „können wir den Universal Soldier eines Tages besiegen. Vielleicht können wir lernen, aus dem Kreislauf der Gewalt auszubrechen.“

Corona blickte mich lange an, und ihr Lächeln wurde weicher. „Vielleicht“, antwortete sie. „Aber das liegt allein bei euch. Ihr habt die Wahl. Immer.“

Ich stand auf, bereit, das Café zu verlassen. Hinter mir summte Corona weiter, die melancholische Melodie des „Universal Soldier“ verweilte in der Luft. Draußen setzte der Regen ein, ein leiser, sanfter Tropfen, der die Straßen wusch. Vielleicht war es ein Zeichen – ein Neuanfang, eine Reinigung. Vielleicht konnten wir, wenn wir wirklich wollten, den Universal Soldier eines Tages zum Stillstand bringen. Doch bis dahin blieb er ein ständiger Begleiter, immer bereit, in uns zu erwachen, solange wir ihn fütterten.

Und so verließ ich das Café, mit der Melodie in meinem Kopf und einer leisen Hoffnung im Herzen. „He’s the Universal Soldier and he really is to blame…“ Aber vielleicht, dachte ich, müssen wir nur aufhören, ihm zu folgen.