Margot. Ein Leben in Briefen

Briefe an Heinz

Manchmal nahm ich den Alsterdampfer bis zur Anlegestelle Leinpfad. Ich gönnte mir den Luxus für das Gefühl, wie eine Dame mit eleganten Schritten aus einer Kutsche zu steigen. Den Weg zum gegenüberliegenden Tanzlokal konnte ich, im Sommer zumindest, ohne Mantel zurücklegen und sparte das Geld für die Garderobe. Das Winterhuder Fährhaus hatte eine riesige, blanke Tanzfläche, die von Caféhaustischen umstellt war. Reste aus besserer und schlechterer Zeit, angestaubter Charme der 30iger Jahre. In Eppendorf waren die meisten Bürgerhäuser von den Bomben der Engländer verschont geblieben. Ein Glück für das Fährhaus und die Tänzer und Tänzerinnen und alle, die für eine kurze Zeit vergessen wollten was war und ist oder die Wärme eines Tänzers suchten.

Das Tanzlokal war  immer rappelvoll. Bei dem Frauenüberschuss war es für die Männer ein leichtes, Tanzpartnerinnen zu finden. Heinz war ein guter Tänzer und sehr musikverliebt. Wir tanzten an den Wochenenden im Winterhuder Fährhaus zusammen. Er tanzte nicht nur mit mir. Aber er wurde mein Heinz.

Ein Jahr bevor wir uns kennenlernten, kam Heinz zurück in diese Stadt. Seine Stadt, sein so geliebtes Hamburg. Das war im Oktober 1946. Zurück in die Kälte der Ruinen, zurück zwischen die Menschen, die man nicht wiedererkannte, wenn man in der Nazizeit wegging und dann in der Zeit der Wolfsmenschen zurückkam. In dieses Durcheinander der Vertriebenen und Getriebenen. In ein Land der Nazis, die plötzlich keine mehr waren. Nur ein Versehen. Ich war nicht dabei. Man hat auf dem Mond gewohnt. Da hat man nichts gewusst. Wie auch. Alles gelogen. Das Leben muss ja weitergehen.
Heinz hatte Hamburg1943 zum letzten Mal gesehen, bevor er, als politisch Unzuverlässiger, Widerstandskämpfer und ehemaliger KZ -Insasse an die Ostfront geschickt wurde. 1946 kam er endlich zurück in diese zerbombte Stadt. Trümmerlandschaft. 50.000 Tote. Mörderische Kälte im Winter 1947. Für ihn war der Krieg sicher viel schlimmer als für mich die Zeit hier gewesen ist. Nach dem Krieg hatte ich schnell wieder Arbeit.

Meine Mutter war früh tot, ich war gerade 17 Jahre alt geworden. Mein Vater war Kapitän und ständig auf See. Als meine Mutter gestorben war, zog bald darauf eine Stiefmutter ein. Von da an war ich ein ungeliebtes Kind. Wir bewohnten ein schönes kleines Fischerhaus direkt an der Elbe. Mit meinem Freund Adsche floh ich so oft es möglich war, in unsere kleine Jolle auf die Elbe. Rüber nach Hans-Kalb-Sand, wo wir uns in der Sonne ausstrecken und die dicken Pötte beobachten konnten. Adsche wollte nicht mit Adolf verwechselt werden, wegen des Schnauzbärtigen. Weil eben viele dachten, Adsche wäre eine Kurzform von Adolf. Dabei hieß er Arthur. Der Bär. Außerdem war er spindeldürr. Meine Eltern hatten mir immer wieder verboten mit ihm zu segeln, weil wir im Fall der Fälle über die Reling pinkeln mussten. Das war unfein und gehörte sich nicht für ein junges Mädchen. Aber mein Vater war meist auf See, meine Mutter hütete, oft kränkelnd, das Haus. Wir segelten. Und pinkelten.
Ich machte noch meine Ausbildung zur Sekretärin, dann war Krieg. Und ich war weg von allem. Der Krieg in Frankreich wurde zur schönsten Zeit meines Lebens. Also nicht der Krieg, aber die Zeit. Gekämpft wurde nicht, da wo ich war.  Das dachte ich damals und es blieb mein Leben lang wahr. Ich war in Angers stationiert, gerade 22 Jahre alt und sollte als erstes voulez vous couchez avec moi lernen. Ich lachte darüber und genoss das französische Leben unter der Nazibesatzung. Ich sollte auf den Tischen tanzen und rückwärts lachen, was ich gut konnte. Ich tanzte und lachte. Dann kam der Ami, Rückzug, und der Rest ist Geschichte.

Zurück in Hamburg, bekam ich glücklicherweise eine Anstellung in einem Büro als Stenotypistin und Sekretärin. Geld gab es nicht viel, aber es reichte, denn zu kaufen gab es kaum etwas und ich wohnte möbliert. Dennoch waren in dieser kalten Zeit, in dieser Ruinenwelt, unter den unvorstellbar schrägen, abgerissenen Gestalten, auch Menschen voller Lebenslust. Wie Heinz. Mein Liebster. Ich habe ihn beim Tanzen im Winterhuder Fährhaus kennengelernt. Nett und höflich getanzt, später verabredet, allerdings bin ich erst mal zwei Wochen weg, hatte er gesagt. Schlawiner, was für ein Korb! Den sehe ich nie wieder, hatte ich mir gedacht. Irrtum. Verliebt, verlobt verheiratet. Wer glaubt denn daran. Er kam tatsächlich wieder. Ein Mann ein Wort. Aber immer wieder weg, dass war er häufig. Ein sozialdemokratischer Sozialist, ein Widerstandskämpfer, unterwegs, Deutschland neu aufbauen. Das was war, die Schmerzen hinter sich lassen: KZ, Krieg, Kriegsgefangenschaft.

Ich schrieb ihm fleißig, wenn er unterwegs war. Briefe, in denen mein zukünftiges Leben bereits abzulesen war. Das hätte mir trotz der vielen Tänze und den Hochzeitsplänen auffallen müssen.

23.8.1949

Ringlein, Ringlein du musst wandern! Ja, von deiner Hand in meine Hand und umgekehrt. Ich wollte ja damit angeben aber die Zeit langte nicht hin und nicht her. Am Nachmittag rief mich gestern meine Schwester an und bat, ich solle doch zum Essen kommen. Gut, wollte kein Spielverderber sein und fuhr hin. Es gab… Fisch…. (Kommentar überflüssig). Bin schon um 20:00 Uhr wieder gefahren. Musste doch erst zu mir und danach zu euch. Es hatte sich an beiden Stellen nichts verändert. Nur so leer und öde war das. Ich bin dann auch gleich schlafen gegangen. Und konnte noch so viel rufen: ich will in „Aam“.. Leider sind meine schützenden Arme zurzeit mit allem was dazugehört auf Reisen und ich muss sagen, das Bett kommt mir viel zu groß vor. Geschlafen habe ich ja ganz gut aber es geht doch nichts über die Gemütlichkeit, ich meine damit, auf der Kante zu schlafen. Gelandet bist du gut, wirst du mir sicher schon in einem langen Brief geschrieben haben. Du bist so ein Goldfasan, gehst weg, ohne mir deine Adresse hier zu lassen. Muss ich warten, bis Post von dir eintrudelt. Trotzdem will ich meine ersten Gedanken zu Papier bringen. Denn die ist günstig. Der Chef ist auf Reisen und mein Block ist nicht gerade übervoll. Sind noch die Reste von gestern.

Heute geht es zu deiner Schwester Klara ich will deine Sachen hinbringen und deine Hose abholen. Anschließend sehe ich zu, dass ich rechtzeitig Land gewinne und wieder früh in die Falle komme. Irgendwie muss ich mich ja auch erholen. Ach, es ist alles so mordslangweilig und ich denke morgens schon wieder ans Schlafen. Ist ja auch sinnlos so allein. 14 Tage bist du weg. Gott, dazwischen liegt auch noch ein Sonntag: Ich werde mich nicht mit deiner Schwester Erna treffen, bleibe wieder für mich allein, tue was mir gerade einfällt. Ich will mich dann mal dazu aufschwingen, einen Zettel anzulegen und immer wieder ein Strich zu machen, wenn die Sache erledigt ist. Vielleicht kommen mir die Angelegenheit so etwas spannender vor? Heute Nacht wusste ich so unendlich viel, was ich dir schreiben wollte, jetzt ist mein Kopf hohl. Komm man lieber mal her und dann mache ich es mündlich. Wer weiß, vielleicht langt es heute Abend noch zu ein paar Zeilen und mir gehen die Sachen leichter aus der Hand.
Meine Wirtin hat mir einen Knust Brot mit einem Zettel hingelegt und mich darum gebeten, den ollen Knust zu vertilgen, da er sonst trocken würde. Der Knust. Herrlich. Du lässt ein paar Hemden nebst Socken hier und meine Wirtin ein altes Brot. Was bin ich euch doch wert!!! Scherz beiseite, die Zeiten sind zu ernst. Mein Schwager hat sich nun fest auf den 15. zur Feier eingerichtet und will sich noch einmal erkundigen was der Alkohol bei ihm im Geschäft kostet. Soll ein bis zwei Mark billiger sein als im Laden. Für ihn würden Bier und Kümmel genügen. Er will auch etwa gegen 12:00 Uhr wieder am Hauptbahnhof sein. Wegen der Haft-Entschädigung schicke ich dir einen Abschnitt aus dem Abendblatt mit. Sollte ich noch was im Echo finden, leg ich ihn auch noch bei. Heute will ich mal einen Anlauf nehmen und fragen, wie es aussieht mit dem Hierbleiben in der Firma. Langsam wird es Zeit, dass man aufgeklärt wird. Unter anderen ist unserem Betriebstischler auch gekündigt.
Fortsetzung folgt mein Liebster…

Briefe an Heinz