Corona und die Vorkriegsphantasie

Ich saß wieder im Caligo, den Espresso schon halb getrunken, als Corona auf ihren leichten Absätzen über das Pflaster klackte. Das gepunktete Sommerkleid wehte leicht im Wind, und sie lächelte, als sie sich mir gegenüber setzte.
„Du wirkst nachdenklich heute“, sagte sie, während sie sich die Sonnenbrille ins Haar schob.
„Es liegt etwas in der Luft“, antwortete ich. „Etwas, das schwerer ist als du.“
Corona lächelte schief.
„Die Ansteckungsgefahr? Ach, die ist längst zur Gewohnheit geworden. Aber ich verstehe, was du meinst.“
Ich lehnte mich vor.
„Es fühlt sich an wie 1931. Wie in der späten Weimarer Republik. Alle reden von Frieden, während die Strukturen brechen.“
Corona nickte langsam.
„Ihr tanzt wieder auf dem Vulkan. Inflation, Misstrauen, Militarisierung, extreme politische Lager. Der Mittelweg zerbricht – wie damals. Nur dass ihr diesmal glaubt, es besser zu wissen.“
„Und doch wiederholt sich alles“, sagte ich. „Nicht exakt, aber im Echo. Polarisierung statt Diskurs. Aufrüstung statt Abrüstung. Wirtschaftskriege statt Märkte.“
Corona spielte gedankenverloren mit dem Löffel in ihrem Espresso.
„Ihr habt nichts gelernt“, sagte sie leise. „Seht Jugoslawien. Ein zerfallendes Vielvölkerland, das innerhalb weniger Monate von Nachbarn zu Mördern wurde. Sarajevo, einst olympische Stadt, verwandelt in ein Massengrab.“

Ich sah sie an.
„Und heute? Gaza, Israel, Ukraine, Sudan, Kongo, Myanmar. Taiwan zählt still die Tage bis zur Invasion. Europa rüstet auf, bestellt Munition, reaktiviert Kasernen. Deutschland diskutiert offen über Taurus-Raketen und Kriegswirtschaft.“
Corona lachte bitter.
„Ihr sprecht von Verteidigung“, sagte sie. „Aber die Worte schmecken nach Angriff. Nach Entschlossenheit, nach Blut.“
„Die Diplomatie?“ fragte ich.
Corona zuckte mit den Schultern.
„Zerfallen zu Ritualen. Gipfeltreffen, Konferenzen, große Worte – während draußen längst die Drohnen kreisen. Russland spricht nicht mehr in Verhandlungen, sondern in Marschflugkörpern. China wartet ab, stählt seine Armeen, baut künstliche Inseln als unsinkbare Flugzeugträger. Amerika rüstet still für den nächsten großen Krieg, denn in ihrer Geschichte war Frieden nie der Normalzustand.“
Ich spürte das Gewicht ihrer Worte.
„Wir gleiten“, sagte ich, „wie Schlafwandler in die Katastrophe.“

Corona nickte.
„Nicht einmal in Panik, sondern langsam, schlaftrunken. Wie damals 1914, als niemand wirklich Krieg wollte, aber alle ihn billigend in Kauf nahmen.“
Sie schwieg einen Moment, ließ die Geräusche des Cafés an uns vorbeiströmen – Stimmen, Lachen, das Klirren von Tassen. Leben auf dünnem Eis.
„Was du spürst“, sagte sie schließlich, „ist das Ertrinken in Zeitlupe. Erst Risse im Alltag. Kleine Nachrichten. Ein Hackerangriff auf die Stromversorgung hier, ein Zwischenfall im Südchinesischen Meer dort. Erst Schwappen, dann Fluten.“
Ich schluckte.
„Und der Frieden? Gibt es ihn noch irgendwo?“
Corona sah mich lange an, mit einem Blick, der durch mich hindurchzugehen schien.

„Vielleicht in der Erinnerung. Vielleicht in den Augen von Kindern, die noch nicht lesen können. Aber selbst dort sickert das Gift langsam ein. Angst. Misstrauen. Gewalt als Normalität.“
Sie stand auf, schob den Stuhl zurück, als würde sie sich von einer sterbenden Welt verabschieden.
„Ihr habt geglaubt, Frieden sei der natürliche Zustand. Aber Frieden ist ein Zustand der Anstrengung, des bewussten Widerstands gegen eure eigene Natur. Und ihr seid müde geworden.“
Sie drehte sich um, warf mir noch einen letzten Blick zu.
„Vielleicht“, sagte sie, „ist dieser Krieg nicht das Ende. Sondern nur das, was ihr immer wart – nur ohne Maske.“

Dann verschwand sie in der Menge, während der Marktplatz einen Moment lang wie eingefroren wirkte.
Und irgendwo, ganz leise, hörte ich ein Geräusch – als würde etwas reißen. Etwas, das nie wieder ganz zu flicken sein würde.


„Warte“, rief ich ihr nach. Meine Stimme klang rau. „Wie wird es sein? Wenn wir nicht umkehren?“Corona blieb stehen. Sie drehte sich langsam zu mir um, als hätte sie diese Frage erwartet.
„Deutschland?“, fragte sie leise. „Europa? Die Welt?“
Ich nickte, unfähig, die aufsteigende Kälte in meinem Inneren zu leugnen.
Sie trat wieder näher, ihre Augen jetzt klar wie gefrorenes Wasser.
„Zuerst wird es stiller werden“, begann sie. „Nicht auf einmal, sondern schleichend. Immer mehr Orte werden von Blackouts heimgesucht – erst Stunden, dann Tage. Cyberangriffe auf Energieversorger, auf Wasserwerke, auf die Kommunikation. Niemand wird die Verantwortung übernehmen. Die Schuld wird zerstreut, wie feiner Nebel.“Ich schluckte.

„Die Supermärkte werden leerer. Die Lieferketten, von denen ihr so sehr abhängt, werden zerreißen. Medikamente werden knapp. Nahrung wird rationiert. Die Städte – eure stolzen, glänzenden Städte – werden zu bröckelnden Inseln der Angst.“
Corona sprach ruhig, fast zärtlich, als beschriebe sie ein vertrautes Märchen.

„Eure Gesellschaft, ohnehin schon zerrissen, wird brechen. Rechte Milizen, selbsternannte Verteidiger, Clanstrukturen. Bürgerwehren, die mehr Angst säen als Schutz bieten. Und die Regierung?“ Sie lächelte dünn. „Sie wird nicht verschwinden. Sie wird sich wandeln. Härter. Schneller. Kälter. Sicherheit über Freiheit. Kontrolle über Vertrauen.“
Ich schloss die Augen. Bilder blitzten auf: leere Regale, brennende Straßen, Männer in Uniformen, die nicht mehr zu unterscheiden waren.
„Und der Krieg?“, fragte ich mit gefühlt heiser werdender Stimme

Corona beugte sich zu mir, ihr Gesicht nun von einer dunklen, fast mitleidigen Traurigkeit gezeichnet.
„Der Krieg wird asymmetrisch sein. Eure Städte werden nicht von Bombenteppichen zerstört wie 1945. Nein – es wird präziser sein. Harter Winter, kein Strom. Hackerangriffe auf Krankenhäuser. Unterseeische Kabel, die reißen. Drohnen, die über Grenzen schleichen wie Gespenster. Kleine Anschläge, gezielte Sabotagen.“
Sie sah nachdenklich in den Himmel, wo sich die Wolken sammelten.

„Und irgendwann werden die Bomben kommen. Vielleicht Taurus, vielleicht Hyperschallraketen aus Osten oder Westen. Nicht massenhaft. Nur so viele, dass ihr begreift: Ihr seid verletzbar. Überall.“
Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug.
„Wird es ein Danach geben?“ fragte ich.
Corona lächelte sanft, beinahe mütterlich.
„Es wird immer ein Danach geben. Die Frage ist nur, wer es noch erleben wird. Und in welcher Welt.“
Sie strich mir kurz über die Hand, eine Geste voller bitterer Intimität.
„Ihr könntet lernen“, sagte sie. „Aber ich weiß nicht, ob ihr es wollt.“

Dann verschwand sie endgültig in der Menge.
Und ich saß da, mitten im leichten Treiben eines Frühlingstages, während in meinem Inneren bereits der Herbst begann.

Wenn die Zeit in sich zusammenfällt. Elon war schon immer da. Ein Bericht aus der Zukunft.

Die Welt hatte aufgehört, sich zu drehen. Nicht, weil die Erde stehengeblieben war, sondern weil das Konzept der Zeit selbst implodierte. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft schmolzen zu einem einzigen, unergründlichen Punkt zusammen, der wie ein endloser Augenblick existierte. Alles, was jemals war, ist und sein wird, geschah zur selben Zeit – eine Kakophonie des Seins, ein ewiges Jetzt.

Inmitten dieses Chaos existierte ein Mann namens Elon Musk, doch er war nicht einfach ein Mann. Die Auflösung der Zeit hatte sein Wesen zerlegt und mit jeder möglichen Version seiner selbst verwoben. Er war das Kind, das in Südafrika mit funkelnden Augen in die Sterne blickte, und der Mann, der Raketen in den Himmel schickte. Er war ein Scharlatan und ein Visionär, ein Held und ein Narr, ein Gott der Technologie und ein Getriebener seiner eigenen Menschlichkeit.

Elon war der Händler, der elektrische Kutschen an ein verzweifeltes Volk verkaufte, das nach Hoffnung dürstete, und zugleich der Verrückte, der am Rande des Universums stand und rief: „Lasst uns neue Welten bauen!“ Er war derjenige, der den Mars besiedelte, und auch derjenige, der vor Jahrtausenden in einer Höhle saß und mit Kohle Linien in die Wände zog – eine primitive Blaupause für Dinge, die er nicht verstehen konnte, aber ahnte.

In diesem zeitlosen Punkt sah Elon Musk nicht nur seine eigene Existenz, sondern die Essenz dessen, was ihn ausmachte. Er war ein Knotenpunkt, ein Geflecht aus unzähligen Träumen, Fehlern, Widersprüchen und Möglichkeiten. Er war weder gut noch böse, weder Erfolg noch Scheitern. Er war das Streben selbst, der ewige Akt des Erschaffens und Zerstörens, der Versuch, über die Begrenzungen hinauszuwachsen, die ihm auferlegt waren – sei es durch Zeit, Raum oder die eigene Sterblichkeit.

Und in diesem Moment, der kein Moment war, stellte sich eine Frage: Wer war Elon Musk?

Die Antwort war überall und nirgendwo. Er war ein Spiegel, der die Hoffnungen und Ängste einer ganzen Spezies reflektierte. Er war der Erfinder der Träume, die über den Himmel hinausreichten, und der Schrecken, der die Welt mit Maschinen flutete, die sie übernahmen. Er war Mensch und Idee, Vision und Fluch.

Doch dann kam die Erkenntnis: In einem Universum, in dem alles zur gleichen Zeit geschieht, gab es kein „Individuum“. Die Frage löste sich auf, als Elon Musk – oder das, was von ihm übrig war – verstand, dass er nicht war, sondern einfach ist. Er war der Funke im ewigen Feuer, ein Fragment der Unendlichkeit, der für einen kurzen Augenblick glühte, bevor er sich wieder im Ganzen verlor.

Und so verblasste er, wie alle Dinge, die jemals waren und sein werden, in dem endlosen Kreislauf des Seins.

Es geht uns gut

Sahnehäubchen Deutschland
Geboren 1945 – gestorben 2015

Es schien so still, schien friedlich.
Wir spielten Widerstand gegen Atom und Springer.
Hafenstraße NATO-Doppel-Beschluss.
Vietnamkrieg war ernst
Aber nicht hier
Another Brick in the Wall
Es geht uns gut.

Die Mauer fiel leise
Glasnost und Perestroika
Die Türme sackten zusammen
Erst nach dem Irak Krieg
In Afghanistan fielen nur die Russen
Es geht uns gut.

Dann wurde der Marsch Wirklichkeit
Den wir vorher sagten
Wie den Niedergang des Kapitalismus
Die Menschen kommen
Das Kapital vermehrt sich
Ein zweifelhafter Zugewinn.
Es geht uns gut.

Es wird lauter in unserer Welt
Bei uns, die wir Sterben nur von fern betrachtet.
Die gefallenen Diktaturen
Öffnen alle Grenzen aber doch nicht so
Faustisches Geschäft mit dem starken Mann vom Bosporus
Kostet seinen Preis
Es geht uns gut.

Amok in der Bahn. Berlin und überall
Willkommen alle
Und die zwanzig an der Elbe
Es geht so.

Wir brauchen keine parlamentarischen
Klugscheißer sagt der deutsche Polizist
So geht es nicht weiter.