Im Schatten des Palantir

Kapitel 1: Ouvertüre

Es war einer dieser regennassen Tage des Sommers, an denen die Stadt in sich selbst zurücksank. Die meisten Bewohner hatten mit ihren Kindern die Stadt verlassen, um anderswo das Glück zu suchen. Das Licht hatte den Atem angehalten, und selbst die Geräusche der Straße klangen, durch den Regen gedämpft, wie durch doppeltes Glas . Im „Caligo“, einem Café mit schiefem Holzboden und jungen Bedienungen, saßen sie wie gewöhnlich am Fensterplatz: Corona, leicht zurückgelehnt, in Mantel und Handschuhen, obwohl es nicht kalt war. Und Ripp Corby, entspannt wie der Nachmittag. Zwischen ihnen standen zwei Gläser Wasser, unangerührt. Der Kaffee war längst getrunken, doch keiner drängte auf Aufbruch. Die Welt wurde wieder mal gedreht und gedreht, dass ihnen eigentlich schwindelig werden müsste. Corona erhellte aber immer wieder seinen Geist. Das war nicht unbedingt beruhigend, eher wie eine Droge. Oder wie ein guter Kinofilm, indem man selbst mitspielt, dabei weder Text noch Handlung genau kennt.
„Ich habe über unser letztes Gespräch nachgedacht“, sagte sie schließlich und streifte mit dem Finger einen dunklen Kringel vom Tisch. „Über Musk. Und Trump.“
Corby sah nicht auf. Er wusste, es war ein Auftakt. Eine Ouvertüre.
„Vielleicht“, fuhr sie fort, „haben wir uns zu lange mit dem Spektakel dieser beiden beschäftigt. Mit den Gesichtern, nicht mit den Aktionen der Personen hinter diesen Masken. Und der wichtigsten Person dahinter. “
Corby zog eine Augenbraue hoch. Sein Blick wanderte zum Fenster, wo eine Frau mit Schirm vergeblich versuchte, einen gelben Hund zu einem Zebrastreifen zu bewegen.
„Ich bin auf einen Namen gestoßen“, sagte sie. „Oder besser: wieder gestoßen. Peter Thiel.“Der Name fiel wie ein Stück Metall auf Stein. „Du erinnerst dich an die Palantír?“ Sie lächelte schmal. „Diese sehenden Steine aus Tolkien. Wer in sie blickte, sah, was an anderen Orten geschah. Doch was man sah, war nie ganz das, was wirklich war.“

Corby antwortete nicht sofort. Er wischte sich eine Krümmel vom Croissant von der Hose., wie immer, wenn er nachdachte, verschaffte er sich etwas Zeit durch kleine Ablenkungen die an sich sinnvoll waren aber nicht immer unbedingt zum jeweiligen Kontext passten.
„Du meinst… Palantir? Die Software?“

Sie nickte. „Nicht nur Software. Ein System. Ein Blick auf die Welt, der vorgibt, objektiv zu sein. Und doch ist jeder Blick gerahmt. Gesteuert. Gewichtet. Was zählt, wird gezählt. Der Rest… verschwindet.“
Ein Kellner trat heran, jung, höflich, übernächtigt. Sie winkten ab. Auch das war Ritual.
„Ich habe gelesen“, sagte Corby langsam, „dass Palantir in der Ukraine eingesetzt wird. Zielerfassung, in Echtzeit. Tablets in Schützengräben.“
„MetaConstellation“, flüsterte sie.
„Wie bitte?“
„So heißt das Programm. Es verknüpft Satellitenbilder, Bewegungsmuster, Geolocation-Daten. Es entscheidet, was ein Ziel ist.“
Corby sah sie lange an. Dann: „Ein digitales Orakel. Aber Orakel sprechen nie von sich aus.“
Sie lächelte schwach. „Und nie ohne Preis. Man muss immer etwas hergeben. Vielleicht sogar sich selbst.“
Die Geräusche des Cafés waren weit weg. Jemand lachte an einem Tisch hinter ihnen, aber es klang wie aus einem anderen Raum.
„Was mich beunruhigt“, sagte sie schließlich, „ist nicht, dass diese Software so viel sieht. Sondern dass wir anfangen, ihr zu glauben. Bedingungslos. Ohne zu fragen, wer sie gefüttert hat.“
Corby lehnte sich zurück. Die Scheibe hinter ihm war leicht beschlagen, er wischte mit seinem Jackenärmel einen kleinen Fleck frei, um besser nach draußen schauen zu können. „Thiel nennt sich Libertärer. Freiheit vom Staat. Abschaffung der Demokratie. Aber seine Systeme lieben Kontrolle.“
„Vielleicht sind wir alle nur noch Datenpunkte“, sagte sie. „Bewegungsmuster. Beziehungsmuster. Alles lässt sich verknüpfen, berechnen, verdächtigen.“
Corby schwieg lange. Überlegte.
Dann: „Und du? Was bist du, Corona?“
Ein Moment verstrich, in dem sie nur atmete, flach, aber ruhig. Ihre Antwort kam nicht als Satz, sondern als Erinnerung: An eine andere Zeit, als sie noch täglich in den Nachrichten war, in Diagrammen, auf Lippen, zwischen Türspalten. Als man sie fürchtete – und gleichzeitig benutzte, um zu sortieren, zu unterscheiden, zu messen, zu entscheiden.
„Ich war ein Symptom“, sagte sie leise. „Jetzt bin ich ein Gedächtnis.“
Draußen war der Hund inzwischen auf die Straße getreten, ohne Erlaubnis, gegen die Leine. Die Frau folgte widerstrebend.„Vielleicht“, sagte Corby, „waren wir zu sehr damit beschäftigt, den falschen Sturm zu beobachten.“
„Und haben nicht gemerkt, wer den Himmel zeichnet“, murmelte sie.
Sie standen auf. Das Gespräch war nicht zu Ende, aber es hatte eine andere Temperatur angenommen – nicht kälter, sondern tiefer. Die Art von Tiefe, die nicht mehr fragt, sondern beginnt zu erinnern.

Kapitel 2: Vera

Sie gingen nicht weit. Das Gespräch im Cafe lag hinter ihnen wie ein halbgeschlossener Traum, der zwar verblasste, aber nicht verschwand. Die Straßen glänzten noch vom Regen, die Laternen warfen ihr Licht wie unsichere Versprechen auf das nasse Pflaster. Corona trug die Hände in den Manteltaschen, doch ihre Haltung wirkte leicht – fast beiläufig. Nur ihr Blick wanderte, wie einer, der auf etwas wartete, das nicht kommen sollte. Sie bog in eine Seitenstraße, und Corby folgte ihr, ohne zu fragen. Links, rechts, eine Unterführung. Sie kamen an eine breite Kreuzung, wo ein langgezogenes Gebäude mit blankem Glas und flacher Stirnseite in die Dunkelheit ragte.

„Landeskriminalamt“, sagte sie, als würde sie ein Gedicht beginnen. Corby betrachtete das Gebäude. Es war still. Nur hinter einem Fenster flackerte Bildschirmlicht. Er wollte etwas sagen, aber Corona war schneller. „Hier läuft sie“, sagte sie. „Vera.“ Der Name blieb einen Moment in der Luft hängen. Wie ein Zitat, das man nicht ganz einordnen kann.
„Ich dachte, sie hieß Palantir?“
„Palantir ist der Stein“, sagte sie. „Vera ist die Leserin. Die Datenanalystin. Die, die Muster erkennt. Bewegungen. Beziehungen. Verdächtige.“
Sie blieb stehen. Ein Windstoß fuhr durch die Straße, brachte den Geruch von nassem Metall mit sich. Ihr Gesicht war ruhig.
„Sie glaubt nicht. Sie weiß nicht. Sie verknüpft.“
Corby trat näher. „Und was verknüpft sie?“
„Alles. Telefonnummern, Bankdaten, Bewegungsprofile. Wer wann mit wem telefoniert hat. Wer wann wo war. Wer wem Geld überwiesen hat. Was in einer Anzeige steht. Ein Name genügt, und Vera geht los.“
Sie schwieg. Dann, fast heiter: „Das nennt man dann ‘Gefahrenabwehr’. Klingt sauber, nicht wahr?“
Corby nickte langsam. „Und wer überprüft Vera?“
Corona sah ihn an, als hätte er eine rhetorische Frage gestellt.
„Du erinnerst dich an den Lockdown?“, fragte sie. „An die Stille auf den Plätzen? Die Balkone, auf denen sich Menschen zuprosteten, weil sie sich nicht mehr berühren konnten? Damals war ich nützlich. Ich war die Begründung.“ Corby sagte nichts, nickte. „Jetzt ist Vera die Begründung“, sagte sie. „Sie braucht keine Krankheit mehr. Keine Polizei vor Ort. Keine Richter. Sie braucht nur Daten. Und eine Annahme.“
Sie gingen weiter. Ihr Gang war ruhig, doch in ihrer Stimme lag etwas wie der Nachhall eines alten Liedes, das niemand mehr ganz erinnert.
„Einmal“, sagte sie, „hat mich jemand gefragt, wie es ist, zu verschwinden. Ich sagte: Es ist, wie in einer Software zu leben, die dich nicht mehr ausliest.“ „Und was ist schlimmer?“, fragte Corby. Corona sah ihn an. Ihre Pupillen waren weit, schwarz
„Ausgelesen zu werden.“ Sie schritten weiter durch die Dunkelheit. Am Ende der Straße schlug eine Tür. Ein Blaulicht flackerte kurz auf, irgendwo in der Ferne. Dann war wieder nur das Geräusch ihrer Schritte zu hören – und der Gedanke, der sich zwischen ihnen formte wie Nebel über einer warmen Fläche: Dass der Mensch sich längst nicht mehr gegen seine Schatten richtet, sondern gegen die Art, wie man sie misst.

Kapitel 3: Die Tafel im Hauptquartier

Ein Lautloser Wind wehte durch die Hinterhöfe der Stadt, als Corona und Corby eine unauffällige Haustür öffneten. Kein Schild, nur schmale Ritzen zwischen alten Backsteinen. Innen roch es nach altem Papier und schwachem Kaffee. In einem düsteren Raum, dessen Wände von Karten, Diagrammen und Bildschirmen bedeckt waren, trafen sie auf einen alten Bekannten von Corby: jemanden, der einst für das BKA gearbeitet hatte.
Corona trat näher, spürte das Licht flimmern über der großen Tafel. Ein leuchtendes Netz, wie aus vielen Fäden gewoben – ein Datenschaubild, das Bewegungsprofile, Kontaktnetzwerke und Korrelationslinien zeigte. Die Namen wirkten bedeutungslos, bis sie verknüpft waren, und plötzlich ward etwas furchteinflößend konkret.
Der Freund deutete ohne ein Wort zum Netz. Corby wandte sich um, fragte zaghaft:
„Was sehe ich da?“
Er atmete kurz und heftig, antwortete dann:
„Das ist keine Karte. Es ist eine Weltanschauung.“
Corona blickte auf den Graphen. Sie erinnerte sich: In Gedanken vernahm sie Stimmen aus einem anderen Text – dem Imperium, jenem Text, in dem die eigentliche Macht sich unbemerkt erhebt: “Das Imperium schlägt zurück,” murmelte sie vor sich hin.
Corby fuhr fort: „Vera und Gotham – Palantirs Schwester – laden Menschen zu digitalen Vermutungen ein. Aber niemand schreibt, wer beschuldigt, und wer nur verdächtig ist.“
Corona lauschte. Im Raum herrschte eine unwirkliche Ruhe.. Nur die Tafel flimmerte kalt im Halblicht.
„Wir leben schon in einer Software, die nicht mehr ausliest, sondern definiert,“ murmelte sie.
Corby ließ die Worte hängen.
„Jeder Datenpunkt verändert die Struktur.“
Ein Blinken kündigte ein neues Update an – eine Verschiebung, eine neue Linie wurde gezogen. Der Freund verzog kaum spürbar den Mund: „Wir löschen nichts. Wir verschieben nur. Und machen unsichtbare Fehler sichtbar oder unsichtbar. Alles geht.“ Corona wandte sich ab. Die Szene erinnerte sie an eine Passage aus dem Imperium schlägt zu – nicht die Kriegslinien von Hoth, wo sich in Star Wars einer riesigen Schlacht der Eisplanet in einen Raumschifffriedhof verwandelt, sondern das leise, beharrliche Imperium der Daten, das wächst, während wir zusehen:
„Der Staat … schlägt zurück … Die neoliberale Demokratie ist … Vergangenheitsform … autoritäre Krisenkapitalismus das Modell der Zukunft.“* 

Corby hörte ihren Herzschlag im Raum – gedämpft, aber nicht gebrochen.
„Was bleibt von Freiheit, wenn du zur Annahme wirst?“ fragte er.
Corona blieb still. Sie betrachtete die Linien und Flächen der Visualisierung – jede Korrelation war eine Entscheidung, jede Entscheidung ein Schatten.
„Einmal“, flüsterte sie, „hat mich jemand gefragt, wie es ist, zu verschwinden. Ich habe gesagt: Es ist, wie in einer Software zu leben, die dich nicht mehr ausliest.“
Corby erinnerte sich: „Und du sagtest: Schlimmer ist, ausgelesen zu werden.“ Sie nickte. „Ich wiederhole mich gern in diesem Punkt: Wir wurden nicht als Subjekte enttarnt. Wir wurden zu Datenpunkten.“
Töne wie fallende Regentropfen klang durch die Szenerie, obwohl es drinnen trocken war. Der alte Freund machte eine Geste in Richtung Karte: „Nun zählt die Polizei nicht mehr Verbrechen. Sie zählt Verdacht.“
Corona spürte, wie eine Tür in ihr aufging – keine echte Tür, sondern ein Schleier zwischen dem, was war, und dem, was hochtechnologisch selbst schon entscheidet.
„Und Vera“, sagte sie leise, „ist die Leserin, der wir nichts zu entgegnen haben.“
Corby sah sie fragend an, rotes Licht spielte über die Bildschirme. „Wer kontrolliert die Leserin?“

Corona dachte kurz an die stillen Plätze der Lockdown-Zeit, an die Bänke, an die Melancholie der Signalfarben auf Balkonen voller Leere. Und sie sagte:
„Ich war nützlich damals. Ich war Begründung. Jetzt ist Vera Begründung genug.“
Sie verließen den Raum. Die Tafel blieb zurück – leise, unvergessen, unsichtbar mächtig. Hinter ihnen schloss sich die Tür. Und draußen, im Flur, war die Dunkelheit tiefer als zuvor, denn sie wussten: Ein Algorithmus hatte begonnen, das Licht zu schreiben.

Kapitel 4: MetaConstellation

Sie saßen wieder, wie gewohnt. Dieses Mal war es ein anderes Café – heller, moderner, mit leisen Lautsprechern, aus denen gedämpft das Echo eines Saxophons tropfte. Das Fenster war groß, aber nichts dahinter wirkte klar. Die Stadt war wie mit einem Filter überzogen – alles war da, und doch war es fern.
Corona saß schräg im Gegenlicht. Das Haar leicht hochgesteckt, der Blick offen, aber ohne Richtung. Corby, wie immer, mit der Haltung eines Mannes, der gelernt hatte, das meiste unkommentiert zu lassen.
Sie sprach nicht sofort. Zwischen ihnen lagen zwei Gläser stilles Wasser und ein dünnes Zeitungsblatt, das sie aus der Manteltasche gezogen hatte – gefaltet, mehrfach gelesen. Der Text war mit Kugelschreiber unterstrichen.

„Ich will dir etwas zeigen“, sagte sie. Und dann, wie beiläufig: „Es geht um MetaConstellation.“
Corby nahm das Blatt, las. Worte wie Echtzeit-Daten, Zielerfassung, Satellitenbilder, Krieg wanderten über die Zeilen. In der Mitte ein Absatz, fett hervorgehoben:

„Die Software MetaConstellation von Palantir verknüpft militärische Aufklärungsdaten, Geo-Koordinaten, Wetterinformationen und Live-Satellitenbilder. In der Ukraine liefert sie präzise Zielorte für Raketen und Drohnenangriffe – mit einer Genauigkeit, die menschliche Intuition ersetzt.“
Er legte das Papier beiseite. Langsam.
„Also sehen sie alles?“, fragte er.
Corona schüttelte kaum merklich den Kopf. „Sie glauben, alles zu sehen. Das ist der Unterschied.“
Draußen zogen zwei Gestalten vorbei, schnell, in sportlichen Jacken, das Gesicht gesenkt, in Eile oder Vermeidung.
„Früher“, sagte sie, „waren Informationen Versprechen. Heute sind sie Befehle.“
Corby runzelte die Stirn. „Und was bleibt dann dem Denken?“ Sie sah ihn an. „Es wird sekundär. Entscheidungen basieren auf Wahrscheinlichkeit. Ein Muster ergibt ein Ziel. Und das Ziel…“ – sie machte eine kleine, fast unsichtbare Geste mit dem Finger – „…wird ausradiert.“
Der Kellner kam, stellte zwei Gläser Tee ab, sagte nichts. Ihre Gespräche blieben ungestört, als hätten sie einen unsichtbaren Schutzraum errichtet.
„Das Erschreckende“, fuhr Corona fort, „ist nicht, dass die Software trifft. Sondern, dass sie glaubt, zu wissen, worauf es ankommt.“
Sie holte kurz Luft, dann las sie leise aus dem Artikel vor, als erzähle sie ein Märchen:
„Die Software erkennt Verhaltensmuster von Truppenbewegungen und verknüpft sie mit historischen Daten. Wenn sich eine russische Einheit etwa ähnlich bewegt wie vor einem früheren Angriff, wird die Wahrscheinlichkeit für eine erneute Offensive berechnet – in Echtzeit, auf einem Tablet, am Rande des Schützengrabens.“
Ein Moment verging. Corby stellte sich vor, wie dieser Krieg wohl war, gestorben wurde jedenfalls analog; er strich über den Rand seines Glases, als könnte er sich festhalten an der Klarheit der Form. „Krieg als Wahrscheinlichkeitsrechnung“, sagte er.
„Oder als Spiel. Nur dass keiner mehr verliert, der entscheidet.“
Draußen war ein Vogel gegen die Scheibe geflogen. Kein Knall, eher ein dumpfer Stoß – wie ein Einwand, den keiner hören wollte. Er lag jetzt auf dem Pflaster, unbewegt. Niemand beachtete ihn.
„Die Software stellt keine Fragen“, sagte Corona. „Sie rechnet. Und das Ergebnis – ist eine Gewissheit. Aber Gewissheiten sind der Tod jeder Wahrheit.“
Corby schaute sie an. Etwas war in ihm müde geworden, nicht aus Erschöpfung, sondern aus dem langsamen Verstehen, dass das Spiel sich längst verlagert hatte. Dass die Bühne leer war, weil das Stück schon in den Backstage-Algorithmen spielte.
Corona beugte sich leicht vor.
„Ich erinnere mich“, sagte sie leise, „wie sie mich damals einsetzten. Als Argument. Als Ausnahmezustand. Ich war der Auslöser für neue Gesetze, für Software, für Grenzen, die man sich vorher nicht vorstellen konnte.“
Ripp Corby wollte etwas sagen, aber sie hob die Hand. „Ich klage nicht. Ich war nur das Gewand. Aber jetzt… Jetzt trägt mich etwas anderes weiter.“
Sie meinte Palantir. MetaConstellation. Die Maschine, die sehend geworden war. Und unsichtbar blieb.
Der Vogel draußen war verschwunden. Vielleicht war er weggeflogen. Vielleicht weggetragen worden. Niemand hatte es gesehen.

Kapitel 5: Rückwärts durch die Glastür

Der Regen hatte begonnen, kaum sichtbar. Nur an den Rändern der Scheibe sammelte sich das Wasser wie zögernde Gedanken. Corona war früher gekommen, diesmal. Das Café war leer, nur ein älterer Mann in der Ecke, den Blick auf ein leeres Schachbrett gerichtet. Sie wählte einen Platz mit Blick auf die Tür – nicht aus Misstrauen, sondern aus Gewohnheit.
Als Corby eintrat, zögerte er kurz. Die Tür war aus Glas, aber sie spiegelte. Für einen Moment glaubte Corona, er sei rückwärts hereingekommen – ein Schatten, der sich von der Welt löste.
„Du siehst müde aus“, sagte sie, ohne Vorwurf.
„Ich habe letzte Nacht mit jemandem gesprochen“, antwortete er. „Eine, die den Code kennt. Nicht die politische, nicht die mediale, sondern die eigentliche Sprache.“
„Die der Software?“ Er nickte. „Sie schreibt für Palantir. Hat früher freie Systeme gebaut. Jetzt schreibt sie semantische Filter, Bewegungsmuster-Erkennung, Zielantizipation. Es geht um die Quelle.“ Corona verzog den Mund ein wenig, vielleicht lächelte sie oder grinste ironisch. Bei ihr wusste man manchmal nicht woran man war. Entgegen ihrer sonstigen Direktheit. „Ein schönes Wort. Zielantizipation. Klingt nach Vorsicht, nicht nach Vernichtung.“
„Das ist das Prinzip“, erwiderte er. „Sie nennen es Schutz, nennen es Prävention. Aber es ist: Auslöschung vor dem Ereignis.“
Ein Kellner kam, jung, unauffällig, mit Mütze. Er stellte zwei Tassen ab und verschwand, ohne nachzusehen. „Und was hat sie dir gesagt?“, fragte Corona. Ripp schaute kurz aus dem Fenster. Der Regen war dichter geworden, als hätte sich der Himmel endlich entschieden sich zu bekennen.
„Sie sagte: Es gibt keine Schlupflöcher mehr. Jeder Satz, jede Bewegung, jede Pause – alles wird Teil des Musters. Das System vergisst nichts. Und schlimmer: Es interpretiert, ohne zu fragen.“
Corona schwieg. Ihre Finger umfassten die Tasse wie einen Ruhepunkt. „Siehst du“, sagte sie dann, „wir dachten lange, Information sei Macht. Aber Macht ist jetzt Interpretation. Wer bestimmt, was etwas bedeutet, besitzt alles.“
„Und wenn er sich irrt?“, fragte Corby leise.
Sie blickte ihn an. „Das ist nicht mehr vorgesehen.“ Sie erinnerte sich an eine Szene aus dem Text Das Imperium schlägt zu – an jene Passage, in der von einer „unsichtbaren Architektur der Kontrolle“ die Rede war. „Nicht das Recht, sondern der Code ist Gesetz. Die Algorithmen entscheiden über Sichtbarkeit, über Zugang, über Gefahr. Der Mensch ist nur noch ein Nutzsignal.“
Sie sprachen nicht weiter. Die Tassen dampften, und irgendwo hinter dem Café polterte ein Müllcontainer. Nach einer Weile fragte Corby: „Was war dein Satz? Der, den sie gespeichert haben?“Corona schloss die Augen. „Ich sagte: Der Ausnahmezustand wird nicht aufgehoben. Er wird angepasst.“ „Und dafür bist du in der Datei?“
„Ich bin die Datei.“
Er lehnte sich zurück. Durch das Glas der Tür sah er die Welt wie durch Wasser – alles flirrte, war unwirklich nah und doch ungreifbar.
„Die Programmiererin“, sagte er, „nannte es das Glastür-Prinzip. Du siehst hinaus, aber du gehst nicht hindurch. Weil alles sich darin spiegelt – auch du selbst.“ Corona nickte.
„Rückwärts durch die Glastür“, murmelte sie.
„Genau“, sagte er.
„Das ist unsere Bewegung. Nicht Flucht. Nicht Widerstand. Nur: Spiegelung.“
Die Zeit war unbemerkt verstrichen. Draußen begann das Licht bereits zu kippen, zu früh eigentlich, als hätte jemand den Horizont und die Planeten leicht verschoben.

Kapitel 6: Der Mann mit der weißen Akte

Es war eine andere Art von Licht, das blieb, auch an diesem Nachmittag. Eines, das keine Schatten warf, sondern diese still auflöste. Die Stadt wirkte entkernt, wie ausgehöhlt von einem Denken, das zu oft seine Richtung gewechselt hatte. Corona war nicht mehr im Café. Auch Ripp Corby nicht. Sie hatten sich an einem neutraleren Ort verabredet – einem Raum, der nur aus Übergang bestand: dem Foyer eines stillgelegten Amtsgebäudes.
Grauer Stein, verwaschene Akustik. Eine defekte Uhr, die stehen geblieben war, als wüsste sie mehr über Zeit als all die Geräte, die seither ihren Dienst angetreten hatten.
Er kam zu Fuß. Der Mann. Trug Mantel, schmal geschnitten, zu warm für diesen Tag. Kein sichtbarer Ausweis, kein Name, aber die Akte in seiner Hand war weiß. Ohne Aufschrift. Ohne Eselsohr. Ohne Geschichte – was sie verdächtig machte.
Corona stand bereits dort. Sie hatte keinen Stuhl gewählt, sondern lehnte an der Wand, den Kopf leicht geneigt. Beobachtend, nicht wartend.
„Sie haben also zugestimmt“, sagte der Mann ohne Begrüßung.
„Ich habe nichts ausgeschlossen“, entgegnete sie.
Er öffnete die Akte, ohne hinzusehen, als sei sie nur ein Reflex.
„MetaConstellation ist nur die Oberfläche“, begann er. „Das Programm darunter heißt Ananke.“
Corby, der sich auf einer der Steinbänke niedergelassen hatte, fragte: „Wie die Göttin der Notwendigkeit?“
Der Mann nickte kaum sichtbar. „Oder wie das, was sich nicht umgehen lässt.“
Er legte ein Blatt auf die Bank. Darauf ein Diagramm – konzentrische Kreise, Pfeile, schwarze Markierungen. Es erinnerte an eine kosmische Uhr oder einen Schaltplan für etwas, das niemand mehr vollständig überblickte.
„Ananke kombiniert Prognosen mit vorausschauender Verhaltensökonomie. Keine Simulation mehr. Sondern Voraussetzung.“
Corona trat näher. Ihre Stimme war ruhig. „Sie definieren den Raum, in dem Verhalten möglich ist.“
„Nein“, erwiderte der Mann. „Wir beschreiben nur die Ränder.“
„Und alle, die außerhalb der Ränder leben?“, fragte Corby.
„Gibt es nicht“, sagte er. Ohne Ironie in der Stimme. Sachlich.
Ein Husten hallte durch das Treppenhaus. Irgendwo war noch jemand. Oder eine Maschine, die Geräusche nicht vergessen hatte.
Corona nahm das Blatt, betrachtete es, aber ihre Augen ruhten auf etwas anderem: dem leeren Feld am unteren Rand. Dort, wo normalerweise eine Legende stünde. Eine Erklärung. Ein Maßstab.
„Was ist das hier?“, fragte sie. „Eine Einladung? Eine Warnung? Oder eine Absolution?“
Der Mann schloss die Akte. Das Geräusch war leise, vermittelte eine Endgültigkeit.
„Sie waren einmal das Protokoll für Ausnahme. Jetzt sind Sie ein Teil des Normalbetriebs. Das ist keine Entscheidung. Das ist: Struktur.“
Er wandte sich zum Gehen, doch kurz vor der Tür hielt er inne.
„Übrigens“, sagte er, ohne sich umzudrehen. „Wir lesen auch Gedanken. Nicht weil wir können. Sondern weil wir müssen.“
Dann war er fort.
Corona sah Corby an. Ihre Augen waren klar, aber ohne Glanz.
„Er glaubt, was er sagt“, flüsterte sie.
„Und wir?“, fragte Corby.
Sie zuckte leicht die Schultern und lachte: „Wir beschreiben nur die Ränder.“
Draußen bewegte sich ein Bus. Ein Radfahrer fuhr vorbei. Ein Kind lachte.
Und irgendwo, in einem Serverpark in Nevada oder Berlin-Lichterfelde, blinkte ein Licht auf. Kurz. Dann war es wieder dunkel.

Kapitel 7: Der Kartograf des Unbekannten

Der Mann hieß Gavril. Niemand wusste, ob das sein Vorname war oder ein Codename. Man fand ihn in einem ehemaligen botanischen Institut am Stadtrand, wo die Räume nach Erde und Formalin rochen, als hätten die Pflanzen ihr Wissen nicht kampflos aufgegeben.
Gavril trug eine Weste mit vielen Taschen. In einer davon befand sich eine vergilbte Karte, mehrfach gefaltet, mehrfach repariert mit altem Gewebeband. Corona entfaltete sie mit der Vorsicht einer Archäologin. Keine Straßen, keine Städte. Nur Linien, Schraffuren, Leerstellen.
„Was ist das?“, fragte Corby.
„Ein Koordinatensystem ohne Bezugspunkte“, sagte Gavril. Seine Stimme war heiser, als hätte sie zu lange geschwiegen. „Es ist ein Modell des Unkartierten. Ein Denkraum, der sich jeder Indexierung entzieht.“
Corona runzelte die Stirn. „Und was wollen Sie damit zeigen?“
Gavril lächelte matt. „Dass es noch Orte gibt, die nicht von Palantir gelesen werden können.“
Ein Windstoß ließ die Fenster klirren.
„Nicht geografisch“, fuhr er fort. „Geistig. Strukturell. Weltbildlich.“
Er zog ein Buch aus einem Regal – mit durchweichten Rändern und Notizen in Bleistift. Auf dem Umschlag: Zero to One.
„Peter Thiel ist kein Technokrat“, sagte Gavril. „Er ist ein Metaphysiker der Kontrolle. Er glaubt, dass Freiheit das Problem ist. Dass Demokratie ein Betriebsunfall ist. Dass Transparenz der Feind der Ordnung ist.“
Corona blätterte durch die Seiten. Die Passagen waren unterstrichen, teils mit Notizen am Rand. „Monopole sind gut.“ – „Menschen lügen, Zahlen nicht.“ – „Politik ist ein Ablenkungsmanöver.“
„Und Palantir?“, fragte Corby.
„Palantir ist nicht das Werkzeug. Es ist der Ausdruck“, antwortete Gavril. „Ein Versuch, die Welt so zu modellieren, wie sie ein asymmetrisch denkender Libertärer sehen möchte: lückenlos, vorhersagbar, kontrolliert. Ohne Öffentlichkeit. Ohne Zufall.“
Corona sah ihn an. „Und Sie glauben, dass so ein Weltbild in Software übergeht?“
Er legte das Buch beiseite. „Nicht glauben. Wissen. Es beginnt bei der Datenstruktur, geht über die Gewichtung von Korrelationen und endet in der Art, wie ein Verdacht als Muster interpretiert wird. Jeder Algorithmus ist ein Bekenntnis.“
Corby trat ans Fenster. Draußen war nur Nebel. Keine Bewegung, keine Formen. Wie das Blatt auf dem Tisch.
„Und warum zeigen Sie uns das?“, fragte er.
Gavril zuckte mit den Schultern. „Weil ihr zu den wenigen gehört, die zwischen Struktur und Weltbild unterscheiden können.“
Er trat zur Karte. „Seht ihr diesen Bereich hier? Keine Linien, keine Markierungen. Ich nenne ihn die Zone.“
„Und was ist dort?“, fragte Corona.
Er lächelte. „Nichts. Noch.“
Ein Schweigen trat ein. Kein feierliches, kein trauriges. Eher eines, das mit einer Tür zu tun hatte, die man noch nicht gesehen hatte, aber bereits hörte.
„Ihr müsst entscheiden“, sagte Gavril schließlich. „Ob ihr weiter kartiert. Oder verlernt zu messen.“

Corona nahm die Karte. Corby das Buch. Dann gingen sie hinaus, in einen Tag, der keiner war, weil er zu viele Möglichkeiten offenließ.

Fortsetzung folgt: „Vera“

Corona und die Vorkriegsphantasie

Ich saß wieder im Caligo, den Espresso schon halb getrunken, als Corona auf ihren leichten Absätzen über das Pflaster klackte. Das gepunktete Sommerkleid wehte leicht im Wind, und sie lächelte, als sie sich mir gegenüber setzte.
„Du wirkst nachdenklich heute“, sagte sie, während sie sich die Sonnenbrille ins Haar schob.
„Es liegt etwas in der Luft“, antwortete ich. „Etwas, das schwerer ist als du.“
Corona lächelte schief.
„Die Ansteckungsgefahr? Ach, die ist längst zur Gewohnheit geworden. Aber ich verstehe, was du meinst.“
Ich lehnte mich vor.
„Es fühlt sich an wie 1931. Wie in der späten Weimarer Republik. Alle reden von Frieden, während die Strukturen brechen.“
Corona nickte langsam.
„Ihr tanzt wieder auf dem Vulkan. Inflation, Misstrauen, Militarisierung, extreme politische Lager. Der Mittelweg zerbricht – wie damals. Nur dass ihr diesmal glaubt, es besser zu wissen.“
„Und doch wiederholt sich alles“, sagte ich. „Nicht exakt, aber im Echo. Polarisierung statt Diskurs. Aufrüstung statt Abrüstung. Wirtschaftskriege statt Märkte.“
Corona spielte gedankenverloren mit dem Löffel in ihrem Espresso.
„Ihr habt nichts gelernt“, sagte sie leise. „Seht Jugoslawien. Ein zerfallendes Vielvölkerland, das innerhalb weniger Monate von Nachbarn zu Mördern wurde. Sarajevo, einst olympische Stadt, verwandelt in ein Massengrab.“

Ich sah sie an.
„Und heute? Gaza, Israel, Ukraine, Sudan, Kongo, Myanmar. Taiwan zählt still die Tage bis zur Invasion. Europa rüstet auf, bestellt Munition, reaktiviert Kasernen. Deutschland diskutiert offen über Taurus-Raketen und Kriegswirtschaft.“
Corona lachte bitter.
„Ihr sprecht von Verteidigung“, sagte sie. „Aber die Worte schmecken nach Angriff. Nach Entschlossenheit, nach Blut.“
„Die Diplomatie?“ fragte ich.
Corona zuckte mit den Schultern.
„Zerfallen zu Ritualen. Gipfeltreffen, Konferenzen, große Worte – während draußen längst die Drohnen kreisen. Russland spricht nicht mehr in Verhandlungen, sondern in Marschflugkörpern. China wartet ab, stählt seine Armeen, baut künstliche Inseln als unsinkbare Flugzeugträger. Amerika rüstet still für den nächsten großen Krieg, denn in ihrer Geschichte war Frieden nie der Normalzustand.“
Ich spürte das Gewicht ihrer Worte.
„Wir gleiten“, sagte ich, „wie Schlafwandler in die Katastrophe.“

Corona nickte.
„Nicht einmal in Panik, sondern langsam, schlaftrunken. Wie damals 1914, als niemand wirklich Krieg wollte, aber alle ihn billigend in Kauf nahmen.“
Sie schwieg einen Moment, ließ die Geräusche des Cafés an uns vorbeiströmen – Stimmen, Lachen, das Klirren von Tassen. Leben auf dünnem Eis.
„Was du spürst“, sagte sie schließlich, „ist das Ertrinken in Zeitlupe. Erst Risse im Alltag. Kleine Nachrichten. Ein Hackerangriff auf die Stromversorgung hier, ein Zwischenfall im Südchinesischen Meer dort. Erst Schwappen, dann Fluten.“
Ich schluckte.
„Und der Frieden? Gibt es ihn noch irgendwo?“
Corona sah mich lange an, mit einem Blick, der durch mich hindurchzugehen schien.

„Vielleicht in der Erinnerung. Vielleicht in den Augen von Kindern, die noch nicht lesen können. Aber selbst dort sickert das Gift langsam ein. Angst. Misstrauen. Gewalt als Normalität.“
Sie stand auf, schob den Stuhl zurück, als würde sie sich von einer sterbenden Welt verabschieden.
„Ihr habt geglaubt, Frieden sei der natürliche Zustand. Aber Frieden ist ein Zustand der Anstrengung, des bewussten Widerstands gegen eure eigene Natur. Und ihr seid müde geworden.“
Sie drehte sich um, warf mir noch einen letzten Blick zu.
„Vielleicht“, sagte sie, „ist dieser Krieg nicht das Ende. Sondern nur das, was ihr immer wart – nur ohne Maske.“

Dann verschwand sie in der Menge, während der Marktplatz einen Moment lang wie eingefroren wirkte.
Und irgendwo, ganz leise, hörte ich ein Geräusch – als würde etwas reißen. Etwas, das nie wieder ganz zu flicken sein würde.


„Warte“, rief ich ihr nach. Meine Stimme klang rau. „Wie wird es sein? Wenn wir nicht umkehren?“Corona blieb stehen. Sie drehte sich langsam zu mir um, als hätte sie diese Frage erwartet.
„Deutschland?“, fragte sie leise. „Europa? Die Welt?“
Ich nickte, unfähig, die aufsteigende Kälte in meinem Inneren zu leugnen.
Sie trat wieder näher, ihre Augen jetzt klar wie gefrorenes Wasser.
„Zuerst wird es stiller werden“, begann sie. „Nicht auf einmal, sondern schleichend. Immer mehr Orte werden von Blackouts heimgesucht – erst Stunden, dann Tage. Cyberangriffe auf Energieversorger, auf Wasserwerke, auf die Kommunikation. Niemand wird die Verantwortung übernehmen. Die Schuld wird zerstreut, wie feiner Nebel.“Ich schluckte.

„Die Supermärkte werden leerer. Die Lieferketten, von denen ihr so sehr abhängt, werden zerreißen. Medikamente werden knapp. Nahrung wird rationiert. Die Städte – eure stolzen, glänzenden Städte – werden zu bröckelnden Inseln der Angst.“
Corona sprach ruhig, fast zärtlich, als beschriebe sie ein vertrautes Märchen.

„Eure Gesellschaft, ohnehin schon zerrissen, wird brechen. Rechte Milizen, selbsternannte Verteidiger, Clanstrukturen. Bürgerwehren, die mehr Angst säen als Schutz bieten. Und die Regierung?“ Sie lächelte dünn. „Sie wird nicht verschwinden. Sie wird sich wandeln. Härter. Schneller. Kälter. Sicherheit über Freiheit. Kontrolle über Vertrauen.“
Ich schloss die Augen. Bilder blitzten auf: leere Regale, brennende Straßen, Männer in Uniformen, die nicht mehr zu unterscheiden waren.
„Und der Krieg?“, fragte ich mit gefühlt heiser werdender Stimme

Corona beugte sich zu mir, ihr Gesicht nun von einer dunklen, fast mitleidigen Traurigkeit gezeichnet.
„Der Krieg wird asymmetrisch sein. Eure Städte werden nicht von Bombenteppichen zerstört wie 1945. Nein – es wird präziser sein. Harter Winter, kein Strom. Hackerangriffe auf Krankenhäuser. Unterseeische Kabel, die reißen. Drohnen, die über Grenzen schleichen wie Gespenster. Kleine Anschläge, gezielte Sabotagen.“
Sie sah nachdenklich in den Himmel, wo sich die Wolken sammelten.

„Und irgendwann werden die Bomben kommen. Vielleicht Taurus, vielleicht Hyperschallraketen aus Osten oder Westen. Nicht massenhaft. Nur so viele, dass ihr begreift: Ihr seid verletzbar. Überall.“
Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug.
„Wird es ein Danach geben?“ fragte ich.
Corona lächelte sanft, beinahe mütterlich.
„Es wird immer ein Danach geben. Die Frage ist nur, wer es noch erleben wird. Und in welcher Welt.“
Sie strich mir kurz über die Hand, eine Geste voller bitterer Intimität.
„Ihr könntet lernen“, sagte sie. „Aber ich weiß nicht, ob ihr es wollt.“

Dann verschwand sie endgültig in der Menge.
Und ich saß da, mitten im leichten Treiben eines Frühlingstages, während in meinem Inneren bereits der Herbst begann.

Das Große Fressen. Oh, wie schön ist Panama (und Kanada und Grönland).

Es war ein jener denkwürdigen Tage, an denen die Sonne ein blutrotes Versprechen in den Himmel malte und die Villen der Reichen in Hollywood brannten, als Donald Trump beschloss, das politische Porzellan zu zerschlagen. Der Plan, die Panama-Kanalzone, Kanada und Grönland zu annektieren, war wie eine fatale Melodie, die in seinem Kopf nicht mehr verklingen wollte. Mit einer Entschlossenheit, die mehr an den Impuls eines Kindes als an den Kalkül eines Staatsmanns erinnerte, verkündete er seine Absicht, diese Gebiete unter amerikanische Kontrolle zu bringen. „Warum sollten wir nicht auch die Welt beherrschen?“ sprach er, wie immer von einer unsichtbaren Zuhörerschaft angesprochen, als er durch die Hallen des Weißen Hauses schritt.

Doch kaum hatte er die Welt mit seinen Ambitionen in Aufruhr versetzt, kamen die Vereinten Nationen zusammen – ein Kollektiv aus Ländern, deren Geduld schon lange strapaziert war. Der Widerstand wuchs. Es war nicht nur ein politisches Manöver, sondern auch eine ganz praktische Herausforderung: Trump wollte Porzellan zerschlagen, das seit Generationen in den Regalen der Diplomatie stand. Als Reaktion auf den vereinten Widerstand gegen die Annexionen trat der Präsident in die Szene, als wäre er der letzte Puzzleteil eines Spiels, das nie gewonnen werden kann.

Die Reaktion war ebenso monumental wie die Politik, die dahintersteckte. In einem Akt von beinahe komödiantischem Größenwahn ließ Trump, der „Don“ der modernen Ära, das gesamte Porzellan im Weißen Haus zerschlagen. Es begann mit einer einzigen Scheibe – einem Teller aus feinstem Porzellan, den er auf den Boden warf, als Symbol für die zerbrechliche Weltordnung, die er zu überlisten versuchte. Die Scherben flogen in alle Richtungen, begleitet von einer Art triumphierendem Lächeln, das weder Freude noch Reue verriet.

„Kein Besteck mehr!“, verkündete er dann mit einem breiten Grinsen. „Ab heute essen wir wie die wirklichen Gewinner. Hände, Leute. Hände!“ Die alten Rituale waren vorbei. Fortan würde niemand im Weißen Haus mit Besteck speisen, und alle weiteren Formalitäten der gehobenen Küche waren Makulatur. Trump war dabei, die ganze politische Kultur auf den Kopf zu stellen – ganz so, wie er es immer getan hatte.

Das Große Fressen

Zur Feier des Anlasses lud er die größten Köpfe der Wirtschaft ein: Mark Zuckerberg, Elon Musk, Jeff Bezos und weitere Milliardäre, deren Namen längst zu Synonymen für globalen Einfluss geworden waren. Sie sollten nicht nur als Gäste kommen, sondern auch als Mitspieler in einem absurden Theaterstück, das Trump inszenierte – das Theater des Essens.

Die Tische waren reich gedeckt, doch nicht mit dem, was man üblicherweise in einem opulenten Staatsbankett erwarten würde. Stattdessen gab es Gemüse und Brei – grüne Blätter, die so geschmacklos waren wie der politische Konflikt, den Trump in der Welt entfachte, und Brei, der sich in einer zähen Masse über den Tellerrand hinaus verteilte. Nur für Trump selbst war ein extra dicker Burger und eine große Pizza serviert worden – der wahre, amerikanische Geschmack.

„Das ist der wahre Luxus“, murmelte Trump, während er genüsslich in seinen Burger biss und die Milliardäre mit einer Mischung aus Entsetzen und Unbehagen zusahen. Anfangs hielten sie sich zurück, versuchten, sich den kleinen Anstand der Zivilisation zu bewahren. Sie hielten die Gabeln in der Hand, als ob sie noch versuchten, sich an eine Weltordnung zu klammern, die gerade zerbrach.

Doch es dauerte nicht lange, bis die Atmosphäre sich veränderte. Immer wieder griff einer der Milliardäre mit bloßen Händen in den Brei, schmierte sich die Wangen voll oder rieb sich den Brei an den Händen, als ob dies ein neues, fast befreiendes Ritual wäre. Zuckerberg, zunächst noch zögerlich, griff plötzlich nach einer Möhre und hielt sie triumphierend in die Luft. „Die Welt verändert sich, und wir ändern uns mit ihr“, sagte er mit einem grinsen, das nur halb von Wahrheit durchzogen war.

Elon Musk, der bis dahin mit einem kritischen Blick auf den weißen Brei gestarrt hatte, schnappte sich schließlich eine Handvoll Gemüse und warf es in die Richtung von Jeff Bezos, der es reflexartig aufgriff, nur um mit einem riesigen Bissen die Szene zu betreten. Ein Klecks Tomatenbrei landete auf Musks Hemd. „Was für ein fantastisches Chaos“, sagte er. „Ganz im Stil von Trump.“

Und so begann das Spiel: Es war ein skurriles Schaulaufen von Unterstützern und Gegnern der Annexionen. Jeder Milliardär übernahm eine Rolle, die er in diesem absurden Diner spielte. Zuckerberg erklärte sich plötzlich zu einem Befürworter der Annexion Grönlands, während Musk, der anfangs noch etwas distanziert gewirkt hatte, nun vehement gegen die Übernahme von Kanada wetterte. Die anderen folgten, als sie versuchten, die politische Lage durch den Brei und die gesalbten Hände zu navigieren.

Schließlich, als der Wein in Strömen floss und der Brei sich unaufhaltsam auf den Hemden der Milliardäre verteilte, gab es einen Moment des Innehaltens. Es war nicht mehr nur ein Mahl, es war ein Symbol. Ein symbolischer Akt, in dem die Welt, die sie so lange kontrolliert hatten, sich vor ihren Augen entglitt – in einer Farce, die weder politische Entscheidungen noch moralische Grenzen kannte. Und als Trump zu einem letzten Burger griff, überlegte er kurz.

„Vielleicht doch noch ein Stück von Grönland?“ murmelte er nachdenklich, während ein weiterer Klaps auf den Brei ertönte, als jemand die Fassung verlor.

Das Ende war nicht klar, aber die Milliardäre fütterten sich weiterhin gegenseitig, manchmal mit Ernst, manchmal mit Lachen, und doch blieb die Frage offen: Würde der Brei und das Chaos weiterfließen, bis nichts mehr übrig war, oder würde irgendwann jemand den ersten Teller in die Hand nehmen und die Scherben aufkehren?

Corona und der Universal Soldier

Ich betrat das Café, das an diesem trüben Herbsttag wie ein Zufluchtsort wirkte. Die Luft war kühl, und die Blätter wirbelten in einer Melange aus Rot, Gelb und Braun durch die Straßen. Corona saß schon da, wie beim letzten Mal, in ihrem schwarzen Kleid. Ihre Gelassenheit wirkte fast unheimlich, als wäre sie vollkommen unberührt von der Furcht und dem Chaos, das mit ihrem Namen verbunden war. Ich vergaß, daß nur ich Ihre Identität kannte. Doch heute summte sie, was sie sonst bei unseren vielen Begegnungen nie getan hatte. Diesmal war es deutlicher: „Universal Soldier“ von Donovan. Ein Lied, das mich sofort in den Bann zog. Es war seltsam – ein Virus, das ein Friedenslied summte?

„Warum gerade dieses Lied?“ fragte ich sie, nachdem ich mich gesetzt hatte. Ich war neugierig, fast herausgefordert von ihrer scheinbar spielerischen Wahl.

Sie lächelte – ein sanftes, fast tröstliches Lächeln. „Zu deiner Begrüßung“, sagte sie mit einem Hauch von Spott in der Stimme. „Letztes Mal warst du so schockiert von unserer Unterhaltung über Pseudomonas Aeruginosa. Du hast nur die Bedrohung gesehen, den Schrecken. Da dachte ich, vielleicht hilft dir ein wenig Weitblick.“

Ich runzelte die Stirn. „Weitblick? Wie meinst du das?“

„Der Universal Soldier“, begann sie leise, während sie ihren Blick durch das Fenster schweifen ließ, „ist überall. Er ist schlimmer als Viren und Keime. Er marschiert in Israel, Palästina, im Iran, in den USA, in Russland, der Ukraine – und selbst hier, in Deutschland, in Afrika, in China. Überall, wo Menschen Krieg führen.“ Sie nahm einen tiefen Atemzug, als ob sie das Gewicht ihrer Worte selbst spürte. „Er ist derjenige, der die wahre Zerstörung bringt. Auch unsichtbar mit seinen Drohnen und ferngesteuerten Raketen.“

Ich lauschte ihren Worten, während die Zeilen des Liedes in meinem Kopf nachhallten: „He’s the Universal Soldier, and he really is to blame.“ Donovan hatte es als Anklage geschrieben, nicht nur gegen den Soldaten, sondern gegen das gesamte System, das ihn blind in den Krieg schickte. Doch es war nicht nur der Soldat, der schuldig war – es war auch das Versagen der Menschheit, immer wieder die gleichen Fehler zu begehen, immer wieder in denselben Kreislauf aus Gewalt, Hass und Zerstörung zu treten.

„Aber was hat das mit dir zu tun?“ fragte ich schließlich. „Du bist doch kein Soldat, keine Kriegerin. Du bist…“ Ich stockte und überlegte. „Du bist ein Virus.“

Corona lehnte sich zurück und betrachtete mich für einen Augenblick, als würde sie nach den richtigen Worten suchen. „Das ist der Punkt“, sagte sie schließlich. „Ihr denkt, ich sei die Bedrohung. Dass Viren und Keime die größte Gefahr für euch darstellen. Aber das stimmt nicht. Ich bin nur ein Teil des großen Ganzen, genauso wie der Universal Soldier. Ich bin eine Konsequenz eurer Welt, nicht die Ursache. Ihr seid es, die die wahre Zerstörung bringen – durch eure Kriege, eure Gier, euren Hass. Der Universal Soldier ist nur eine Figur in diesem Spiel. Er existiert, weil ihr es zulasst.“

Ihre Worte sanken in mich ein, wie Tropfen auf einen stillen See. Der Universal Soldier war nicht nur der Soldat auf dem Schlachtfeld – er war ein Symbol für die kollektive Unfähigkeit der Menschheit, aus der Vergangenheit zu lernen. „Without him, all this killing can’t go on,“ ging es mir durch den Kopf. Aber warum ging es dann weiter? Warum schafften wir es nicht, die Gewalt zu beenden?

„Es ist, als wäre der Soldat ein Teil von uns allen“, sagte ich nachdenklich. „Er verkörpert unsere Ängste, unsere Ignoranz, unser Versagen, Verantwortung zu übernehmen. Wir erschaffen ihn, immer wieder. Genau wie wir Kriege erschaffen, immer wieder.“

Corona nickte. „Genau. Der Soldat, der Virus, der Keim – sie alle sind Symbole für etwas Tieferes. Ihr Menschen sucht oft nach äußeren Feinden, nach greifbaren Bedrohungen, die ihr bekämpfen könnt. Aber die wahre Bedrohung liegt in euch selbst. Ihr seid es, die entscheiden, ob der Universal Soldier weiter marschiert. Ihr seid es, die entscheiden, ob ich, Corona, eine Bedrohung bleibe oder nicht.“

Ich dachte an die Zeilen des Liedes, die mich schon immer besonders berührt hatten: „He’s the one who gives his body as a weapon of the war, and without him, all this killing can’t go on.“ Es war eine erschreckende Wahrheit, die Donovan damals offenbart hatte – und sie war heute relevanter denn je. Der Universal Soldier war in uns allen, und er konnte nur aufhören zu existieren, wenn wir uns dafür entschieden.

„Aber warum tun wir das?“ fragte ich leise. „Warum führen wir immer wieder Kriege? Warum erschaffen wir Soldaten und Feinde, wenn wir doch wissen, dass es uns zerstört?“

Corona lächelte traurig. „Weil es einfacher ist, einen äußeren Feind zu sehen, als sich den eigenen inneren Konflikten zu stellen. Weil Angst und Macht süchtig machen. Ihr glaubt, dass ihr durch Kontrolle und Gewalt Sicherheit finden könnt, aber in Wahrheit zerstört ihr euch selbst. Der Universal Soldier wird nicht aufhören zu marschieren, solange ihr nicht bereit seid, euch euren eigenen Schatten zu stellen.“

Ich schaute sie an und spürte eine seltsame Mischung aus Verzweiflung und Hoffnung. Sie hatte recht. Es waren nicht die Viren oder Keime, die die größte Gefahr darstellten – es war der Mensch selbst. Wir waren es, die den Universal Soldier erschufen, die ihn am Leben hielten, die ihm erlaubten, immer wieder aufs Schlachtfeld zu marschieren. Aber genauso, wie wir ihn erschaffen hatten, hatten wir auch die Macht, ihn zu stoppen.

„Vielleicht“, sagte ich nach einer Weile, „können wir den Universal Soldier eines Tages besiegen. Vielleicht können wir lernen, aus dem Kreislauf der Gewalt auszubrechen.“

Corona blickte mich lange an, und ihr Lächeln wurde weicher. „Vielleicht“, antwortete sie. „Aber das liegt allein bei euch. Ihr habt die Wahl. Immer.“

Ich stand auf, bereit, das Café zu verlassen. Hinter mir summte Corona weiter, die melancholische Melodie des „Universal Soldier“ verweilte in der Luft. Draußen setzte der Regen ein, ein leiser, sanfter Tropfen, der die Straßen wusch. Vielleicht war es ein Zeichen – ein Neuanfang, eine Reinigung. Vielleicht konnten wir, wenn wir wirklich wollten, den Universal Soldier eines Tages zum Stillstand bringen. Doch bis dahin blieb er ein ständiger Begleiter, immer bereit, in uns zu erwachen, solange wir ihn fütterten.

Und so verließ ich das Café, mit der Melodie in meinem Kopf und einer leisen Hoffnung im Herzen. „He’s the Universal Soldier and he really is to blame…“ Aber vielleicht, dachte ich, müssen wir nur aufhören, ihm zu folgen.

Im sinkenden Nebel trifft Höcke auf Hitler

In einem schummrigen, stillen Raum, irgendwo in den Tiefen des ländlichen Thüringens, sitzt Björn Höcke allein. Die Schatten des Abends ziehen sich langsam an den Wänden entlang, als hätte die Dunkelheit selbst etwas zu verbergen. Doch Höcke ist nicht allein in seinen Gedanken. Vor ihm, nur schwach sichtbar im Dämmerlicht, sitzt eine Gestalt, die aus den trügerischen Nebeln der Vergangenheit auferstanden zu sein scheint. Es ist Adolf Hitler, dessen zorniger Blick sich in Höckes entschlossene Augen bohrt, als wollte er das letzte Fünkchen Zweifel aus ihm herauspressen.

Höcke, der sich selbst als der starke Mann von heute sieht, der bereit ist, Deutschland in eine neue Ära zu führen, beginnt das Gespräch. Seine Stimme ist fest, sein Ton von einer tiefen Überzeugung durchdrungen.

„Mein Führer,“ beginnt Höcke, seine Worte sorgfältig wählend, „ich habe in den letzten Jahren viel erreicht. Ich habe eine Bewegung geschaffen, die die Ängste und Hoffnungen der Menschen aufgreift, sie kanalisiert und sie in eine kraftvolle Welle verwandelt. Doch ich weiß, dies ist erst der Anfang. Ich möchte Kanzler werden, um dieses Land nach meinen Vorstellungen zu formen. Die Hindernisse sind zahlreich, und die Zeit arbeitet gegen mich. Was würden Sie in meiner Lage tun?“

Hitler, dessen Präsenz trotz der Dunkelheit klar und unmissverständlich ist, lehnt sich leicht vor. Sein Blick ist stählern, und die Kälte seiner Worte schneidet durch die Stille des Raumes.

„Herr Höcke,“ antwortet Hitler mit einem leisen Knurren in der Stimme, „Sie haben bereits bewiesen, dass Sie das Zeug zum Führer haben. Sie haben das Volk mobilisiert, seine Wut in Energie verwandelt. Doch um die Macht wirklich an sich zu reißen, dürfen Sie keine Schwäche zeigen. Kompromisse sind der Untergang eines jeden, der nach Macht strebt. Ihre bisherigen Erfolge sind bemerkenswert, aber jetzt ist es Zeit, den nächsten Schritt zu wagen. Sie müssen die politische Landschaft Deutschlands radikal verändern, die Demokratie von innen heraus zersetzen. Nutzen Sie ihre eigenen Prinzipien gegen sie.“

Höcke nimmt die Worte auf, wie ein Schüler, der die Lehren seines Meisters verinnerlicht. Doch er ist kein bloßer Nachahmer. Er spürt das Gewicht seiner eigenen Ambitionen und erkennt, dass er an der Schwelle zu etwas Großem steht.

„Die Menschen glauben an meine Vision,“ sagt Höcke nachdenklich, während er in die Ferne starrt, als könnte er die Zukunft vor sich sehen. „Aber es reicht nicht, sie nur zu überzeugen. Ich muss ihre Leidenschaft entfachen, ihre absolute Loyalität gewinnen. Sie müssen mich nicht nur wählen, sie müssen bereit sein, für mich zu kämpfen.“

Hitler lächelt schmal, ein kaltes, berechnendes Lächeln, das nur in den Augen zu sehen ist. Er sieht in Höcke etwas von sich selbst, von jener Entschlossenheit, die einst ein ganzes Volk in Bewegung setzte.

„Sie haben den richtigen Instinkt,“ bestätigt Hitler. „Die Macht liegt nicht nur in Wahlen, sondern in der Kontrolle über die Herzen und Gedanken der Menschen. Sie müssen Feinde schaffen, konkrete Ziele, die das Volk für all seine Probleme verantwortlich macht. In meiner Zeit waren es die Juden, die Kommunisten, die Verräter der Republik. Heute könnten es Migranten sein, die Globalisten, die sogenannten ‚Brüsseler Bürokraten‘. Lassen Sie die Menschen glauben, dass nur Sie sie vor diesen Gefahren schützen können, und sie werden Ihnen folgen, wohin auch immer Sie sie führen.“

Die Worte hallen in Höcke nach, als wären sie eine dunkle Melodie, die ihn tief in seiner Seele berührt. Doch er ist sich der Hindernisse bewusst, die auf diesem Weg lauern.

„Aber was ist,“ fragt Höcke, seine Stimme nun schärfer, „wenn der Widerstand wächst? Die Medien, die etablierten Parteien, sie alle werden sich gegen mich stellen. Wie gehe ich mit dieser Bedrohung um?“

Hitler, der in diesen Momenten wie ein Schatten der Macht wirkt, der alles und jeden durchdringt, ohne sich selbst zu offenbaren, fixiert Höcke mit einem durchdringenden Blick.

„Zerbrechen Sie den Widerstand mit aller Entschlossenheit!“ antwortet er. „Wenn Sie angegriffen werden, dann greifen Sie zurück, härter und entschlossener. Stellen Sie Ihre Gegner als Feinde des Volkes dar, die versuchen, die wahre Stimme des Volkes zu unterdrücken. Lassen Sie keinen Zweifel daran, dass Sie bereit sind, alles zu tun, um Ihre Vision zu verwirklichen. Zeigen Sie Stärke, wo andere schwanken. Lassen Sie die Menschen glauben, dass nur Sie der Retter sind, der einzige, der den Mut hat, die Wahrheit auszusprechen und das Volk zu verteidigen.“

Höcke spürt, wie sich seine eigene Entschlossenheit mit jeder weiteren Sekunde verhärtet. Doch er weiß, dass die Vergangenheit eine mächtige Waffe gegen ihn sein könnte, eine Waffe, die seine Gegner ohne Zögern einsetzen werden.

„Und was,“ fragt er schließlich, seine Stimme nun fast flüsternd, „wenn ich das System so weit unterwandert habe, dass ich die Macht ergreifen kann? Wie verhindere ich, dass mich die Geschichte einholt, dass die Menschen die Parallelen erkennen und mich entlarven?“

Hitler lehnt sich zurück, sein Blick wird noch kälter, noch durchdringender, als hätte er genau auf diese Frage gewartet.

„Kontrollieren Sie die Geschichte selbst,“ sagt er leise, aber mit einer Schärfe, die den Raum durchdringt. „Gestalten Sie das Narrativ nach Ihren Vorstellungen um. Sagen Sie, dass die Vergangenheit missverstanden wurde, dass die wahre Geschichte unterdrückt wird. Schaffen Sie Verwirrung, säen Sie Zweifel. Wenn die Menschen die Vergangenheit nicht mehr klar erkennen, werden sie auch die Gegenwart nicht durchschauen. Nutzen Sie diese Unsicherheit, um Ihre Macht zu festigen. Denken Sie immer daran: Wer die Kontrolle über die Vergangenheit hat, kontrolliert die Zukunft.“

Höcke steht langsam auf, seine Bewegungen sind ruhig, aber voller innerer Stärke. Er hat die Lehren aufgenommen, sie sind tief in ihm verankert. Er sieht sich nicht mehr nur als Politiker, sondern als Anführer, als jemand, der bereit ist, die Geschichte neu zu schreiben, zu formen, wie es ihm beliebt.

„Danke, Mein Führer,“ sagt er schließlich, seine Stimme fest und entschlossen. „Ich werde nicht zögern. Ich werde diesen Weg gehen, und ich werde nicht zurückblicken.“

Die Gestalt Hitlers beginnt zu verblassen, wie ein Schatten, der im Licht der Dämmerung verschwindet. Doch seine Worte, seine Lehren, sie bleiben. Höcke steht allein im Raum, aber er fühlt sich nicht allein. Er ist bereit, das Schicksal Deutschlands in seine Hände zu nehmen, entschlossen, die Geschichte nach seinen eigenen Vorstellungen zu schreiben – und bereit, alles dafür zu tun.

Unsichtbar. Erinnerung an die schöne Corona

Ich habe die schöne Corona, das Virus in der Gestalt einer Frau im gepunkteten Sommerkleid, immer mal wieder im Caligo Café getroffen. Ein Cafe` am Marktplatz in Ahrensburg, einer Kleinstadt mit 35.000 Einwohnern. Ihre Anwesenheit wirkte immer zugleich beruhigend und beunruhigend, wie eine vertraute Melodie mit einem verstörenden Unterton. Sie war freundlich und interessiert, und ihre Augen funkelten häufig, wenn sie sprach und argumentierte. Im Laufe der Zeit hatte ich die Angst vor einer Ansteckung verloren. Wenn ich anderen von ihr erzählte wurde nur gelacht oder eine nachlässige Handbewegung beendete das Gespräch.

Unsere Gespräche begannen oft beiläufig, über den Geschmack des Kaffees oder das Wetter, doch schnell lenkte Corona das Gespräch in tiefere Gewässer. Die Risikogesellschaft, den Baum der Erkenntnis, diese Themen beschäftigten Sie. Eines Nachmittags, während die Sonne warm durch die Fenster schien, sprach sie über den biblischen Baum der Erkenntnis und die Vertreibung aus dem Paradies. „Die Menschheit hat daraus nicht gelernt,“ sagte sie mit einem sanften Lächeln. „Wir streben nach Wissen und Macht, ohne die Konsequenzen zu bedenken, schlussfolgerte sie.

Ihre Stimme wurde ernster, wenn sie die Gegenwart beschrieb. „Unsere Gesellschaft ist zu einer Risikogesellschaft geworden. Wir jagen dem Profit hinterher und verschwenden Ressourcen, als wären sie unendlich. Doch die Natur wehrt sich. Viren wie ich sind eine natürliche Reaktion, eine logische Schlussfolgerung.“

Ich hörte fasziniert zu, wie sie weitere Generationen von Viren voraussagte, die das Leben, wie wir es kennen, zerstören würden. „Alles wird sich auflösen,“ sagte sie, „die Gewissheit verschwinden.“ Ihr Blick schien in die Ferne zu schweifen, als sie fragte: „Wie löst man sich auf, erst innerlich und dann äußerlich? Oder umgekehrt?“

In den folgenden Wochen entwickelten sich unsere Treffen im Café zu philosophischen Exkursionen durch die Zeit und das menschliche Bewusstsein. Corona sprach über das Anthropozän, jene Ära, in der der Mensch zum dominierenden Einflussfaktor auf die Erde geworden ist. Sie erklärte, dass die biblische Geschichte vom Baum der Erkenntnis als Metapher für die menschliche Hybris zu verstehen sei: Unser Streben nach Wissen und Kontrolle hat uns aus dem „Paradies“ einer harmonischen Existenz mit der Natur vertrieben. Ideologien leben wieder auf, die Menschen werden auch im Westen auf das große Sterben vorbereitet. Darauf, dass es den Tod gibt. Syrien, Ukraine, Sudan, Kongo und Palästina rücken näher, wie wir Viren auch. Sie lächelte. „Wie ihr Euch bemüht! Philosophisch betrachtet,“ sagte sie eines Abends, als die Dämmerung das Café in ein warmes Licht tauchte, „ist das Streben nach unendlichem Wachstum und Fortschritt die zentrale Illusion unserer Zeit. Wir glauben, durch Technologie und Wissenschaft alles in den Griff bekommen zu können, doch wir verkennen die Grenzen unserer Macht. Die Risikogesellschaft, wie ich sie nenne, ist geprägt durch eine ständige Verlagerung von Risiken: Anstatt sie zu minimieren, schaffen wir neue, oft komplexere Gefahren.“

Sie sprach weiter, ihre Stimme weich und eindringlich. „Aus psychologischer Sicht führt der innere Zerfall zu einer Krise des Selbstverständnisses. Unsere Identitäten sind eng mit unseren Vorstellungen von Fortschritt und Kontrolle verknüpft. Wenn diese Illusionen fallen, verlieren wir den Boden unter den Füßen. Die Unsicherheit und Angst, die daraus entstehen, führen zu einer inneren Auflösung. Wir beginnen, an unseren Werten und Überzeugungen zu zweifeln, was in einer kollektiven Identitätskrise mündet. Die Demokratien werden zerfallen, ohne das die Zusammenhänge verstanden werden, die große Gier und die große Angst, die alles antreibt.“

Während sie sprach, schien das Café sich in einen stillen Ort der Reflexion zu verwandeln. Ihre Worte hallten in mir nach, als sie über die ökonomischen Aspekte unserer Zeit sprach. „Unser Streben nach unendlichem Wachstum ist ein fundamentaler Fehler. Unsere Wirtschaftssysteme basieren auf der Ausbeutung endlicher Ressourcen und einem kontinuierlichen Wachstum, das die planetaren Grenzen missachtet. Diese ökonomische Struktur führt zwangsläufig zu ökologischen und sozialen Katastrophen. Die Zerstörung von Lebensräumen, die Klimakrise und die Verbreitung von Krankheiten sind direkte Folgen dieser Wachstumslogik.“

Corona seufzte und legte ihre Hände auf den Tisch, als würde sie das Gewicht der Welt auf ihren Schultern spüren. „Ökologisch gesehen ist die Natur ein komplexes und empfindliches System. Viren, wie ich selbst, sind Teil dieses Systems und reagieren auf Ungleichgewichte. Die ständige Ausbeutung und Zerstörung natürlicher Lebensräume setzt Kräfte frei, die wir nicht kontrollieren können. Das Auftreten neuer Viren und Pandemien ist eine logische Konsequenz unseres Handelns.“

In diesen Momenten im Café erschien mir Corona nicht mehr nur als Bedrohung, sondern als Mahnerin und Lehrerin. Sie brachte die tieferen Zusammenhänge unserer Existenz im Anthropozän zum Vorschein und forderte uns auf, über unsere Rolle in dieser Welt nachzudenken und Verantwortung zu übernehmen.

Eines Nachmittags, als die letzten Sonnenstrahlen durch die Blätter der Bäume vor dem Fenster tanzten, fasste sie alles zusammen. „Die Auflösung beginnt zuerst innerlich. Unsere inneren Werte und Überzeugungen erodieren unter dem Druck der äußeren Krisen. Wenn wir erkennen, dass unser Lebensstil und unsere wirtschaftlichen Systeme nicht nachhaltig sind, zerbricht das Bild, das wir von uns selbst und unserer Rolle in der Welt haben. Diese innere Auflösung manifestiert sich schließlich äußerlich in sozialen und ökologischen Zusammenbrüchen.“

Sie nahm einen letzten Schluck ihres Kaffees und schaute mich an, ihre Augen voller Weisheit und Mitgefühl. „Doch es gibt auch Hoffnung,“ sagte sie leise. „Die Auflösung kann eine Chance zur Transformation sein. Wenn wir bereit sind, unsere Denkweisen und Lebensstile radikal zu ändern, können wir aus der Krise eine neue, nachhaltigere Gesellschaft formen. Dies erfordert jedoch Mut und die Bereitschaft, unbequeme Wahrheiten zu akzeptieren und daraus zu lernen.“

In diesem Moment begriff ich, dass unsere Treffen im Café nicht nur zufällige Begegnungen waren, sondern tiefe Lektionen über das Leben im Anthropozän. Corona war nicht nur ein Virus in menschlicher Gestalt, sondern ein Spiegel unserer eigenen Existenz und eine Mahnung, die Natur und unser eigenes Selbst neu zu verstehen.


Im Schatten der Café-Bäume, während der Wind sanft durch die Blätter flüsterte, erzählte Corona mir eine Geschichte, die mir das Herz zusammenzog. Sie sprach von einer Welt, in der die Menschen im Einklang mit der Natur lebten, bevor die Gier und der Hunger nach mehr sie erfassten. In dieser fernen Zeit, so erzählte sie, hatten die Menschen das Geheimnis der Harmonie entdeckt: das Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen, das Bewusstsein für die Endlichkeit der Ressourcen und den Respekt vor allen Lebensformen.

Aber mit der Zeit wuchsen ihre Ambitionen. Sie bauten Städte, die in den Himmel ragten, Maschinen, die die Erde durchpflügten, und Systeme, die mehr verlangten, als die Erde zu geben bereit war. „Es war, als hätten sie das Paradies mit eigenen Händen verlassen,“ sagte Corona. „Und in ihrem Streben nach Fortschritt haben sie die grundlegende Wahrheit vergessen, dass alles miteinander verbunden ist.“

Ihr Blick wurde melancholisch, als sie von den ersten Anzeichen des Zerfalls sprach. „Die Natur begann zu reagieren. Kleine Veränderungen zuerst – ein ungewöhnlich starker Sturm hier, eine Dürre dort. Aber die Menschen sahen diese Warnzeichen nicht. Sie waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt, gefangen in ihrem eigenen Netz aus Erwartungen und Träumen.“

Mit jedem Treffen schien Corona mehr über die tieferen Zusammenhänge unserer Existenz preiszugeben. Sie sprach von den psychologischen Auswirkungen des unermüdlichen Strebens nach mehr. „Der innere Zerfall,“ sagte sie, „beginnt, wenn die Menschen ihre Verbindung zur Natur verlieren. Sie fühlen sich entwurzelt, isoliert in einer Welt, die sie selbst geschaffen haben. Ihre Identität, einst fest verankert in der Gemeinschaft und der Natur, wird fragil und brüchig.“

Corona erzählte mir von der Krise des Selbstverständnisses, die viele Menschen durchlebten. „Wenn sie erkennen, dass ihr Lebensstil auf Kosten anderer Lebewesen und künftiger Generationen geht, beginnt eine innere Auflösung. Sie zweifeln an ihren Werten, ihren Überzeugungen, an allem, was sie einst für selbstverständlich hielten. Diese Unsicherheit breitet sich aus wie ein Virus und erfasst ganze Gesellschaften.“

Ihre Worte hallten in mir nach, während ich über die ökonomischen und ökologischen Verflechtungen unserer Zeit nachdachte. „Unsere Wirtschaftssysteme,“ erklärte sie, „sind darauf ausgelegt, immer weiter zu wachsen. Aber dieses Wachstum ist eine Illusion. Es basiert auf der Ausbeutung endlicher Ressourcen, auf der Annahme, dass die Erde unendlich viel geben kann. Doch die Wahrheit ist, dass wir die Grenzen längst überschritten haben.“

Mit einem traurigen Lächeln fügte sie hinzu: „Die ökologische Krise ist keine ferne Bedrohung mehr. Sie ist hier, sie ist jetzt. Viren wie ich sind nur ein Symptom eines kranken Systems. Die Natur wehrt sich, und das Auftreten neuer Krankheiten ist nur eine der vielen Möglichkeiten, wie sie versucht, das Gleichgewicht wiederherzustellen.“

Eines Abends, als der Himmel in tiefes Blau getaucht war und die ersten Sterne zu leuchten begannen, fasste Corona ihre Gedanken in einer eindringlichen Warnung zusammen. „Die Auflösung beginnt innerlich,“ sagte sie. „Unsere Werte und Überzeugungen erodieren unter dem Druck der äußeren Krisen. Diese innere Auflösung manifestiert sich schließlich äußerlich in sozialen und ökologischen Zusammenbrüchen.“

Sie sah mich mit einem Blick an, der tief in meine Seele zu dringen schien. „Aber es gibt Hoffnung,“ sagte sie leise. „Die Auflösung kann auch eine Chance zur Transformation sein. Wenn wir bereit sind, unsere Denkweisen und Lebensstile radikal zu ändern, können wir aus der Krise eine neue, nachhaltigere Gesellschaft formen. Dies erfordert Mut und die Bereitschaft, unbequeme Wahrheiten zu akzeptieren und daraus zu lernen.“

In diesem Moment begriff ich, dass unsere Treffen im Café nicht nur zufällige Begegnungen waren, sondern tiefe Lektionen über das Leben im Anthropozän. Corona war nicht nur ein Virus in menschlicher Gestalt, sondern ein Spiegel unserer eigenen Existenz und eine Mahnung, die Natur und unser eigenes Selbst neu zu verstehen. Und so verließ ich das Café an jenem Abend mit dem Gefühl, dass ich nicht nur einem Virus, sondern einer weisenden Stimme der Natur begegnet war, die uns alle zur Umkehr und zur Besinnung aufrief.

Die schöne Corona und die Künstliche Intelligenz

Corona 5

Die Schöne Corona und der überflüssige Mensch?

Herbst 2021

Die Cafés sind wieder geöffnet. Zweimal geimpft oder genesen, schon stellt sich die Leichtigkeit des Seins ein. Das Hinweisschild für „Du musst draußen bleiben“ gewinnt eine neue Bedeutung. Für alle Impfleugner, Verweigerer und Verschwörungstheoretiker ist hier Schluss. Eine Parallele zu anderen Grenzen könnte man meinen. Drinnen sitzen also die Guten in der neuen Welt. Eine meine Coronas trifft mich heute hier. Selbstverständlich ist sie immun, gilt als genesen. Es erklärt sich von selbst.
In einem dieser 2G Cafés treffen wir uns nach langer Zeit wieder. Corona heute ganz in Rot. Etwas burlesce. Meine neue Signalfarbe erklärt sie mir. Ich bin schließlich bereits die 5. Variante. Was keine Auswirkungen auf ihre grundsätzliche Existenz hat, wie sie selbstbewusst verkündet. Sie erkundigt sich nach meinem Freund Ripp Corby. Lange nichts gehört. Monate ist es her, oder? Das kann ich bestätigen. Monate, in denen sich vieles gewandelt hat. Ripp, so deute ich an, beschäftigt sich mit dem Geheimnisvollen in Dir. Das geheimnisvolle Deines Ursprungs. Er glaubt, dass du aus einem Labor des Institutes für Virologie in Wuhan stammst. Er ist mit dieser Ansicht nicht allein, denn die Weltgesundheitsorganisation hat sogar ein Komitee bestehend aus 26 renommierten Wissenschaftlern gegründet, das dieser Frage nachgeht. Corona beugt sich vor und hält dabei eine Hand vor den Mund um nicht loszuprusten. Ich sagte erstmal nichts mehr. Dennoch scheinen Wortfetzen unseres Gespräches den Raum zu füllen. Außerdem war Corona in ihrem roten hochgeschlossenen Kleid eine Augenweide, wenn nicht gar eine kleine Provokation. Einige Leute drehten sich zu uns um. Glaubt Ripp daran, fragt sie, nachdem sie sich beruhigt hat. Ich nicke. Zumindest verfolgt er diesen Gedanken. Was sagst Du denn dazu, du weißt doch, wo du herkommst. Ist das Ganze nicht einfach auch ein politisches Thema? Die ganze Geheimniskrämerei der chinesischen Führung. Da muss doch etwas dran sein.
Natürlich weiß ich, woher ich komme. Das ist doch Allgemeinwissen. Übrigens: Man wird nicht als Verschwörungstheoretiker geboren, aber man kann als Verschwörungstheoretiker sterben.
Du machst mir Spaß, sage ich. Das ist die Bedingung, sagt sie. Spaß muss auch sein. Nun, ich komme von überall her. Sagen wir, von den Märkten dieser Welt.
Erzähle mir noch etwas über Ripp. Vielleicht verrate ich Dir mehr, später, hauchte sie mir zu und nahm meine Hand. Ich zuckte etwas zurück. Aber du bist doch geimpft? Dann brauchst du dir heute keine Sorgen machen. Ich spüre deine Schutzmembrane. Nicht sehr dick aber noch wirksam. Aus uns könnte mehr werden, aber nicht in diesem Leben. Und außerdem, naja, du weißt schon. Du würdest mich nicht ertragen. Sie lacht schallend und ich frage mich, was für eine Mutation da durchkommt.

Wir werden verstohlen, aber aufmerksam von den anderen Gästen beäugt. Darf ich vorstellen, Corona, könnte ich sagen. Das würde ihr gefallen.
Ripp leidet, fuhr ich fort. Zu Beginn der Pandemie hat er die Ruhe genossen. In diesem Jahr, nachdem alles wieder geöffnet war, die Läden, die Lokale, einfach alles, wurde es lauter als vorher. Die Nachbarn holten alle Feiern nach und hatte sich wegen der Ansteckungsgefahr ein zweites Wohnzimmer auf der Terrasse gebaut. Überdacht, beheizt, laut. Partys statt im Club auf der Terrasse. Er meint, dass die Demokratie verloren hat, weil sie sich nur um Corona gekümmert hat. Alle anderen Projekte sind auf er Strecke geblieben. Dass wir dich verdient haben.
Corona schaut sich die Menschen im Café an. Stimmt, konstatiert sie.
Nichts dazugelernt, die Dummen sterben und die Vulnerablen werden getötet durch die Dummen. Zuviel Demokratie schadet in meinem Fall.
Aber Ripp hat dazugelernt. Er war bei unserem Gespräch hoffnungsvoller. Er hat dir doch vom Baum der Erkenntnis erzählt. Ja, hat er, klar. Stimmt alles. Aber die nächste Welle…
Ist bereits da. Darf ich mich zu Euch setzen? Die Stimme hinter mir kommt mir bekannt vor. Carl, denke ich und es ist Carl. Ich überlege ernsthaft, ob er sich dazu setzen sollte. Er war lange Jahre schwer krank gewesen, es könnte für Ihn gefährlich werden. Carl nimmt kein Blatt vor den Mund, aus dem hin und wieder eine Verschwörungstheorie und ein migrationskritischer Gedankenwulst entspringt, das könnte wiederum für uns gefährlich werden. Für unsere Bereitschaft, weiter miteinander zu sprechen und um Verständnis der jeweiligen Position zu ringen. Ich blicke Corona an. Sie ist offen für jeden. Carl setzt sich. Er ist geimpft. 2 G, kein Thema. Ich habe das mit der Demokratie gerade noch so mitbekommen. Habe ich richtig verstanden, dass du die Demokratie infrage stellst? Corona schaut mich an. Habe ich? Ja, doch. Im Ansatz. Echte Demokratie gibt es ja nicht wirklich in Deutschland. Es sieht so aus. Aber wer trifft die Entscheidungen? Die Chancen am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen sind sehr ungerecht verteilt. Wer Geld hat, schickt seine Kinder auf Privatschulen, die Schere zwischen Arm und Reich klafft auseinander, die westlichen Demokratien verfügen über den Impfstoff, Afrika stirbt. Hier in Deutschland betreibt ihr den Kult des Individuums. Da mische ich euch ein wenig auf. Jetzt ist Solidarität gefordert.
Genau, sagt Carl. Nicht nur deinetwegen sterben die Menschen in Afrika. Wir haben insgesamt zu viele Menschen auf der Erde. Wir können nicht alle retten. Evolution eben. Und die wirkliche Macht haben, sind drei Musketiere: Musk, Bezos und Gates auf dem Zuckerberg, sind an der Menschheit nicht interessiert. Sie bestimmen, wer überlebt und wie wir leben. Spieler mit viel Geld entscheiden über die Zukunft. Da bist du, er winkt der Kellnerin, lediglich ein kleines Licht, Corona. Entschuldigung. Er zuckt mit den Schultern und bestellt einen Cappuccino.  In dieser Spielerlogik sind wir alle gefangen und kleine Spieler geworden, die denken, alles im Griff zu habe. Selbstoptimierer! Diese Wachstumsideologie ist an ihre Grenzen gestoßen. Die internationale Verknüpfung, der sinnlose Warenverkehr über Kontinente hinweg, zerstört die besondere Kraft der Natur, sich regenerieren zu können. Und diese Schwäche nützt dir und den anderen Migranten, zischt er, sicher spaßig gemeint, Corona zu.
Carl, das war nicht unser Thema sage ich.  Doch, doch, ich finde das richtig was Carl sagt. Corona beugt sich über den Tisch, Carl zugewandt. Die Natur ist aber nicht schwach geworden. Die Bedingungen verändern sich vorübergehend. Die Erde ist ein lebender Organismus. Die Natur ist so stark, dass sie alles überleben wird. Seht mich an. Ihr kommt nicht gegen mich an. Ich bin die Natur, lächelt Corona. Eine schöne dazu findet Carl, aber gefährlich wie jede schöne Frau. Ihr seht lediglich das kurze Anthroprozän fährt Corona fort. Viele Menschen erkennen den Zusammenhang zwischen Konsum von Ressourcen aller Art und Klimawandel. Aber höchstens 30 Prozent sind bereit, entsprechend zu handeln, denke ich. Freie Fahrt für freie Bürger. Und Carl, sie beugte sich weiter vor und ließ ihr Haar ins Gesicht fallen, du denkst ich bin eine Frau? Woher willst du das wissen? Sie lacht Carl schallend aus. In deinem Alter sieht man nur, was man sehen will. Rentnerdiskriminierung konterte Carl. Er strengt sich an, cool zu bleiben. Generationsegoismus, werfe ich ein. Leben im Hier und Jetzt schlage ich vor. Das könntest du morgen bereuen, wirft Corona ein. Nein, du musst dich entscheiden. Leben im Hier und jetzt, schön und gut. Aber jedes Eichhörnchen weiß, wie das ausgeht. Die Frage ist, ob sich die Evolution, also genau gesagt das Überleben der Menschheit demokratisch weltweit steuern lässt. Damit ist nicht dein Überleben gemeint, Carl. Etwas Größeres. Oder sollte man alle Entscheidungen einer künstlichen Intelligenz überlassen. Einer KI, die intelligent programmiert ist.
Ein Gedanke, ja ein Gedanke, stimmt Carl zu. Ein Gedankenspiel zum Glück. Wie soll die KI programmiert werden? Alle Beschlüsse der Klimakonferenzen zusammenpacken? Alle Forderungen? Wer kontrolliert? Organisation in einer Art Blockchain? Diktatur! Ruft Carl.
KI oder ich entscheidet!, wirft Corona ein.
Ich denke das nützt nichts. Ich habe etwas über den Fotografen Sebastiao Sagaldo gelesen. Ein weiser alter Herr. Sagaldo fotografiert Menschen in Extramsituationen, dokumentiert das Industriezeitalter. Seine Frau und er engagierten sich gegen die Militärdiktatur. Sonst immer unterwegs wo die Lebensumstände schlimm waren. Angola, Mozambique, Afrika sowieso. Er hat den Anschlag auf Ronald Reagan fotografiert.
War das nicht ein Western?, fragt Carl.
Mach das mal jetzt nicht kaputt, sage ich. Woran bin ich mit Carl eigentlich?
Jedenfalls solltet ihr seinen Film „Das Salz der Erde“ mal ansehen. Ein Blick in die Tiefe und leere Seelen. Unbedingt mal ansehen. Er ist nah dran am Menschen gewesen und hält ihn für die schlimmste Kreatur auf Erden. Überflüssig. Corona, ein guter Gedanke. Warum sollte dann eine KI den Menschen retten? Wofür?
Sagaldo würde dir gefallen, Corona. Wie du geht er davon aus, dass sich die Natur erholen wird. Ohne Gier und ohne Gewalt der Gewalt wegen. Die Viren sind stärker als der Mensch. Schneller. Und wenn der Regenwald abgeholzt ist, werden immer mehr Viren kommen.
Und was für welche, kündigt Corona an.
Carl meint, lakonisch, lass uns doch gleich sterben. Allerdings jetzt noch nicht. Ich finde die Menschheit auch überflüssig. Das würde eine künstliche Intelligenz auch ausrechnen. Aber können wir das nicht ein wenig verschieben?
Zeit spielt keine Rolle, findet die Schöne Corona. Für mich ist es außerdem sehr angenehm hier, eine wirkliche Willkommenskultur. Ich kann mich ungehindert breit machen. Mich ausbreiten. Schade, dass es so eisig draußen wird. Im Café können wir uns wohl die nächsten Monate nicht mehr treffen. Wir sind bereits wieder so viele Coronas.
Auf wessen Seite bist du eigentlich? Du trinkst hier den Kaffee mit uns und drohst uns? Fragt Carl.
Beides ist möglich, nickt die Schöne Corona, schiebt ihren Stuhl zurück und wendet sich zur Tür.  Ich muss meine Tanten aus Südafrika begrüßen. Danke für die Einladung, winkt sie im Hinausgehen.


Die Schöne Corona in der Risikogesellschaft

Ein langer Lockdown hatte für einige Wochen ein Treffen mit der Schönen Corona verhindert. Jetzt konnten wir uns endlich im Freien treffen.
In ihrer Einladung hatte sie vermerkt: Die Menschheit wird gefressen werden. Unterzeile: Und sie weiß es.

Ihr neues Kleid fiel mir gleich auf. Der erste Blick. Das sie verwirrt war, beim zweiten Hinschauen. Sie erwartete mich an der Friedenseiche auf der kleinen Grünfläche auf der Mitte der Straßenkreuzung. Anstelle eines angemessenen Wintermantels oder einer Daunenjacke war Sie lediglich mit einem Cocktailkleid bekleidet. Erstaunlich bei diesen Temperaturen Anfang Februar. Sie lächelte nicht, wie ich es von unseren vorherigen Begegnungen gewohnt war. Ihre Gesichtszüge waren vielmehr in einem starren Lächeln gefangen. Ich fühle mich verfolgt, rief sie mir entgegen, noch bevor ich das den Rasen schützende niedrige Eisengitter überstiegen hatte. „The sound of the streets sounds so familiar“ rauschte mir durch den Kopf. Aber augenscheinlich nicht für sie. Her tears on my schoulder, dass ging nicht. „A new Kid in town“ von den Eagels. Ja das war sie. Sie war „a new Kid in Town“, allerdings ungeliebt. Man jagt mich wohl tatsächlich ergänzte sie. Dabei will ich nur meine Ruhe. Ständig muss ich mein Aussehen verändern, überall gibt es Kontrollen, beklagte sie.
Im Cocktailkleid bist du aber leicht zu erkennen, du fällst auf. Ja nickte sie, das soll so sein. Eine kurzfristige Ablenkung. Eine falsche Fährte. Aber ich habe mich mit neuer Kleidung eingedeckt. In London und Südafrika gab es einige Sales die ich nicht ausschlagen wollte. Sie erzählte ein wenig von ihren Reisen und erwähnte beiläufig, dass sie Donald Trump nicht getroffen hätte. Ich wedelte mit meiner Einladungskarte. Und wie soll ich das verstehen? Das wir von den Füßen her angefressen werden und nichts dagegen tun, weil wir davon ausgehen, dass unser Kopf weit genug entfernt von diesen Extremitäten ist?
Genau! Mir ist klar, dass ich dich am Ende als Wirt nutzen muss, wenn die Erde weiter so verbraucht wird. Sie lachte kurz auf. Diese kleinen Geplänkel waren für mich vor unseren tiefer gehenden Gesprächen immer wichtig, um mich sicherer zu fühlen. Schließlich ist ein Virus auch in etwa ein Tiger. Wer auf einem Tiger reitet, kann bekanntlich nicht einfach abspringen, wann er Lust hat.
Und wie geht es Dir?
Ich wusste, dass sie diese Frage ernst meinte, mir zuhören und kein „soweit ganz gut“ hören wollte. Die Frage, so offen gestellt, ließ mir alle Möglichkeiten zu erzählen, was mich bewegt.
Wie geht es mir? Zu Corona gewandt: Bei Dir, direkt in Deiner Nähe fühle ich mich sicher. Du springst mich ja nicht an. Ich habe nicht zu klagen, behauptete ich. Aber nein, ich hatte letztens gespürt, dass es nicht mehr stimmig war. Oberflächlich Haus, Garten, Wald hinter dem Haus, ein kleiner Dorfladen in der Nähe, gute Zeitstruktur. In mir scheint es anders auszusehen.
Corona blickte mich aufmerksam an. Ihre Gesichtsmuskeln entspannten sich.
Samstag war ich auf dem Wochenmarkt. Schon auf dem 500 Meter entfernten Parkplatz war Musik zu hören. Wirklich laute Musik. Platz greifend, lebendig und bestimmend. Der Marktplatz ist ziemlich quadratisch ausgerichtet,schmucklos funktional, umgeben von Geschäften, Wohnanlagen und wird vom dem denkmalgeschützten 70iger Jahre Bau des Rathauses und der daran angrenzenden Bücherhalle dominiert.
Öffentlich gespielte Musik in Zeiten der Coronapandemie zu hören ist ungewöhnlich. Dieser Samstag war ein sonniger Tag, die Winterkälte war zu spüren, aber die Sonne wärmte. Die zwei Musiker, eine Frau und ein Mann, spielten in der Manier und Qualität von „Dire Straits“. Berührender Gesang und perfekte Gitarrensoli. Es war eine Musik, die den gesamten Platz erfüllte und dennoch war es so still, dass man den leichten Wind hörte. Alle wahrten Abstand, standen gefühlt dennoch ganz eng zusammen und lächelten vor sich hin und andern zu oder verbargen ihre Tränen hinter ihren Masken. So ging es mir jedenfalls.Tränen hinter der Maske. Dieses Erlebnis hat mir eröffnet, wie es mir wirklich geht und gezeigt was mir fehlt. Verbundenheit und Zugehörigkeit im weitesten Sinne. Das hätte ich nicht gedacht.Ich habe dann begonnen genauer hinzusehen um herauszufinden wen oder was ich vermisse. Unterm Strich aber geht es mir gut. Es gibt Schlimmeres, lächelte ich.

Die schöne Corona wollte meinen Arm streicheln. So gut es mir getan hätte, so musste ich stattdessen einen Schritt zurück treten.
Ich kann dich gut verstehen und weiß wie es ist, wenn man Zugehörigkeit vermisst. Auch wenn wir viele sind, so wie ihr Menschen viele seid, sind wir doch allein. Wir haben unsere originären Wirte verloren, weil die Menschen sich in ihrer Fläche immer weiter ausbreiten. Wir Viren sind Vertriebene, Flüchtende. Und kommen keinesfalls aus einer Retorte. Was mich wundert ist allerdings der Umgang mit mir. Statt mich zu jagen, mich vertreiben zu wollen, solltet ihr lernen mit mir zu leben und bei Euch selbst schauen, wie ihr mit Risiken umgeht.
Du bist das Risiko für uns, zur Zeit, wandte ich ein. Wir haben uns intensiv mit dir beschäftigt.
Sie schüttelte den Kopf. Denke doch nur an die seit Jahrzehnten reale atomare Bedrohung. Diskutiert darüber jemand? In der Hochzeit des Kalten Krieges in den 1960igern solltet ihr im Falle eines atomaren Fallouts unter die Schultische kriechen oder euch die Aktentasche über den Kopf halten. Man sollte schnell in einen Graben oder ein Erdloch springen. Wenn du tot warst, war es gefählicher als vorher gedacht.
Tschernobil? War für Pilzsammler gefährlich, Fukuschima im Jahre 2011 weit weg. Die Kriege in die ihr verwickelt seid, nehmt ihr nicht wahr und wundert euch über Migration und Flüchtlinge.
Klimawandel, was ist damit? Gefährlicher als ich. Außerdem falle ich als Folgeerscheinung auch noch unter das Thema Klimawandel.

Die westliche Welt der reichen Industrieländer ist es nicht gewohnt, in Risiken zu denken.
Jetzt schon, versuchte ich in ihre Sätze hineinzukommen. Wir beschäftigen uns jeden Tag mit diesem Risiko, mit dieser Pandemie. Eine Kennziffer jagt die andere, alles wird vermessen, bewertet und gewichtet.

Sicher. Aber die Betrachtung von nicht persönlichen sondern allgemein gesellschaftlichen Risiken werden seit Jahrzehnten nicht beachtet. Die Risiken der Modernisierung, der internationalen Industrialisierung werden im Politik-und marketinggeschwafel verniedlicht.
Ich musste zustimmen. Die aktuelle Diskussion um die Lieferketten, (was für eine Verniedlichung für Kinderarbeit), die Forderung nach globaler Fürsorgepficht für international tätige Unternehmen. Das was heute thematisiert wird, kennen wir schon lange. 1972 die „Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome. 1985 die Analyse der Risikogesellschaft durch den Soziologen Ulrich Beck über die Verteilung von Modernisierungsrisiken:„Sie besitzen eine immanente Tendenz zur Globalisierung. Mit der Industrialisierung geht ein Universalismus der Gefährdungen einher unabhängig von den Orten ihrer Herstellung: Nahrungsmittelketten verbinden praktisch jedem mit jedem auf der Erde. Sie tauchen unter Grenzen durch.“
Deshalb bist du jetzt also hier? Ich bemerkte die Ironie in meiner Stimme. Oder war es bereits eine sarkastische Haltung? Denn immerhin sprach ich auch über mich selbst.

Corona nahm meine Worte wie sie waren, und konstatierte, gewissermaßen, ja.
Die Menschen leiden unter einer Risikoblindheit. Risiken bringen auf den ersten Blick keine Produktivitätsvorteile. Da gelten dann nach ökonomischer Logik auch die Gesetze der Naturwissenschaft nicht mehr. Das siehst du deutlich auch heute. Nichts ist anders. Das Risiko sich mit mir und meinesgleichen zu infizieren wird hinter einer Datenwand versteckt oder scheinbar objektiviert. Das Risiko wird abstrahiert, wird globalisiert.
Diese Verallgemeinerung lässt Betroffenheit entstehen, die für den einzelnen abstrakt bleibt. Das war schon immer so. Wo es für alle scheinbar kein Entkommen gibt, mag man schließlich auch nicht mehr an die Katastrophe denken. So war das mit den Pestiziden, der Luftverschmutzung und Atomstrahlen. Jetzt sind die Verursacher der Modernisierung selbst nicht mehr sicher. Und ja, Reiche und Arme sind langfristig, wenn auch zeitversetzt, denselben Risiken ausgesetzt.
Und die Wissenschaft in ihrer Arbeitsteiligkeit, kann diese Risiken nicht berechnen, zumal sie selbst Teil der Moderne ist und mit ausgedachten Grenzwerten die Verschmutzung und Vergiftung von Luft, Wasser am Sterben von Pflanzen, Tieren und Menschen legitimiert,
Wie du siehst, nützt uns Viren dieses Wissen um die individuellen Risiken auch nur eingeschränkt. Wir mussten unsere Stammwirte verlassen und sind am Ende Verlierer.
Einen Vorteil haben wir gegenüber anderen Lebewesen: Unser Wissen ist universell. Außerdem: Wir können uns innerhalb kürzester Zeit an Veränderungen anpassen. Siehst Du, sagte sie noch, während Sie immer durchsichtiger schien und ich vermutlich Zeuge ihre Mutation wurde. Heute war sie nicht so eloquent gewesen wie sonst, die Risikogesellschaft scheint sie sehr zu beschäftigen und zu verunsichern. Hätte ich nicht gedacht. Vieleicht täte ihr etwas Musik auf dem Marktplatz ganz gut? Oder würde sie mich eines Tages fragen, ob sie bei mir wohnen dürfe? Ich würde sie wiedersehen, da war ich mir sicher.